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Priscus 2.0

Mehr Arzneimittel für Ältere ungeeignet

Der Countdown läuft: Bald erscheint die neue Priscus-Liste. Die Version 2.0 der bekannten Liste potenziell inadäquater Medikamente (PIM) für ältere Patienten wird deutlich umfangreicher als die erste. Der jetzt vorgestellte Arzneimittel-Kompass 2022 gab einen Vorgeschmack darauf, was das für die Bewertung der Medikation von älteren Menschen bedeutet.
Annette Rößler
18.11.2022  16:30 Uhr

PIM-Listen sind wichtige Hilfsmittel für Ärzte und Apotheker, wenn es darum geht, die Medikation älterer Patienten zu bewerten. In Deutschland hat sich vor allem die Priscus-Liste einen Namen gemacht, die 2010 von einer Gruppe um Professor Dr. Petra Thürmann, klinische Pharmakologin an der Universität Witten/Herdecke, erstellt wurde. Diese Liste umfasst 83 Wirkstoffe. Die Neuauflage, Priscus 2.0, ist bereits fertig und wird demnächst erscheinen. »Sie ist mit insgesamt 177 Wirkstoffen deutlich umfangreicher geworden«, informierte Thürmann bei der Vorstellung des Arzneimittel-Kompass 2022 in Berlin, den sie mit herausgibt.

Der Arzneimittel-Kompass enthält ein Kapitel zur neuen Priscus-Liste, in dem anhand von AOK-Daten auf alle Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hochgerechnet wird, wie hoch der Anteil an älteren Patienten mit PIM-Verordnung ist. Laut Thürmann ist er »erschreckend hoch« und liegt zwischen 44,2 Prozent bei den 65- bis 70-Jährigen und 54,1 Prozent bei den 75- bis 80-Jährigen. Frauen erhalten dabei in allen Altersgruppen etwas häufiger ein oder mehrere PIM als Männer.

Gegenüber früheren Untersuchungen, in denen ein Anteil von PIM-Verordnungen für Über-65-Jährige von 15 bis 20 Prozent gefunden wurden, sei das ein sehr starker Anstieg, so Thürmann. Allerdings müsse man berücksichtigen, dass hier erstmals die deutlich umfangreichere Priscus-2.0-Liste zugrunde gelegt wurde und nicht die alte Priscus-Liste.

Neu auf der Liste: PPI im Dauergebrauch

Was ist neu an Priscus 2.0? Hier sind vor allem die Protonenpumpenhemmer (PPI) zu nennen, die jetzt ab einer Verordnungsdauer von mehr als acht Wochen als PIM geführt werden. Thürmann und die anderen Herausgeber von Priscus 2.0 begründen die Aufnahme der PPI in die Liste mit dem erhöhten Risiko für Pneumonien, Clostridien-assoziierten Darmerkrankungen und Osteoporose beim Dauergebrauch der Magensäureblocker. Da PPI so häufig verordnet werden, sind sie die Hauptverursacher des enormen Zuwachses an PIM-Verordnungen: 53 Prozent der PIM-Verordnungen in der Analyse waren PPI als Langzeittherapie.

Neu als PIM gewertet werden auch einige orale Antidiabetika, nämlich Glibenclamid, Glimepirid und Acarbose. Ein interessantes Detail ist, dass die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) nicht auf der Liste auftauchen, obwohl sie auf internationalen PIM-Listen wie etwa der Beers-Liste zwischenzeitlich standen. Bei der deutschen Priscus-Liste war aber der Zeitraum zwischen dem ersten Erscheinen und dem jetzt erst erfolgten Update so groß, dass es mittlerweile genügend Evidenz für die Wirksamkeit und Sicherheit der DOAK auch bei älteren Patienten gibt, sodass sie auf der ersten Priscus-Liste noch nicht und auf der zweiten sozusagen nicht mehr stehen. Das Beispiel zeigt, dass eine regelmäßigere Aktualisierung der Liste ratsam ist, wie auch Thürmann einräumte: »Mit dem nächsten Update wollen wir nicht wieder zwölf Jahre warten.«

Grundsätzlich kann man gegen die Systematik der Priscus-2.0-Analyse im Arzneimittel-Kompass einwenden, dass es nicht ganz fair ist, die Kriterien einer PIM-Liste anzuwenden, bevor diese überhaupt erschienen ist. Andererseits wurden die Arzneimittel beziehungsweise Wirkstoffgruppen ja nicht ohne Grund auf die Liste gesetzt. Dass sie für ältere Patienten problematisch sein können, hätte auch davor schon bekannt sein müssen.

Abgesehen davon bleibt abzuwarten, wie sich die deutlich verlängerte Priscus-2.0-Liste im Versorgungsalltag bewähren wird. Möglicherweise wiegt das Argument, ein Arzneistoff stehe auf der Priscus-Liste und sei daher bei älteren Patienten möglichst abzusetzen oder auszutauschen, weniger schwer, wenn nunmehr mehr als doppelt so viele Wirkstoffe als zuvor als PIM gewertet werden.

Zweifellos offenbart die Analyse aber einmal mehr, dass bei der Beurteilung der Medikation von älteren Menschen jeder einzelne Wirkstoff kritisch hinterfragt werden sollte. Das gilt besonders für Senioren mit Polymedikation. Und deren Anteil steigt – auch das ist im Arzneimittel-Kompass nachzulesen.

Thürmann berichtete, dass Patienten ab 65 Jahren im Jahr 2021 durchschnittlich 4,4 verschreibungspflichtige Medikamente pro Tag einnahmen. Das bedeutete ein Plus von 12 Prozent gegenüber 2012, als es noch durchschnittlich 3,9 Mittel pro Tag gewesen waren. »Ein großer Teil dieser Verordnungen ist leitliniengerecht. Aber Leitlinien sind immer nur auf eine bestimmte Krankheit ausgerichtet. Viele Leitlinien adressieren das Problem der Multimorbidität und ›konkurrierender‹ Erkrankungen nicht ausreichend«, sagte Thürmann.

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