Mehr Ausbildung, mehr Wertschätzung |
Brigitte M. Gensthaler |
22.04.2024 15:06 Uhr |
Sie diskutierten über die Personalnot in der Pharmazie (von links): Danny Neidel, Geschäftsführer der LAKT, Silvia Grabs, Mitglied der Geschäftsleitung der Carl Remigius Fresenius Education Group, Professor Dr. Gerhard Scriba, Institut für Pharmazie, Jena, Moderatorin Laura Rudolph, Dr. Jörg Wittig, Vizepräsident der LAKT, Johanna Kintrup, Präsidentin des Bundesverbands der Pharmaziestudierenden in Deutschland, und Dr. Manuela Pertsch, Vorsitzende des Landesverbandes Thüringen im Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker / Foto: Jacob Schröter
Die Zahl der öffentlichen Apotheken sowie der Krankenhaus- und krankenhausversorgenden Apotheken geht seit Jahren zurück. Allein im letzten Jahr schlossen in Deutschland rund 500 öffentliche Apotheken – annähernd so viele, wie es in ganz Thüringen gibt. Das liegt an den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und oft auch an fehlendem Personal und Nachfolgern für die Apothekenleitung. Wo liegen die wichtigsten Gründe für die Personalnot und welche Lösungsansätze gibt es, fragte die Moderatorin Laura Rudolph, Apothekerin und Redakteurin der Pharmazeutischen Zeitung, bei einer Podiumsdiskussion am 19. April im Erfurter Krämerloft. Der Apothekertag wurde online übertragen.
»Wir bilden einfach zu wenige Apotheker aus«, brachte es Danny Neidel, Geschäftsführer der Landesapothekerkammer Thüringen (LAKT), auf den Punkt. »Wir haben genügend Bewerber für das Pharmaziestudium in Jena, aber zu wenige Studienplätze, um den Bedarf zu decken. Es ist ein politisch verursachter Mangel.« Zwar seien heute rechnerisch mehr Approbierte pro Apotheke tätig, aber die Aufgaben seien enorm gewachsen und viele arbeiteten in Teilzeit. Und auch in anderen Berufsfeldern würden Apotheker gesucht. »Keiner ist arbeitslos.«
Neidel wies auf eine Besonderheit in den neuen Bundesländern hin: Die Pharmazieingenieure mit Vertretungsbefugnis kommen zunehmend ins Rentenalter und müssen durch Approbierte ersetzt werden. Darauf mache die LAKT seit mehr als zehn Jahren aufmerksam, werde aber von der Politik abgebügelt. »Es muss endlich was passieren, damit die Qualität der Arzneimittelversorgung nicht leidet.«
Die Diskussionsrunde wurde live übertragen. / Foto: Jacob Schröter
Um die Qualität sorgt sich auch Dr. Jörg Wittig, Apothekeninhaber in Schleiz. Er spüre die Personalnot ständig, obwohl alle Stellen in seiner Apotheke besetzt seien. »Wir erleben gerade die Auflösung eines Systems: Wir verlieren immer mehr Apotheken, aber die Patienten sind ja da.« Individuelle Beratung, komplexe Therapien und pharmazeutische Dienstleistungen erforderten mehr Zeit. Der Beruf entwickle sich damit in die richtige Richtung, konstatierte der Vizepräsident der LAKT. »Wir bringen Qualität und Leben, aber die Politik ist das Problem.«
Personalnot spüren Krankenhausapotheken aus anderem Grund, berichtete Dr. Manuela Pertsch, Erste Vorsitzende des Landesverbands Thüringen im Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker. Sie würde gerne Personal für spannende Aufgaben am Krankenbett einstellen, habe aber kein Budget dafür, so die Chefapothekerin am SRH Wald-Klinikum Gera. »Wir bieten sehr attraktive Arbeitsplätze mit interessanten Aufgaben, aber wir kämpfen mit der Finanzierung.« In anderen europäischen Ländern würden Krankenhausapotheker mehr wertgeschätzt. Als Beispiel nannte sie die Niederlande.
Auch viele PTA-Schulen haben Personalnot, denn es fehlen Approbierte als Lehrkräfte, berichtete Silvia Grabs, PTA-Lehrkraft und Mitglied der Geschäftsleitung der Carl Remigius Fresenius Education Group. Gebe es nicht genügend Lehrkräfte, könnten PTA-Klassen nicht eröffnet werden.
Der PTA-Beruf selbst sei sehr attraktiv und in fast allen Bundesländern müsse kein Schulgeld mehr bezahlt werden. »Trotzdem entscheiden sich viele Interessierte für einen Beruf mit Ausbildungsvergütung und mit mehr Aufstiegschancen. Auch in puncto Gehalt gibt es attraktive Mitbewerber.« Die wirtschaftliche Sicherheit sei auch den Eltern zunehmend wichtig.
