Plasmodien-Untermieter ist die Schwachstelle |
06.09.1999 00:00 Uhr |
Eine Zellorganelle pflanzlichen Ursprungs ist möglicherweise ein Schwachpunkt des Malariaerregers Plasmodium falciparum. Der Gießener Wissenschaftler Dr. Hassan Jomaa hat eine Substanz gefunden, die den Apicoplasten absterben läßt, einen für Plasmodien lebensnotwendigen Zellbestandteil. Nachdem Jomaa an der Universität in Gießen die Wirksamkeit der Substanz im Tiermodell nachweisen konnte, sucht er jetzt händeringend nach einem finanzkräftigen Partner.
Die Substanz Fosmidomycin, ein vermeintlicher Rohrkrepierer aus der Forschungspipeline des japanischen Unternehmens Fujisawa Pharmaceuticals, habe sich im Tierversuch als potentes Anti-Malariamittel erwiesen, resumiert Jomaa die Untersuchungen, die er gemeinsam mit seinen Kollegen aus der Arbeitsgruppe des Gießener Molekularbiologen Professor Dr. Ewald Beck vorgenommen hat. Fosmidomycin blockiert im Plasmodien-Apicoplasten die Synthese essentieller Isoprenoide.
Entscheidend für diesen Therapieansatz ist eine Entdeckung von Michael Rohmer aus den späten achtziger Jahren. Rohmer stellte damals fest, daß bestimmte Bakterienarten bei der Synthese von Isoprenoiden einen anderen Weg gehen als höhere Lebewesen.
Während höhere Tiere die Isoprenoid-Vorstufe Isopentyldiphosphat (IPP) aus Acetyl-CoA über den Mevalonatstoffwechselweg herstellen, verwenden einige Mikrooranismen und Algen Glyceraldehydphosphat und Pyruvat als Ausgangsstoffe.
Der von Rohmer entdeckte Weg heißt heute Methyl-Erythritol-Phosphat-Stoffwechselweg (MEP). Mittlerweile wurde er bei vielen Algen, verschiedenen Eubakterien und auch bei einigen höheren Pflanzen beschrieben.
Die Gießener entdeckten, dass auch die Malaria-Erreger den MEP-Weg besitzen. Der Stoffwechselweg ist im Apicoplasten lokalisiert. Der Apicoplast hat sich - wie Wissenschaftler vermuten - aus einer endosymbiontischen Alge entwickelt.
Im Laufe der Evolution hat die Alge die Plasmodienzelle offensichtlich als geeigneten Lebensraum entdeckt. Welchen Nutzen der Einzeller vom Apicoplasten hat, ist noch nicht geklärt. Es steht jedoch fest, daß der Malariaerreger ohne seinen Endosymbionten nicht lebensfähig ist.
Der Nachweis, dass auch der Apicoplast der Plasmodien den MEP-Stoffwechselweg zur IPP-Synthese verwendet, gelang den Wissenschaftlern über eine Analyse des Plasmodien-Genoms. Die Gießener entdeckten im Kern des Malariaerregers die Gene, die für die beiden bekannten Enzyme des Stoffwechselweges, DOXP-Synthase und DOXP-Reduktoisomerase codieren. Die Enzyme werden im Cytosol produziert und wandern von dort in den Apicoplasten.
In weiteren Untersuchungen stellten Jomaa und seine Kollegen fest, dass der MEP-Weg für den Malariaerreger essentiell ist. Da er keine Alternative zum MEP-Stoffwechselweg hat, Säugetiere diesen Weg jedoch nicht verwenden, erkannte ihn die Gießener Forschergruppe als vielversprechendes Target für die chemotherapeutische Behandlung der Malaria.
