Ziel ist die Unsterblichkeit |
20.10.1997 00:00 Uhr |
Medizin
Die Umkehr der Alterspyramide fordert nicht nur sozialpolitische
Veränderungen zur Sicherung von Rente und Pflege. Um möglichst vielen
Menschen ein gesundes Altwerden zu ermöglichen, ist auch ein Umdenken
in der Medizin und beim einzelnen notwendig. Darin waren sich die Experten
bei einem von der Firma Medice gesponsorten Workshop zum Thema
"Altern" einig. Weiteres Thema des Workshops war die Ausdehnung der
maximalen Lebensspanne.
Optimierung, Prävention, Rehabilitation und Management, so Professorin Dr. Dr.
Ursula Lehr, Direktorin am Deutschen Zentrum für Alternsforschung in Heidelberg,
sind die Säulen, auf die gesundes Altern aufbaut. Dabei gehöre zur Gesundheit nicht
nur das körperliche, sondern auch das seelisch-geistige und das soziale
Wohlbefinden. Optimierung schaffe bereits in Kindheit und Jugend durch körperliche
Aktivität, Hygiene und gesunde Lebensweise günstige Entwicklungsbedingungen, die
sich bis ins Alter hin auswirkten.
Prävention beuge durch gesunde Ernährung, Verzicht auf Drogen, Nikotin und
Alkohol sowie Vorsorge-Untersuchungen, Krankheiten und Abbauerscheinungen
vor. So plädierte Professor Dr. Christian Barth vom Deutschen Institut für
Ernährungsforschung für den Verzehr von mehr pflanzlichen Lebensmitteln. Sowohl
das Risiko, an einer malignen Erkrankung, als auch an einer
Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben, sei bei Vegetariern reduziert.
Rehabilitation, so Lehr, habe die Aufgabe, nach überstandenen Krankheiten deren
Folgen weitgehend rückgängig zu machen. Das richtige Management schließlich
ermögliche es dem einzelnen, zum Beispiel mit einer Behinderung zurechtzukommen.
Dazu gehöre neben praktischen Hilfen auch eine positive innere Einstellung.
Besonders starken Einfluß hat der Alterungsprozeß auf körperliche Fähigkeiten wie
Beweglichkeit, Gleichgewicht und Kraft. Dem kann man mit Training
entgegenwirken, erklärte Professor Dr. Wildor Hollmann, Präsident des Deutschen
Sportärztebundes. Denn, die Folgen des Alterns ähneln denen von
Bewegungsmangel beim gesunden, jungen Menschen. Studien zeigen, daß sich selbst
bei älteren Menschen, die mit dem körperlichen Training beginnen, die
Lebenserwartung um einige Jahre steigern läßt. Deshalb empfiehlt Hollmann Kraft-
und Ausdauertraining auch Menschen über 60.
Depressionen und Demenzen
Nicht nur körperliche Krankheiten beeinträchtigen das Leben alter Menschen. 24
Prozent der über 65jährigen leiden an psychischen Erkrankungen wie Depressionen,
Angststörungen oder geistiger Verwirrung. Sie sind die Hauptursachen für die
Einweisung in ein Altenheim, sagte Dr. Claus Wächtler vom Hamburger Allgemeinen
Krankenhaus Ochsenzoll - Abteilung Psychiatrie. Aber auch hier läßt sich
vorbeugen. Depressionen, die häufig durch den Verlust des Ehepartners ausgelöst
werden, kann man verhindern, wenn man sich schon früh mit unweigerlichen
Verlusten auseinandersetzt. Auch die Behandlung von Depressionen ist inzwischen
erfolgreich möglich. Für geistige Störungen wie die Alzheimer Krankheit gibt es
dagegen weder Vorbeugung noch Therapie.
Ziel der Altersforschung ist es aber nicht nur, das Altwerden möglichst angenehm
und frei von Krankheiten zu ermöglichen. Ziel ist - zumindest für einige Forscher -
die Unsterblichkeit.
Die maximale Lebensspanne des Menschen beträgt zur Zeit zwischen 110 und 120
Jahren. Versuche, diese Spanne auszudehnen, sind bisher fehlgeschlagen. Dr.
Thomas von Zglinicki vom Institut für Pathologie der Berliner Charité stellte im
Rahmen des Expertenworkshops einige Ansätze vor, mit denen bei Tieren bereits
das Leben verlängert wurde. So wurden bei der Nematode C. elegans Gene
identifiziert, deren Mutation die Lebensdauer des Wurms um bis zu 400 Prozent
verlängert. Eine Untersuchung von Menschenzellen in Kultur ergab, daß sich in
somatischen Zellen bei jeder Zellteilung die Telomeren verkürzen, wodurch über
einen Signalmechanismus der Zelltod ausgelöst wird. Durch Schutz vor oxidativem
Streß, einer der Hauptursachen für das zelluläre Altern, kann die Geschwindigkeit
der Telomerenverkürzung offenbar verlangsamt und der Zelltod hinausgezögert
werden.
Nahrungrestriktion verlängert das Leben
Ein weiterer experimenteller Ansatz zur Lebensverlängerung ist die
Nahrungsrestriktion, eine hypokalorische Ernährung unter Vermeidung von
Mangelzuständen. Bei Ratten und Mäusen wurden damit eine verzögerte
Entwicklung und Reifung, eine verringerte altersassoziierte Morbidität, eine
Verlangsamung alternsbedingter Veränderungen sowie eine Verlängerung der
mittleren Lebenserwartung und der speziestypischen Lebensspanne erreicht. Je
stärker man die Kalorienaufnahme reduzierte, desto größer war die
Lebensverlängerung. Der Wirkmechanismus der Nahrungsrestriktion ist bisher noch
nicht geklärt, so Dr. Heinrich Dorner von der Klinik für medizinische Rehabilitation
und Geriatrie. Aber es gibt zwei Erklärungsansätze:
o Nahrungsrestriktion vermindert die nachteiligen Effekte einer Überernährung.
o Die Tiere passen sich den veränderten Nahrungsressourcen an und verlangsamen
ihre Lebensaktivität.
Zur Zeit laufen Versuche an Rhesusaffen mit der Nahrungsrestriktion.
Zwischenergebnisse zeigen bisher nur eine Abnahme des Körpergewichts, des
Körperfetts, der Insulinsensitivität sowie der körperlichen Aktivität der Primaten. Ob
dieses Modell auch auf den Menschen übertragbar ist, ist ebenfalls noch unklar.
PZ-Artikel von Monika Noll, Attendorn
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