Knochenmarkzellen bilden Neuronen |
27.01.2003 00:00 Uhr |
von Dorothee Ott, Eschborn
Menschliche Stammzellen aus dem Knochenmark sind offensichtlich in der Lage, ins Gehirn zu gelangen und sich zu Nervenzellen zu differenzieren. Wissenschaftler vom National Institute of Neurological Disorders and Stroke (NINDS), Bethesda/Maryland, haben im Gehirn Verstorbener Neuronen gefunden, die aus zuvor transplantierten Stammzellen entstanden sein müssen.
Frühere Untersuchungen hätten bereits gezeigt, dass Knochenmarkzellen in Mäusegehirne eindringen und dort Neuronen bilden könnten, so Dr. Eva Mezey vom NINDS in einer Pressemitteilung des Instituts. Die kürzlich in einer Online-Ausgabe von Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichte Studie zeige jedoch, dass dieses Phänomen auch bei Menschen auftritt.
Im Rahmen der Studie untersuchten die Wissenschaftler das durch Autopsie gewonnene Hirngewebe von vier Patientinnen – zwei Erwachsenen und zwei Kindern. Alle vier hatten auf Grund unterschiedlicher Erkrankungen Knochenmark von männlichen Spendern erhalten und überlebten anschließend noch ein bis neun Monate. Auf der Suche nach Zellen mit Y-Chromosom wurde das Team um Mezey bei allen Patientinnen fündig: Neben einem Großteil an Glia-Zellen und anderen nicht-neuronalen Zellen wiesen auch einige Neuronen Y-Chromosomen auf. Dies sei ein Zeichen, dass sich diese Zellen aus den transplantierten männlichen Knochenmarkzellen ableiteten. Die entdeckten Neuronen fanden sich dabei vor allem im cerebralen Cortex und im Hippocampus.
Die Zellen mit Y-Chromosom traten dabei vorwiegend als Cluster auf, die sowohl neuronale als auch nicht-neuronale Bestandteile aufwiesen. Dies könnte darauf hinweisen, dass sich eine einzelne Stammzelle im Gehirn in verschiedene Zellen differenziert hat, so Mezey. Möglich sei aber auch, dass bisher noch unbekannte Signale mehrere Knochenmarkzellen ins Gehirn geleitet hätten.
Das Gehirn mit den meisten vom Knochenmark abgeleiteten Neuronen stammt von der jüngsten Patientin, die gleichzeitig am längsten überlebte. Ob die größere Anzahl der Neurone durch das Alter des Mädchens oder durch die längere Überlebenszeit verursacht wurde, ist noch unbekannt. Die Zahl der insgesamt identifizierten Neuronen war jedoch wesentlich geringer als die in den Maus-Experimenten.
Fusion mit differenziertem Gewebe
Neuere Studien hatten gezeigt, dass Stammzellen in der Lage sind, mit bereits differenziertem Gewebe zu fusionieren. Die dadurch entstehenden Zellen trugen vier Geschlechtschromosomen (X- und Y-Chromosomen) statt der üblichen zwei. Um die Entstehung der Neuronen durch eine derartige Fusion ausschließen zu können, überprüften die Wissenschaftler mehrere Hundert der entdeckten Zellen einer Patientin, fanden aber keine mit vier Geschlechtschromosomen.
Dass in vorangegangenen Studien auch bei erwachsenen Frauen, die keine Transplantation erhalten hatten, Zellen mit Y-Chromosom gefunden wurden, kann hier ebenso vernachlässigt werden. Denn Forscher führen diese Zellen auf Schwangerschaften mit männlichen Feten zurück, was bei den beiden untersuchten Kindern ausgeschlossen ist.
Nun müssen weitergehende Studien die Signale identifizieren, die die Knochenmarkzellen anlocken und sie dazu anregen, sich in Neurone zu entwickeln. Gleichfalls sollen Menschen untersucht werden, die längere Zeit nach ihrer Knochenmarktransplantation überlebt haben, um herauszufinden, ob sich die Zahl der Neuronen mit der Zeit vergrößert.
Diese Studie sei erst der Beginn, es sei noch zu früh in diesen
Ergebnissen schon brauchbare Behandlungen für neurologische Erkrankungen zu
sehen, so Mezey.
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