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Fasten für ein langes Leben

13.09.2004  00:00 Uhr

Fasten für ein langes Leben

von Dagmar Knopf, Limburg

Hungernde Fadenwürmer und Mäuse erreichen ein wahrhaft biblisches Alter. Hierfür scheint ein evolutionsgeschichtlich altes Stressprogramm verantwortlich zu sein, das auch beim Menschen vorhanden sein könnte.

Wer weniger isst, lebt länger. So provokant diese These auch klingen mag, es häufen sich die Indizien, dass nicht nur Hefen, Würmer und Fliegen von einer reduzierten Kalorienzufuhr profitieren. Anscheinend gilt auch für Menschen: Wer fastet, altert nicht so schnell.

Die ersten Hinweise auf diese erstaunlichen Zusammenhänge reichen fast 90 Jahre zurück. Im Jahre 1915 lebten einige Laborratten von Thomas Osborne und Lafayette Mendel an der Yale Universität deutlich länger als ihre Artgenossen. Die Forscher hatten zuvor die These aufgestellt, dass Lebewesen, die wenig Nahrung zu sich nehmen, weniger Energie verbrauchen und deshalb langsamer altern. Die Ernährungswissenschaftler setzten einige Ratten dauerhaft auf Diät – mit Erfolg, wie das längere Leben der Tiere bewies.

Lebensverlängernde Programme

Genauso wie den Ratten, erging es später auch Würmern und Fliegen. Wer wenig fraß, lebte länger. Neue Versuche von Stephen Spindler und Joseph M. Dhahbi von der University of California, Riverside, deuten an, dass die meisten Organismen genetische Programme besitzen, um Alterungsprozesse aufzuhalten. Aktiviert werden die lebensverlängernden Programme immer dann, wenn die Nahrung knapp wird und es für die Tiere unmöglich ist, sich fortzupflanzen. Um trotzdem Nachkommen erzeugen zu können, falls sich die Umweltbedingungen zum Positiven ändern sollten, verschieben sie ihr Altern einfach auf später.

Wie dies geschieht, konnte Spindler zumindest ansatzweise aufdecken (1). Mäuse, die Diät halten mussten, zeigten nach zwei Monaten auffällige Änderungen der Genaktivität. Manche Gene wurden vermehrt abgelesen und in Protein übersetzt, andere hingegen weniger als bei normal ernährten Mäusen. Bei den meisten dieser Gene handelte es sich um solche, die den Stoffwechsel verändern (Cytochrome, die unter anderem in die Oxidation von Fettsäuren involviert sind), oder als Wachstumsfaktoren (Thra1, der Rezeptor für das Schilddrüsenhormon T3), Immunboten (C4bp, ein Faktor des Komplementsystems) und Entzündungsvermittler arbeiten. Dies erklärt auf molekularer Ebene, was Forscher immer wieder beschreiben: Fasten reduziert chronisch entzündliche Prozesse und die Wucherung bösartiger Zellen. So bremst es den Verlauf typischer Altersleiden wie Diabetes, Arteriosklerose und Krebs. Spindlers Mäuse waren selbst das beste Beispiel. Die kalorienreduziert gehaltenen Mäuse lebten durchschnittlich fünf Monate länger als ihre nicht hungernden Artgenossen. Der Hauptgrund für ihr verlängertes Leben lag im gesunkenen Tumorrisiko.

Was bei der Maus so gut funktioniert, könnte auch beim Menschen wirken? Den heilsamen Effekt des Fastens testen einige Menschen schon seit Jahren am eigenen Leib. Immerhin 900 Mitglieder hat die „Gesellschaft zur optimalen kalorienreduzierten Ernährung“ in den USA, die sich mit der Hälfte der durchschnittlichen Kalorienmenge, die bei 2000 bis 3000 Kalorien liegt, zufrieden geben. 18 dieser Mitglieder hat sich ein Forscherteam um Dr. Luigi Fontana von der Washington University School of Medicine in St. Louis genauer angeschaut. Und tatsächlich leben die fastenden Menschen medizinisch betrachtet ungewöhnlich gesund. Cholesterol- und Körperfettwerte sind niedrig, ebenso Entzündungsindikatoren und Blutdruck. Insgesamt gesehen sind die Risikofaktoren für Alterskrankheiten bei ihnen viel schwächer vorhanden als ihrem Alter entsprechend. Sie scheinen um Jahre jünger zu sein als der Durchschnittsamerikaner. Bewiesen ist dadurch noch nichts, da die Gruppe für signifikante Ergebnisse viel zu klein ist. Auch ist bisher nicht bekannt, ob die jünger wirkenden Menschen tatsächlich länger leben werden.

