Zellen gegen die Makuladegeneration |
08.10.2001 00:00 Uhr |
von Ulrike Wagner, Eschborn
Eine neue Therapie der altersabhängigen Makuladegeneration haben Wissenschaftler erfolgreich im Tierversuch getestet. Sie implantierten menschliche Retina-Zellen in die Augen von Ratten, deren Sehzellen auf Grund eines genetischen Defektes spontan degenerieren. Damit konnten die Forscher die Netzhaut vor Zerstörung schützen und den Sehverlust aufhalten. Das meldet das französische Biotech-Unternehmen Neurotech, Evry, und stützt sich auf eine Veröffentlichung in den Proceedings der National Academy of Sciences (PNAS).
Raymond D. Lund vom Insitute of Ophthalmology des University College London und seine Mitarbeiter verwendeten "Royal College of Surgeons"-Ratten für ihre Versuche. Die Pigmentepithelzellen dieser Tiere können wegen einer Mutation die Fotorezeptoren in der Retina des Auges nicht in ihrer Funktion unterstützen. Dadurch gehen innerhalb mehrerer Monate die Rezeptorzellen zu Grunde und die Ratten erblinden. Die Tiere gelten als Modellorganismen für die altersabhängige Makuladegeneration des Menschen.
Die Forscher verwendeten Zelllinien aus Retina-Pigmentepithelzellen des Menschen und transplantierten die Zellen unter die Retina der Ratten. Im Vergleich zu unbehandelten Tieren gingen bei ihnen deutlich weniger Sehzellen zu Grunde. In Funktionstests reagierten die behandelten Tiere 10 beziehungsweise 20 Wochen nach der Transplantation besser auf visuelle Reize. Und auch elektrophysiologische Methoden belegten, dass sich bei den behandelten Ratten der Sehverlust aufhalten ließ. Der Effekt war bis zu fünf Monate nach der Transplantation nachweisbar, heißt es in der PNAS-Veröffentlichung.
Neue Zellen als Müllschlucker
Wie die Zellen die Rezeptoren vor der Zerstörung schützen, ist noch unklar. Die Wissenschaftler vermuten, dass sie in der Retina Wachstumsfaktoren produzieren, die die Fotorezeptoren benötigen. In Kultur wurde dies bereits nachgewiesen. Sie könnten die Sehzellen jedoch auch durch Phagozytose unterstützen, vermuten die Forscher. Denn als Pathomechanismus der Erkrankung sowohl bei Ratten als auch beim Menschen vermuten Experten, dass die Pigmentepithelzellen nicht ausreichend phagozytieren. Im gesunden Auge bauen sie die ständig von den Fotorezeptoren abgestoßenen Membranscheibchen ab. Geschieht dies nicht, lagern sich die an Proteinen und Phospholipiden reichen Scheiben unter der Retina ab, und der Sehvorgang wird gestört.
Um eine Abstoßungsreaktion gegen die artfremden Zellen zu verhindern, erhielten die Ratten nach der Transplantation Ciclosporin. Eine Entzündungsreaktion auf die fremden Zellen blieb erwartungsgemäß aus. Trotz der Immunsuppression begannen die Zellen nicht, unkontrolliert zu wachsen.
Zur Verhinderung einer Abstoßung beim Menschen wollen die Wissenschaftler nun eine ganze Sammlung von Zelllinien etablieren, die verschieden Oberflächenantigene tragen. Außerdem könnte man die Pigmentepithelzellen selbst mit lokalen Immunsuppressiva ausstatten. Vorstellbar sei, sie genetisch so zu verändern, dass sie das lokal dämpfende Zytokin Interleukin-10 in größeren Mengen synthetisieren und abgeben. Damit würden sie in der eigenen Umgebung eine Immunreaktion unterdrücken, hoffen die Wissenschaftler.
Die verwendeten Zellen teilen sich auf Grund genetischer Veränderungen ständig. Dadurch kann man sie sehr lange in Kultur halten, in ausreichenden Mengen produzieren und auf Chromosomenveränderungen, Tumorigenität und potenzielle Pathogene testen, beschreiben die Wissenschaftler die Vorteile permanenter Zelllinien.
Andere Forschergruppen haben auch beim Menschen bereits versucht, durch die Implantation von Zellen die Zerstörung der Sehkraft aufzuhalten - bislang ohne Erfolg. Die implantierten Zellen stammten jedoch nicht aus permanenten Zelllinien, sondern aus primären Zellen Verstorbener. Es sei schwierig, daraus ausreichend Zellen eines Zelltyps zu isolieren. Zudem muss für jeden Spender sichergestellt werden, dass keine veränderten Zellen oder Pathogene übertragen werden. Bislang seien auch funktionelle Parameter dieser Zellen kaum getestet worden.
Die altersabhängige Makuladegeneration ist derzeit die Hauptursache für Erblinden in den Industrieländern. 30 Prozent der über 70-Jährigen leiden unter dem schleichenden Verlust der Sehkraft.
Quelle: Lund, R. D., et al., Subretinal transplantation
of genetically modified human cell lines attenuates loss of visual
function in dystrophic rats. PNAS 98, Nr. 17 (14. August 2001) 9942-9947.
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