Generell habe die öffentliche Apotheke ein positives Image bei den PTA-Schülern, versicherte Grabs. Die meisten wollten hier arbeiten, manche auch im Krankenhaus. Famulatur und Praktika sind aus ihrer Sicht sehr wichtige Stellschrauben für die Nachwuchssicherung.
Wie entscheidend der erste Kontakt zur Apotheke, zum Beispiel in der Famulatur, ist, bestätigte Johanna Kintrup, Präsidentin des Bundesverbandes der Pharmaziestudierenden in Deutschland (BPhD). Von den Studierenden werde die Apotheke als patientennah und attraktiv angesehen, doch es komme viel darauf an, welche Perspektiven in der Praxis aufgezeigt werden. Sie sei gespannt auf das Praktische Jahr, sagte die Pharmaziestudentin aus Greifswald. Das sei eine sehr wichtige Zeit für die Hochschulabgänger, die gut und strukturiert genutzt werden müsse.
Dass eine Modernisierung der Approbationsordnung sinnvoll ist, ist breiter Konsens, aber nicht das Wie. »Die Approbationsordnung soll für alle Berufsfelder passen, aber das ist ein Spagat und keine Seite ist letztlich voll zufrieden«, sagte Dr. Gerd Scriba, Professor a. D. am Institut für Pharmazie der Universität Jena. »Doch gerade wegen der Vielfalt der Berufsmöglichkeiten ist der Apothekerberuf super.« Diese Vielseitigkeit und der Wandel in den pharmazeutischen Anforderungen müssten viel offensiver nach außen vertreten werden.
Professor Dr. Gerhard Scriba im Gespräch mit Moderatorin Laura Rudolph / Foto: © Jacob Schröter
Bei der Forderung nach einer Aufstockung der Studienplätze in Jena sei das Spannungsfeld zwischen Hochschule und Politik zu bedenken. »Mehr Studienplätze sind schwer zu finanzieren, wenn das Land keine Finanzzusage macht«, erklärte Scriba. Was Neidel unterstrich: Es komme auf den politischen Willen an, um die Arzneimittelversorgung auch zukünftig sicherzustellen.
Die Thüringer Apotheker werben aktiv um den Nachwuchs, so erst kürzlich beim »Tag der Pharmazie« in Jena. Fast 1000 Schüler konnten dabei einen Eindruck von der Pharmazie, der Apotheke und ihren Leistungen gewinnen.
Wittig sieht jede einzelne Apotheke in der Pflicht. »Wir müssen das Positive unseres Berufs nach außen tragen.« Dass der Apothekerberuf als akademischer Beruf wertgeschätzt werde, sei auch für die Kollegen im Alltag wichtig. »Wir haben einen wahnsinnig tollen Beruf und müssen davon erzählen.« Zudem müssten die Betriebe mehr ausbilden: »Gebt Gas, sonst habt Ihr keinen Nachwuchs.« Dennoch dürfe man den jungen Leuten nichts vormachen und müsse Probleme ansprechen, wie etwa bei den Apotheker-Demos im letzten Jahr oder der aktuellen ABDA-Kampagne, so Wittig. Diese Kommunikation sei ein Balanceakt. Steilvorlage für Neidel, der die Proteste für »völlig gerechtfertigt« hält. »Wir brauchen eine Dynamisierung des Honorars.«
Auch die Krankenhausapotheken kümmern sich laut Pertsch sehr um Schüler sowie Menschen im freiwilligen sozialen Jahr und in der Famulatur. »Wir tun alles, um die jungen Leute zu begeistern.« Allerdings gebe es Bedenken wegen der Schwere des Studiums und der Arbeitsbelastung. Es sei mehr Digitalisierung nötig, um die Arbeitskräfte nicht zu verschleißen. »Aber wir brauchen generell mehr Apotheker.«
Grundsätzlich bringt die öffentliche Apotheke einiges mit, was heute im Trend liegt: Arbeiten und Lernen im Team, eine sinnstiftende Tätigkeit, freundliche Arbeitsatmosphäre und die Mischung von akademischer Arbeit und Work-Life-Balance. Vor allem Teilzeitarbeit ist beliebt. Für Wittig ist die Apotheke einer der wenigen Orte, wo man akademische Tätigkeit und Familie gut vereinbaren könne.
Ein gutes Umfeld sei auch für PTA sehr wichtig, betonte Grabs. »Sie schätzen die Begleitung und Betreuung in der Schule, im Praktikum und in der Apotheke sehr.« Sie wollten viel Eigenständigkeit haben, sich aber auch anlehnen können.
»Würden Sie nochmal Pharmazie studieren?«, fragte Moderatorin Rudolph in der Schlussrunde und erhielt 100 Prozent Zustimmung. Grabs bezeichnete sich als »Wiederholungstäterin«, denn sie sei begeistert von der Vielfalt im Studium und in den Berufsfeldern. Das bestätigte Pertsch: »Unser Beruf ist so spannend und vielfältig. Das ist unser Pfund, mit dem wir wuchern können.«