Wie Vitamin E vor KHK schützt |
03.11.1997 00:00 Uhr |
Medizin
Hohe Vitamin-E-Dosen als Sekundärprävention können nach aktuellen
Studienergebnissen für Patienten mit koronarer Arteriosklerose das Risiko
nichletaler Myokardinfarkte verringern. Vitamin E schützt das
Gefäßendothel durch seine antioxidative Wirkung. Doch dies ist nur ein Teil
seines antiatherogenen Potentials: Alpha-Tocopherol hemmt die
Thrombozytenadhäsion und die Proliferation von glatten Muskelzellen, die
mit der Arterioskleroseentstehung zu tun haben. Zu diesem Ergebnis kam
ein Workshop, den das Institut für medizinische Vitaminforschung in
Prävention und Rehabilitation in Zusammenarbeit mit Hermes Arzneimitel in
München veranstaltete.
Die 1996 veröffentlichte CHAOS-Studie belegt, daß eine Sekundärprävention mit
täglich 400 oder 800 I. E. natürlichem Vitamin E bei Patienten mit koronarer
Arteriosklerose nach etwa einem Jahr zwar nicht das Risiko eines kardiovaskulären
Todes, wohl aber das eines nichttödlichen Myokardinfarkts senkt.
Welcher Zusammenhang zwischen Vitamin-E-Supplementierung und
kardiovaskulärem Tod besteht, müssen derzeit laufende klinische Studien klären.
Auch andere epidemiologische und klinische Untersuchungen ergaben, daß hohe
Vitamin-E-Spiegel die Morbidität und Mortalität bei koronarer Herzkrankheit
(KHK) günstig beeinflussen. Deshalb empfahlen die Referenten des Workshops für
Patienten mit Koronararteriosklerose übereinstimmend, zusätzlich zu den in der
Nahrung durchschnittlich enthaltenen 12 mg Vitamin E pro Tag höhere Dosen
einzunehmen - zumal auch bei hochdosierter Langzeiteinnahme des natürlichen
Nahrungsbestandteils keine unerwünschten Wirkungen bekannt sind.
Unterschiedlich waren die Meinungen zur Primärprävention arteriosklerotisch
bedingter Herz- und Gefäßerkrankungen mit Vitamin E. Pharmazeutische Hersteller
bemühen sich derzeit um eine Zulassung für diese Indikation. Doch bislang fehlen
kurzfristige Präventivmarker und prospektive kontrollierte Untersuchungen,
inwieweit alpha-Tocopherol arteriosklerotische Gefäßveränderungen verhindern,
frühe Gefäßläsionen zurückbilden oder deren Progredienz verlangsamen kann.
Wie ist die in neueren klinischen Untersuchungen beobachtete Verringerung des
kardiovaskulären Risikos durch Vitamin E zu erklären? Dr. Peter Rösen, Professor
an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, führt sie auf einen antioxidativen
Schutz des Gefäßendothels zurück. Arteriosklerotische Gefäßkomplikationen
entwickeln sich, wenn chronische Risikofaktoren wie Hypertonie,
Hyperlipoproteinämie oder Diabetes mellitus die Gefäßwand irreversibel
deformieren: Die Permeabilität der Endothelbarriere steigt, wodurch mehr
LDL-Plasmaproteine in die Intima gelangen. Die Expression von
Adhäsionsproteinen auf Endothel, Mono- und Thrombozyten schränkt die
Thromboresistenz der Endotheloberfläche ein; Adhäsion und Transmission von
Monozyten sowie Adhäsion und Aggregation von Thrombozyten sind erleichtert. Als
Folge werden vermehrt Wachstumsfaktoren, vasokonstriktorische Mediatoren und
Zytokine freigesetzt. Das Risiko thromboembolischer Komplikationen ist erhöht.
Zudem reagiert das Endothel empfindlicher auf vasokonstriktorische Faktoren, was
die bedarfsgerechte Steuerung der Gefäßweite weiter einschränkt.
Verantwortlich für diese veränderten Endotheleigenschaften sind Sauerstoffradikale,
die direkt in den Endothelzellen entstehen oder durch Makrophagen während des
Aufräumens von LDL-Partikeln aus der Gefäßwand gebildet werden. Im Sinne eines
Verstärkungsmechanismus entstehen oxidierte LDL-Partikel, die das Endothel
weiter schädigen. Schließlich entgleist der Aufräumprozeß mit der Bildung von
Schaumzellen, der Sekretion von Wachstumsfaktoren, der Proliferation glatter
Muskelzellen und der Produktion bindegewebsartiger Fasern. Außerdem
inaktivieren die Sauerstoffradikale Endothelmediatoren für Thromboresistenz und
Vasodilatatoren. Sie können Stickstoffmonoxid inaktivieren und die
Prostacyclinsynthese hemmen.
"Tocopherol schützt das Endothel", erklärte Rösen: "Es hemmt die LDL-Oxidation,
verringert die Permeabilität der Endothelzellschicht, normalisiert die Gefäßantwort
und inhibiert die Adhäsion von Thrombo- und Monozyten an das Gefäßendothel",
faßte er die Ergebnisse experimenteller Untersuchungen zusammen.
Alpha-Tocopherol - mehr als ein Antioxidanz...
Vitamin E hemmt Thrombozytenfunktionen, die zur Entstehung arterieller
Thrombosen führen. Kontakt mit haftenden Oberflächen aktiviert zirkulierende
Thrombozyten. Ihr scheibenförmiges Aussehen verwandelt sich in eine sphärische
Form mit lang vorgewölbten Filopodien (Fortsätze), mit denen sich die
Thrombozyten auf Oberflächen verankern und ausbreiten können In Studien
verringerten 200 bis 400 I. E. alpha-Tocopherol täglich die Pseudopodienausbildung
und Adhäsion der Thrombozyten. Wie dies funktioniert, erklärte Dr. Manfred
Steiner von der East Carolina University School of Medicine anhand seiner
In-vitro-Untersuchung an Erythroleukämie (HEL)-Zellinien, die nach
Phorbolexposition die Thrombozytenadhäsion am Gefäßendothel kopieren: In
Gegenwart von Proteinkinase C bilden sie Pseudopodien aus, haften sich an
Oberflächen an und breiten sich aus. Eine Vorbehandlung der HEL-Zellen mit
Vitamin E senkte konzentrationsabhängig die Proteinkinase-C-Aktivität; die
Pseudopodienbildung blieb aus.
Über eine Hemmung der Proteinkinase-C-Aktivität verringere
RRR-alpha-Tocopherol als ständiger Bestandteil menschlicher glatter Muskelzellen
in physiologischen Konzentrationen das Zellwachstum der glatten Gefäßmuskulatur,
ergänzte Professor Dr. Angelo Azzi, tätig am Institut für Biochemie und
Molekularbiologie der Universität Bern. Damit hemmt Vitamin E die Proliferation
von Zellen, die an der Arterioskleroseentstehung beteiligt sind. Natürliches
RRR-alpha-Tocopherol erwies sich hierbei als wirksamer als synthetisches Vitamin
E.
PZ-Artikel von Birgit Strohmaier, Passau
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