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Gratwanderung bei der Medikation

17.02.2003  00:00 Uhr
Phosphatdiabetes

Gratwanderung bei der Medikation

von Christiane Berg, Bremen

Besonders im zweiten Lebensjahr und nach Beginn des Laufenlernens sind O-Beine nicht selten und stellen meist kein Symptom einer Erkrankung dar. Sie können jedoch das erste Zeichen eines Phosphatdiabetes sein, einer spezifischen Form des Kleinwuchses.

„Die Diagnose Phosphatdiabetes ist einfach, man muss nur dran denken“, betonte Dr. Dirk Schnabel, Berlin, bei einem Workshop des Bundesverbandes Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien - BKMF am 7. Februar. Der wichtigste Schritt auf dem Weg zur Identifikation der seltenen familiären hypophosphatämischen Rachitis (Inzidenz 1 von 20.000 Neugeborenen) sei, dass der Arzt bei Vorstellung eines Kindes mit O-Beinen den Phosphatdiabetes differentialdiagnostisch mit in Betracht zieht. Je früher die Diagnose gestellt wird, desto aussichtsreicher die Therapie und umso größer die Chance, „verlorenem Endwachstum“ vorzubeugen, unterstrich der Referent.

Reduzierte Erwachsenengröße

Beim Phosphatdiabetes handelt es sich um eine erblich bedingte tubuläre Störung der Phosphatrückresorption durch Mutationen im so genannten PHEX-Gen (PHEX: Phosphate regulation gene with homologies to endopeptidases located on the X-chromosome), das auf dem distalen Anteil des X-Chromosoms liegt. Der Gendefekt bringt eine verminderte Phosphatausscheidung über die Niere und damit auch eine Senkung des Serumphosphatspiegels mit sich. Aus der Verschiebung des Calcium-Phosphat-Verhältnisses im Blut resultiert die hypophosphatämische Rachitis mit Knochenverbiegungen. Auffälliges klinisches Symptom ist zudem der disproportionierte Kleinwuchs. Dessen Entstehung ist bislang nicht vollständig aufgeklärt. Nur zum Teil ist er auf die Krümmung der Beine zurückzuführen. Die Betroffenen leiden unter einem watschelnden, breitbasigen Gang, Sehnenverkalkungen sowie Störungen der Zahnentwicklung mit schwerwiegenden Deformitäten und Abszessen bis hin zum Verlust der vereiterten Zähne.

Erniedrigtes Serumphosphat, erhöhte alkalische Phosphatase, Normalwerte für Serum-Calcium, Parathormon und 25-Dihydroxyvitamin D3: Die Diagnose Phosphatdiabetes kann nicht nur durch einen einfachen Blut- und Urintest, sondern mittlerweile auch durch molekulargenetische Untersuchungen gesichert werden. Zur Therapie erhalten die Betroffenen mehrmals täglich 50 bis 70 mg Phosphat pro Kilogramm Körpergewicht in fünf bis sechs Einzeldosen sowie 20 bis 40 Nanogramm Vitamin D (Calcitriol) pro Kilogramm Körpergewicht in ein bis zwei Einzeldosen. Meist bessern sich die rachitischen Beinverbiegungen unter einer ausreichenden medikamentösen Therapie, informierte Schnabel. Das Körperwachstum lasse sich dadurch jedoch nur geringfügig beeinflussen, so dass die Jungen nur eine durchschnittliche Körpergröße von 157, die Mädchen eine Größe von 152 Zentimetern erreichen.

Gefahr der Nierenverkalkung

Bei unzulänglicher Kontrolle und zu hoher Dosierung der Medikation kann es zur Verkalkung des Nierenparenchyms (Nephrocalcinose) kommen. Daher müssen die Nieren mit Hilfe von Ultraschall und der Calciumausscheidung im Urin regelmäßig überprüft werden, erklärte der pädiatrische Endokrinologe. Für die Patienten stehen andere unerwünschte Wirkungen wie abdominelle Beschwerden sowie Durchfälle als Folge der hoch dosierten osmotisch wirksamen Phosphatgaben im Vordergrund. Diese Nebenwirkungen lassen sich durch häufigere Einnahme geringerer Mengen minimieren. Der Phosphatdiabetes sei den niedergelassenen Kinderärzten im Praxisalltag zumeist „nicht präsent“. Auf Grund der Komplexität des Krankheitsbildes plädierte Schnabel für die verstärkte Betreuung in entsprechend spezialisierten Einrichtungen, also sozialpädiatrischen Zentren.

„Unser Hauptaugenmerk als Eltern eines betroffenen Kindes liegt in der schwierigen Gratwanderung der Medikamentendosierung, um einerseits eine Nierenverkalkung zu verhindern, andererseits aber das Phosphatdefizit und die damit verbundenen Mangelerscheinungen bestmöglich auszugleichen“, bestätigte Christian Lemmingson, Laupheim. Der Leiter der BKMF-Gruppe Phosphatdiabetes ist Vater der heute acht Jahre alten Katja, bei der die seltene Rachitis im Alter von eineinhalb Jahren diagnostiziert wurde.

Katastrophe durch DRGs

Die typischen Deformitäten der Ober- und Unterschenkelknochen haben sich unter der Medikation zurückgebildet, berichtete Lemmingson. Katjas voraussichtliche Endgröße liegt bei 155 Zentimetern. Doch habe die zum Teil zwangsweise Verabreichung der Medikamente in der Klinik zu Beginn der Erkrankung bei dem Kind traumatische Erinnerungen hinterlassen. Noch immer sei die regelmäßig über den Tag verteilte Medikamenteneinnahme für seine Tochter eine psychische Belastung. Lemmingson beklagte den Mangel an Phosphat-Depotpräparaten. Als besonders quälend habe das Mädchen die Ausgrenzung durch Gleichaltrige zum Beispiel beim Spielen in der Schule empfunden. Kontakte zur Selbsthilfe seien mehr als hilfreich, nicht nur für die Eltern, sondern gerade für die betroffenen Kinder, schilderte der Ingenieur seine Erfahrungen.

In Deutschland gibt es etwa 100.000 Menschen, die von Kleinwuchs betroffen sind. Man geht heute von mindestens 450 verschiedenen Ursachen und Formen aus, von denen bei 2800 Mitgliedern 90 im Bundesverband vertreten sind, so Karl-Heinz Klingebiel, BKMF-Geschäftsführer. Klingebiel machte deutlich, dass der Verband mit großer Sorge den Auswirkungen der Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen entgegensieht. Für die Betroffenen zeichne sich eine Katastrophe ab. So sei damit zu rechnen, dass kleinwüchsigen Patienten im Rahmen der „Diagnosis Related Groups“ (DRGs) Hilfe durch dringend notwendige Operationen nicht mehr zuteil wird, da die oft sehr aufwendigen Eingriffe kostenmäßig nicht mehr gedeckt werden.

 

Kontakt Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien e.V. - BKMF
Hillmannplatz 6
28195 Bremen
www.bkmf.de
Telefon (04 21) 50 21 22
info@bkmf.de

Arbeitsgruppe Phosphatdiabetes
www.phosphatdiabetes.de
dirk.schnabel@charite.de

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