BPH-Phytopharmaka: Erfahrung allein reicht nicht |
15.12.1997 00:00 Uhr |
Medizin
Betroffen sind viele, das Risiko steigt mit dem Alter, und die Zahl der
unbehandelten Fälle ist hoch. Die Rede ist von der benignen
Prostatahyperplasie (BPH), die vor allem Männer ab dem sechsten
Lebensjahrzehnt leiden läßt. Zu den bekannten Symptomen gehören unter
anderem Harndrang, Dysurie und Restharn.
Im riskanten Alter jenseits der 50 sind nach Aussage von Professor Dr. Dietmar
Bach, Chefarzt der Urologischen Abteilung und Kinderurologie des St.
Agnes-Hospitals Bocholt, in Deutschland über 11 Millionen Männer. Knapp 2
Millionen leiden unter einer symptomatischen BPH. Privatdozentin Dr. Karin Kraft
von der Universitäts-Poliklinik Bonn ging sogar noch weiter: Bei den über 60jährigen
seien rund 70 Prozent Träger einer BPH, sagte sie bei einem Symposium der
Kooperation Phytopharmaka in Bonn, Bad Godesberg. Nur rund 30 Prozent der
behandlungsbedürftigen Fälle würden derzeit therapiert.
Ein Grund dafür ist sicherlich die Scheu der Betroffenen, über ihre Beschwerden zu
sprechen oder zum Arzt zu gehen. Hinzu komme, daß einheitliche Empfehlungen für
die medikamentöse Therapie bislang fehlen, ergänzte Bach. Trotzdem oder vielleicht
gerade deshalb spielt der Griff zum Phytopharmakon bis heute die führende Rolle in
der Behandlung der BPH. Bach: "Fast 90 Prozent aller Prostatamittel sind
Phytopharmaka". Und das, obwohl die Anwendung der pflanzlichen Präparate
bisher weitgehend auf Erfahrungswerten beruht; fundierte wissenschaftliche Studien
sind - wenn überhaupt - erst in Ansätzen vorhanden. Industrie und Wissenschaft
seien gefordert, dieses Manko zu beseitigen, betonten die Referenten in Bad
Godesberg.
Im wesentlichen stehen fünf Phytopharmaka - Sabalextrakt, Roggenpollen,
ß-Sitosterin, Brennessel- und Kürbisextrakt - den chemisch-synthetischen
BPH-Mitteln (5-alpha-Reduktasehemmer und Alpha-Blocker) gegenüber, faßte
Bach zusammen. Vorteile der pflanzlichen Präparate sieht er in deren günstigem
Kosten- und Nebenwirkungsprofil sowie in der hohen Patientenakzeptanz.
Therapeutisch liege die Chance der Phytos vor allem in einer Verbesserung der
BPH-Symptome.
Dr. Moritz Braun von der Urologischen Universitätsklinik in Köln berichtete von
klinischen Erfahrungen mit pflanzlichen Prostatapräparaten. So wurde beispielsweise
die Wirkung eines Sabalextraktes an über 1000 BPH-Patienten im Hinblick auf die
Beeinflussung der Lebensqualität und des IPS-Scores (Erfassung von Symptomen
wie Restharn, Pollakisurie, verzögerter Miktionsbeginn, imperativer Harndrang oder
abgeschwächter Harnstrahl) untersucht. Insbesondere Nykturie und Restharngefühl
hätten sich unter der Therapie deutlich gebessert, so Braun.
Auch unter der mehrmonatigen Therapie mit Brennesselwurzelextrakt habe man eine
signifikante Besserung der IPS-Scores der Patienten beobachtet. Weiteren Studien
zufolge scheint die dreimal tägliche Anwendung von 150 mg Urtica-Extrakt keine
Vorteile gegenüber einer einmal täglichen Gabe der dreifachen Menge zu zeigen.
Nach Braun kann daher die patientenfreundlichere Einmalgabe empfohlen werden.
Forschungsbemühungen müssen aus seiner Sicht verstärkt auf die Aufklärung des
Wirkmechanismus der Phytopharmaka zielen, da dieser in vielen Fällen nicht
ausreichend geklärt sei.
Als nicht ausreichend beklagte Bach auch das Angebot an aussagekräftigen
Vergleichsstudien zwischen pflanzlichen und chemisch-synthetischen
BPH-Präparaten: "Es gibt bisher keine Langzeit-Vergleichsstudie, die länger als ein
Jahr durchgeführt wurde". In den wenigen, bislang vorliegenden Untersuchungen
hätten sich jedoch im Prinzip vergleichbare therapeutische Effekte gezeigt, faßte er
zusammen.
Er bezog sich unter anderem auf eine dreiwöchige Vergleichsstudie mit 63 Patienten,
die entweder mit Alfuzosin oder Sabalextrakt behandelt wurden. Während im
Hinblick auf die Verbesserung des Harnflusses der Alpha-Blocker signifikant besser
abschnitt, konnte bezüglich der Restharnbeeinflussung kein Unterschied festgestellt
werden. Auch in einer prospektiven randomisierten Therapiestudie mit 60
BPH-Patienten, die entweder ein Pflanzenpräparat oder einen Alpha-Blocker
erhielten, wurden laut Bach nur geringe, nicht signifikante Vorteile für den
chemisch-synthetischen Wirkstoff beobachtet.
Als weiteres Beispiel nannte er eine 26wöchige Vergleichsstudie zwischen dem
5-alpha-Reduktasehemmer Finasterid und Sabalextrakt mit über 1000
BPH-Patienten: Bei der Miktionssymptomatik zeigten beide ähnliche Effekte,
durchschnittlich nach 6,5 Wochen trat eine Besserung ein; das Prostatavolumen
wurde allerdings durch Finasterid deutlich stärker reduziert. In einer anderen Studie
mit knapp 500 BPH-Patienten konnten nach seinen Worten auch mit einem
kombinierten Sabal-/Brennesselextrakt und Finasterid vergleichbare Ergebnisse
erzielt werden.
PZ-Artikel von Bettina Neuse-Schwarz, Bonn
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