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Streitpunkt Biobanken

01.12.2003  00:00 Uhr

Streitpunkt Biobanken

von Hannelore Gießen, Hamburg

Für die Genomforschung wird es zunehmend wichtig, gesundes und krankes Gewebe zu sammeln und verknüpft mit den genetischen Daten zu lagern. Noch sind die Rechte der Patienten dabei jedoch ungeklärt. Das heiße Eisen „Biobanken“ war Thema einer Podiumsdiskussion beim dritten Presseseminar „Humangenomforschung“ Ende Oktober in Hamburg.

Der Begriff „Biobanken“ umschreibt Einrichtungen zur Speicherung von Materialien, die dem menschlichen Körper entnommen wurden. Biobanken sind privat oder öffentlich finanzierte Institutionen, die Blut, Sperma und aus Nabelschnurblut gewonnene Stammzellen ebenso wie die dazu gehörenden genetischen Daten archivieren.

Einen Teilaspekt haben bereits Blut-, Zell- und Organbanken abgedeckt. Doch Biobanken verknüpfen das biologische Material mit genetischen Informationen und personenbezogenen Daten des Spenders, beispielsweise zu seinen Erkrankungen und seinem Lebensstil. Auf dieser Basis will die Biomedizin herausfinden, wie genetische Ausstattung und Lebensweise sich im Phänotyp niederschlagen. Epidemiologische Untersuchungen sollen dazu beitragen, die Ursachen von Krankheiten zu erforschen sowie neue Wege in Diagnostik und Therapie zu entwickeln. Die meisten der auf diesem Weg erhobenen Daten werden weltweit für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt.

Molekulare Pathologie

Wie biologisches Material in der Forschung genutzt wird, stellte Dr. Thomas Henkel vom Klinikum Kassel exemplarisch am Beispiel der molekularen Pathologie vor: Innerhalb der vergangenen zehn Jahre habe sich dieses Gebiet stark verändert. Neben einer histologischen und zytologischen Untersuchung sei es inzwischen möglich, Gewebe oder Blut auch auf molekularer Ebene zu analysieren. Damit könne früher als bisher eine Diagnose gestellt werden, weil molekulare Veränderungen noch vor den histologischen zu erkennen sind.

Die molekulare Pathologie umfasst dabei ein Spektrum molekularbiologischer und immunologischer Methoden. Kombiniert auf Gewebe- oder Blutproben von Patienten und gesunden Probanden angewandt, trägt sie dazu bei, Entstehung und Verlauf von Krankheiten präzise zu verfolgen und so Ansatzpunkte für eine Heilung aufzuspüren.

Individuelle Arzneimitteltherapie

Eine individuelle Behandlung, die mithilfe einer Gewebecharakterisierung auf den Patienten abgestimmt werden kann, hat in die Tumortherapie bereits Einzug gehalten. Henkel führte drei Beispiele an, bei denen die Wirkstoffe speziell so entwickelt wurden, dass sie sich gegen bestimmte Zielstrukturen im Gewebe richten. Die Therapien sind deshalb nur für Patienten sinnvoll, die diese charakteristischen Strukturen aufweisen, was vor Beginn der Behandlung abzuklären ist.

So bindet zum Beispiel der monoklonale Antikörper Trastuzumab (Herceptin®) gezielt an den humanen epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor-2 (HER-2), der bei 25 bis 30 Prozent der Mammakarzinom-Zellen auf der Oberfläche vermehrt vorhanden ist. Trastuzumab, als erste zielgerichtete Krebstherapie, kann zumindest einem Teil der Brustkrebspatientinnen helfen.

Der Wirkstoff Imatinib (Glivec®) ist ein spezifisch wirkender Tyrosinkinase-Inhibitor zur Behandlung der chronisch myelischen Leukämie (CML). Therapeutisch zunutze gemacht hat man sich die Erkenntnis, dass fast alle entarteten Zellen eine charakteristische Veränderung im Erbgut aufweisen: Bei CML-Patienten liegt ein genetischer Defekt vor, der als „Philadelphia-Chromosom“ unter dem Mikroskop zu erkennen ist. Ausgelöst durch einen Fehler bei der Zellteilung enthält das Chromosom 9 ein Stück von Chromosom 22 und umgekehrt. Durch diese Translokation fusioniert ein Gen von Chromosom 9 mit seinem neuen Nachbargen auf Chromosom 22. Wird das Fusionsgen abgelesen, entsteht ein anomales Protein, das Tyrosinkinaseaktivität besitzt und das zu einer Vervielfältigung der Stammzellen und der davon abgeleiteten weißen Blutzellen führt. Imatinib bindet gezielt an eine bestimmte Stelle des defekten Enzyms und durchbricht so den krankhaften Prozess.

