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Mikrosystemtechnik in der Medizin

08.09.2003  00:00 Uhr

Mikrosystemtechnik in der Medizin

von Gudrun Heyn, Berlin

Universitätskliniken, Forschungseinrichtungen und Firmen basteln an einem breiten Spektrum innovativer Mikrosystemtechnik. Auf einem Forum des Verbandes der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) in Berlin warnten Experten nun davor, die derzeitige Vorreiterrolle Deutschlands zu verspielen.

Dabei scheint es nur noch ein kleiner Schritt bis künstliche Herzpumpen, intelligente Sensoren oder schnüffelnde Diagnosegeräte zum selbstverständlichen Alltag in der Medizin gehören. Die Grundlagen dazu sind längst erforscht.

Bereits 1987 gelang es am Deutschen Herzzentrum Berlin (DHZB) schwerst herzkranke Menschen mit Hilfe einer künstlichen Herzpumpe am Leben zu halten. Damals waren die Geräte noch so groß wie ein Kühlschrank. Heute lässt sich das Nachfolgemodell von 1998 problemlos implantieren. Nur Kabel müssen weiterhin durch die Haut geführt werden, um die Pumpe mit der außen liegenden Steuereinheit und den Batterien zu verbinden. Auch die nervenraubende Geräuschkulisse aus den Anfangstagen lässt sich mit der Lautstärke der modernen Erfindung kaum vergleichen. Kaum zu hören ist die neue künstliche Herzpumpe, die somit durchaus alltagstauglich geworden ist.

„Ich halte die Axialflusspumpe INCOR1 nach wie vor für das am weitesten fortgeschrittene System der Welt“, sagte Professor Dr. Roland Hetzer vom DHZB am Donnerstag. Das Leichtgewicht von etwa 200 Gramm dient der mechanischen Herzunterstützung und wird zusätzlich zum eigenen Herzen eingebaut. Es besteht aus Titan und Silikon, so dass keine Abstoßungsreaktionen zu befürchten sind. Nur bei Allergikern gilt es aufzupassen.

Kernstück der Pumpe ist eine Turbine. Das Besondere ist, dass der Rotor nicht auf Lagern läuft, sondern in einem Magnetfeld aufgehängt ist. Aufgebaut wird das Feld aus Flüssigmagneten, die nanotechnisch hergestellt werden. Dieses Magnetfeld treibt die Pumpe an. Nur etwa drei bis vier Watt werden verbraucht, wenn die Pumpe das Blut bis zur Hauptschlagader treibt. Trotz aller Leistungsfähigkeit, einen Hundertmeterlauf kann das künstliche Antriebssystem derzeit noch nicht mittragen.

Herzpumpe auch für Kinder

Im April 2003 erhielt die Hightech-Herzpumpe ihre CE-Zertifizierung zur Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Linksherzversagen und damit die Zulassung für den europäischen Markt. Hersteller ist die Firma Berlin Heart. Das nächste Entwicklungsziel ist die Vollimplantierbarkeit des Systems. Bereits in weniger als drei Jahren sollen Hautdurchleitungen von innen nach außen nicht mehr nötig sein.

Die klinische Erprobungen der INCOR begannen im Juni vergangenen Jahres. Inzwischen wurden in Berlin etwa 30 Menschen operiert. Davon verstarben vier. „Aber man macht einen solchen Eingriff auch nur, wenn keine andere Alternative mehr besteht“, sagte Hetzer. Es gilt die Zeit zu überbrücken, bis ein Spenderherz zur Transplantation bereitsteht. Dennoch erholten sich zwei der Patienten sogar soweit, dass die künstliche Herzpumpe auch ohne Spenderherz wieder entnommen werden konnte.

Mit einem gewissen Erholungseffekt des kranken Herzens erklären die Ärzte auch die Tatsache, dass drei bis vier Wochen nach der Implantation der Axialpumpe wieder ein Puls zu messen ist. Da das Blut laminar durch die Herzpumpe fließt, ist eine Blutdruckmessung normalerweise unmöglich. Erst wenn das eigene Herz wieder vermehrt arbeitet, kann es seine Pulswelle durch die Turbine hindurchschicken.

Auf dem langen Weg der Entwicklung gelang es Berlin Hearts auch Systeme für Kinder anzufertigen. Erstmals auf der Welt wurde 1990 in Berlin ein Kind an eine künstliche Herzpumpe angeschlossen. Durchgehalten hat ein solches System bis zur Transplantation bereits 420 Tage.

Künstliche Netzhaut und Telematik

Aber nicht nur an unterstützende Geräte denken Techniker und Ärzte, wenn es um innovative Medizintechnik geht. Mit Mikro- und Nanotechnologie werden der Organersatz vorangetrieben und Ideen zur Organheilung entwickelt. „In Zukunft werden wir künstliche Herzen, Nieren, Lebern und Augen haben, auch den Geruchssinn und das Fühlen werden wir nachbilden können“, sagte Uwe Ahrens, Vorstandsvorsitzender der AAP Implantate, Berlin.

