Zu viele Unfälle bei Kindern |
17.03.2003 00:00 Uhr |
Kinder müssen besser vor Heim-, Freizeit- und Sportunfällen geschützt werden, fordert der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Notwendig sei die Gleichstellung mit der bereits seit Jahrzehnten erfolgreich betriebenen Prävention bei Verkehrsunfällen, sagte der Beauftragte für Kinderunfälle, Dr. Jörg Schriever, beim sechsten BVKJ-Forum für Gesundheits- und Sozialpolitik in Berlin.
"Die Zahl der Verkehrstoten unter 16 Jahren sank von 2167 im Jahr 1970 um fast 90 Prozent auf 240 im Jahr 2000", sagte Schriever. Bei Heim- und Freizeitunfällen hingegen kamen im selben Jahr 279 Kinder zu Tode. Insgesamt erleiden jedes Jahr knapp 1,9 Millionen Kinder einen Unfall, der eine ärztliche Behandlung erfordert. Etwa 250.000 verletzen sich so schwer, dass sie stationär betreut werden müssen. Die Hauptrisikogruppe sind Kleinkinder, die dreimal so oft verunglücken wie Schulkinder. Die häufigste Einzelursache für tödliche Unfälle im ersten Lebensjahr ist Ersticken, bei Kleinkindern Ertrinken. Die häufigste Unfallart ist mit 52 Prozent der Sturz.
Während bei der Prävention von Verkehrsunfällen die Bundesanstalt für Straßenwesen zentral Forschung betreibe und der Verkehrssicherheitsrat alle Aktivitäten koordiniere, werde die Bekämpfung der Heim- und Freizeitunfälle in Deutschland vernachlässigt, kritisierte Schriever. "Dabei ließen sich mehr als 60 Prozent aller Unfälle vermeiden und allein bei Kindern Kosten von mehr als einer Milliarde Euro einsparen", rechnete er vor. Vorbeugung gegen Unfälle sei überdies effektiver als gegen Krankheiten. Um Abhilfe zu schaffen, fordert der BVKJ nach dem Vorbild anderer europäischer Länder die Einrichtung eines Institutes für Unfallforschung und Verhütung für den Bereich Heim, Freizeit und Sport.
Auch der Leiter des entsprechenden österreichischen Forschungsinstitutes "Sicher leben", Dr. Rupert Kisser, beklagte das Fehlen einer vergleichbaren Einrichtung in Deutschland. "Für wirksame Prävention bedarf es eines leistungsfähigen und fachlich unabhängigen Institutes, das eine Statistik führt und auswertet, Grundlagenforschung betreibt, Maßnahmen ableitet und diese durchexerziert", sagte er. In Österreich sei es durch die Arbeit von "Sicher leben" gelungen, die Zahl der Unfälle von Kindern dauerhaft und nachhaltig zu senken. Bloße Aufklärung sei nur ein Alibi, sagte Kisser. Angesetzt werden müsse stattdessen zum Beispiel bei den Vorschriften zum Bau von Spielplätzen und der Produkthaftung. Grundvoraussetzung für eine wirksame Präventionsarbeit sei jedoch zuverlässiges Datenmaterial, das es in Deutschland derzeit nicht gebe.
Der Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale
Sicherung, Dr. Klaus Theo Schröder, betonte die "herausragende Stellung"
der Kinder- und Jugendärzte bei der Prävention und räumte bestehende
Mängel ein. "Für den Erfolg brauchen wir aber eine Vielzahl von
Mitspielern", sagte er. Neben technischen Maßnahmen und einer verstärkten
Sicherheitserziehung sei auch der Gesetzgeber gefordert. Zudem stünden in
einem föderalen Land mit einem subsidiären Gesundheitssystem auch die
Länder "in der Pflicht".
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