Als drittes Beispiel nannte Henkel den neuen Wirkstoff Gefitinib (Iressa®). Er blockiert selektiv den Rezeptor des epidermalen Wachstumsfaktors (EGFR), der bei manchen Tumorzellen überexprimiert wird. Gefitinib ist für den Einsatz bei hämatologischen Erkrankungen sowie verschiedenen soliden Tumoren vorgesehen. Auch hier muss vor Beginn einer Therapie mit der Substanz das Tumorgewebe molekularbiologisch untersucht werden. Die US-amerikanische Food and Drug Administration hat Gefitinib bereits zugelassen; in der EU ist die Substanz noch in der Zulassungsphase.

Die Rechte der Patienten

Aus Sicht der biomedizinischen Forschung sind Biobanken nötig, um therapeutische und diagnostische Methoden gezielt weiterzuentwickeln. Aus dem gleichen Grund ist auch die Pharmaindustrie an biologischem Material und daraus abgeleiteten Informationen interessiert. Für den Patienten selbst kann es ebenfalls Vorteile bieten, Gewebe, Blut oder anderes körpereigenes Material zu archivieren. Unübersehbar ist jedoch die damit verbundene Problematik: Mit dem auf diesem Weg gewonnenen Wissen werden Risiken individualisiert. Daraus könnten Ausschlüsse bei Versicherungen und Nachteile am Arbeitsmarkt resultieren. Ethisch und juristisch relevant ist die Frage, ob die gesammelten Körpermaterialien auch für kommerzielle Zwecke verwendet werden dürfen. Dabei ist zu klären, inwieweit die Patienten und Spender beziehungsweise deren Angehörige hierüber informiert werden müssen. Zurzeit ist ein so genannter „informed consent“ notwendig, in dem der Patient zustimmt, dass mit seinem Gewebe Forschung, eventuell auch kommerzialisierte, betrieben wird.

In einigen anderen Ländern ist die Entwicklung schon weiter vorangeschritten. Island und Estland hatten bereits vor einigen Jahren begonnen, die Daten der Bevölkerung in einer Großdatenbank zu speichern. Großbritannien baut zurzeit eine nationale Biobank auf, an der Gewebe, Blut und ähnliche Proben von 500.000 Personen im Alter von 45 bis 69 Jahren gesammelt wird. Die Probanden sollen zehn Jahre lang regelmäßig befragt und untersucht werden.

Deutsch-französische Ethik-Allianz

Wie die Rechte des Patienten beziehungsweise Spenders an seinem Material gewahrt und seine Persönlichkeitsrechte geschützt werden können, ist auch Thema des Nationalen Ethikrats, der ein gemeinsames Vorgehen mit Frankreich anstrebt. Auf einem Treffen Anfang Oktober diesen Jahres kamen die Ethikräte Frankreichs und Deutschlands zu dem Schluss, dass für die Errichtung von Biobanken auf nationaler und internationaler Ebene gesetzliche Grundlagen geschaffen werden müssen. Ohne weitergehende Regelungen zum Schutz von Patienten und Probanden, deren Beteiligung an einem möglichen Nutzen sowie der Einrichtung von Kontrollinstanzen sind Biobanken abzulehnen. Beide Länder müssen neue Rahmenbedingungen erarbeiten, um die Entwicklung und Nutzung der Forschung mit dem Schutz des Individuums in Einklang zu bringen.

 

P.A.T.H. - Biobank für Patienten Am 16. Oktober 2003 wurde eine erste patienteneigene Tumorbank gegründet: Im Klinikum Augsburg sowie im Klinikum Kassel sind die beiden ersten Spezial-Tiefkühlgeräte installiert, in denen Gewebeproben bei minus 152 Grad Celsius langfristig konserviert werden können. Dort können zunächst Brustkrebspatientinnen – später auch andere Krebspatienten – ihr Tumorgewebe für spätere Tests und die individuelle Erprobung neuer Therapien sichern lassen. Gegründet wurde P.A.T.H. (Patient Tumorbank of Hope) von Patientinnen und Wissenschaftlern.

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