An einer künstlichen Netzhaut wird an der Universität Oldenburg geforscht. Die Ausgangssignale der kortikalen Sehprothese sollen genau den Signalen der natürlichen Netzhaut entsprechen. Werden diese Signale in das Sehzentrum eines blinden Menschen eingespeist, erhoffen sich die Forscher um Professor Josef Ammermüller ein gewisses Sehvermögen.

Intelligente Sensoren übernehmen heute schon Überwachungsfunktionen. Aus der Herzchirurgie sind sie nicht mehr wegzudenken. „Durch die telematische Überwachung verlieren wir heute keinen Patienten mehr“, sagte Hetzer.

Intelligente Prothesen

Sicherer gemacht werden soll auch das Tragen künstlicher Hüftgelenke. Jährlich erhalten etwa 200.000 Menschen in Deutschland solch ein neues Gelenk. Doch die Lebensdauer des künstlichen Ersatzteils ist schwer vorhersagbar. So führen die Ärzte circa 20.000 Revisionsoperationen im Jahr aus. Davon erweisen sich im statistischen Durchschnitt 2000 Eingriffe als unnötig, denn die Diagnose einer lockeren Hüftprothese gestaltet sich schwierig. Röntgendurchleuchtung und Szintigraphie liefern keine genauen Ergebnisse.

An den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken Bergmannsheil in Bochum wird daher mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) an einer intelligenten Hüftprothetik gearbeitet. Die Daten einer eingebauten künstlichen Hüfte sollen von einem Sensor drahtlos nach außen übertragen werden. Der Sensor wird gleichzeitig mit dem Ersatzteil bei der Operation eingebaut. Ziel ist es, die Eigenfrequenz der Prothese zu nutzen. Die Entwickler erhoffen sich so, den einwandfreien Sitz des künstlichen Hüftgelenks auch noch nach zehn Jahren kontrollieren zu können. „Für die Zukunft planen wir, die Technik ebenso bei Kniegelenken einzusetzen“, sagte Dr. Bernhard Clasbrummel von der Uniklinik Bochum.

Ambulante Televisite

Ebenfalls vom BMBF gefördert und an der Uniklinik in Bochum angesiedelt ist ein Forschungsprojekt zur ambulanten Televisite. Machbarkeit und Effektivität werden derzeit mithilfe einer Studie, an der mehr als 100 Patienten teilnehmen, untersucht. Früher als gewöhnlich aus dem Krankenhaus entlassenen, wird ihnen ein leicht bedienbarer Computer mit nach Hause gegeben, der mit Touch-Screen-Monitor, Kamera und Fernbedienung ausgestattet ist. Die Betreuung durch die Klinikärzte läuft weiter, nur dass die tägliche Visite nun eine Televisite ist. Der Mediziner hat den Vorteil, alle Daten des Patienten gleichzeitig zur Verfügung zu haben. Auch die Akzeptanz von Seiten der Patienten ist nach einer Einführung von 30 Minuten sehr groß.

Der Patient, etwa mit einem schweren Unterschenkelbruch mit Lappenplastik, fotografiert jeden Morgen den Verlauf der Wundheilung und schickt seine Daten via Internet an die Klinik. Eines der Hauptprobleme für die Diagnose ist dabei die Farbechtheit der übermittelten Bilder. „Durch die Kalibrierung der Farben klappt die Diagnose jedoch erstaunlich gut“, sagte Clasbrummel und äußerte die Erwartung die Televisite ab Mai 2004 als Medizinprodukt verkaufen zu können.

Ein weiteres Anwendungsfeld innovativer Mikrosystemtechnik ist die Diagnose. Die am Forschungszentrum Karlsruhe entwickelte elektronische Nase Kamina erschnüffelt Sprengstoffe, Abfallsorten, Autoabgase oder Angst. Der Cent-kleine Chip soll nun auch bei der Detektion von Infektionen eingesetzt werden.

Sorgen bereitet den Experten des VDE-Forums zunehmend die Umsetzung mikrosystemtechnischer Erfindungen in marktfähige Produkte. „In Deutschland werden die Grundlagen erforscht, und in Japan und Amerika macht man dann das Geschäft“, meinte Ahrens. Doch es fehlt nicht nur am Risikokapital durch Banken und Börse. Ebenso besorgniserregend sei die Entwicklung der Sozialsystemen. So äußerte sich Hetzer äußerst skeptisch, ob in Deutschland angesichts des pauschalierten Entgeldsystems in den Krankenhäusern (DRG) innovative Herzoperationen in Zukunft noch möglich sein werden. Top

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