Alterungsprozess aufgehalten

Aber warum sollte die Lebensverlängerung durch Fasten ausgerechnet beim Säugetier Mensch nicht funktionieren? Offensichtlich geht es hier um Prozesse, die so grundsätzlich sind, dass sie schon früh in der Evolution zur Lösung des Problems der Hungersnöte eingesetzt wurden. Wer nicht genug Nahrung bekommt, muss sich jung erhalten, bis die Reserven wieder für eigene Nachkommen reichen und in Ruhe gealtert werden kann.

Wie verbreitet die beteiligten Gene im Tierreich sind, haben gerade zwei Arbeiten in den Fachjournalen „Nature“ und „Science“ gezeigt. Leonard Guarente und seine Kollegen des Massachusetts Institute of Technology in Cambridge haben in Nagetieren ein Gen entdeckt (Sirtiun-1), dessen Pendant in Hefepilzen (SIR2) durch Fasten aktiviert wird und hier für ein längeres Leben sorgt (2). In den Versuchen von Guarente zeigte sich, dass Sirtuin-1 in Säugetieren eine wichtige Komponente der Kalorienreduktion aktiviert. Es sorgt für eine Mobilisierung von Fett aus dem weißen Fettgewebe (white adipose tissue, WAT). Genau dieses Fettgewebe scheint für die Lebenserwartung eine wichtige Rolle zu spielen: Mäuse mit weniger WAT leben länger. Dieser Effekt auf die Lebensspanne könnte aus den Hormonkonzentrationen, die vom weißen Fettgewebe ausgeschieden werden, herrühren. Je mehr Fettgewebe vorhanden, desto größer die produzierten Hormonmengen.

Das Team von David Sinclair von der Harvard Medical School in Boston entdeckte, dass Sirtuin-1 das Selbstmordprogramm der Zellen bremst (3). Die alternden Zellen leben länger. Allerdings häufen sich in alternden Zellen vermehrt Fehler im Erbgut an. Eigentlich ein Indikator für Tumore. Kalorienreduzierte Mäuse hingegen scheinen gegen Krebs geschützt zu sein, trotz verminderter Apoptose, weil möglicherweise ihre Zellen erhöhte Abwehr- und Reparaturfunktionen besitzen. Ihre Fähigkeit zum Zellselbstmord ist allerdings nur eingeschränkt, nicht vollständig verloren gegangen. Ist der Zellschaden trotz erhöhter Reparaturleistung nicht mehr zu beheben, schaltet sich in diesen Zellen das Apoptoseprogramm an und schützt so vor Tumoren.

Die Forscher spekulieren, dass es sich bei der Aktivierung von Sirtiun-1 durch Fasten um ein evolutionsgeschichtlich altes Stressprogramm handelt, das den Alterungsprozess verlangsamt, indem es lebensverlängernde Funktionen hochreguliert und für den Organismus entscheidende Zelltypen rettet.

Für die meisten Menschen wird Fasten wohl kaum ein gangbarer Weg sein, ihre eigene Lebenserwartung möglicherweise zu verlängern. Selbst wenn die spartanisch lebenden Mitglieder der „Gesellschaft zur optimalen kalorienreduzierten Ernährung“ auch einen Effekt beim Menschen glaubhaft machen. Dazu essen die meisten Menschen einfach zu gerne.

 

Literatur

  1. Dhahbi, J. M., et al., Temporal linkage between the phenotypic and genomic responses to caloric restriction, PNAS, Band 101 (2004) 5524 - 5529.
  2. Guarente L., et al., Sirt1 promotes fat mobilization in white adipocytes by repressing PPAR-g, Nature, Band 429 (2204) 771 - 776.
  3. Sinclair, D. A., et al., Calorie restriction promotes cell survival by inducing the sirt1 deacetylase. Science, Band 305 (2004) 390 - 392.
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