Jomaa suchte in Datenbanken nach aussichtsreichen Kandidaten für eine Hemmung des MEP-Weges und wurde in Japan fündig. Dort hatte die Fujisawa Pharmaceuticals Ende der 70er Jahre das Antibiotikum Fosmidomycin und dessen Acetylderivat FR-900098 zur Behandlung bakterieller Infektionen entwickelt. Allerdings ohne den gewünschten Erfolg. Im Vergleich zu anderen Neuentwicklungen dieser Zeit war die Substanz unterlegen. Zudem beobachteten die Japaner schnell auftretende Resistenzen.
Der Misserfolg der Japaner erwies sich für die Gießener als Glücksfall. Jomaa beantragte die Patente für die Behandlung von Protozoen-Infektionen mit Fosmidomycin und hatte somit eine Substanzgruppe zur Verfügung, für die bereits die Phase-I-Studien abgeschlossen waren. Fosmidomycin und FR900098 sind Analoga eines Zwischenproduktes aus dem MEP-Stoffwechselweg und blockieren die DOXP-Reduktoisomerase. Die Substanzen sind für Menschen gut verträglich, da sie nur in den MEP-Weg eingreifen, nicht aber in den Mevalonat-Weg.
In Zellkulturen des humanen Malaria-Erregers Plasmodium falciparum bewiesen die ausrangierten Fujisawa-Stoffe ihre Wirksamkeit. Beide Substanzen töteten die Parasiten noch bei Konzentrationen unter 1 µM sicher ab. Besonders erfreulich sei die Wirksamkeit gegen multiresistente Parasiten, die auf die meisten etablierten Medikamente nicht mehr ansprechen, sagt Jomaa. Denn Infektionen mit multiresistenten Plasmodien bereiten den Medizinern auch in Europa immer größere Probleme und können selbst bei optimaler medizinischer Versorgung zum Tod der Patienten führen.
Auch die Tests im Tiermodell bestanden die beiden Substanzen. Jomaa infizierte Mäuse mit dem für Nagetiere spezifischen Malaria-Erreger Plasmodium vinkei. Ab dem folgenden Tag injizierte er den Tieren über vier Tage dreimal täglich zwischen 2 und 300 mg/kg KG Fosmidomycin oder FR-900098 intraperitoneal.
Am fünften Tag nach der Infektion waren die Mäuse, die mit 10 mg/kg KG Fosmidomycin (oder 5 mg FR-900098) behandelt worden waren, parasitenfrei. Mäuse, die 5 mg/kg KG-Dosen Fosmidomycin (oder 2 mg FR-900098) erhalten hatten, entwickelten eine Parasitämie unter einem Prozent, nicht einmal jeder hundertste Erythrozyt war infiziert. Bei unbehandelten Mäusen der Kontrollgruppe stellte sich dagegen eine Parasitämie von 66 Prozent ein; nach spätestens sieben Tagen starben diese Tiere. Dagegen überlebten alle Mäuse, die mit einer der beiden Test-Substanzen behandelt worden waren. Die Substanz ist auch oral wirksam. Nach peroraler Gabe von 50 mg/kg KG pro Dosis wurden die infizierten Versuchstiere ebenfalls innerhalb von einer Woche vollständig geheilt.
Der therapeutische Spielraum der beiden Substanzen sei sehr groß, sagt Jomaa. Sie werden im Körper nicht metabolisiert, die Auscheidung erfolgt renal. Regelmäßige Dosen von 300 mg/kg KG tolerierten die Mäuse problemlos. Die LD50 liege bei 11 g/kg KG peroral und 8 g/kg KG subkutan und sei somit von der therapeutisch notwendigen Dosis weit entfernt.
Noch unbefriedigend sei die Pharmkokinetik der beiden Substanzen. Deshalb wandte sich Jomaa an den Marburger Pharmazeuten Professor Dr. Gerhard Klebe. Der pharmazeutische Chemiker, der sich auf Molecular Modelling spezialisiert hat, will die getesteten Leitsubstanzen verbessern, beziehungsweise neue Moleküle entwickeln, die die Enzyme des MEP-Weges hemmen.
Geldmangel gefährdet Weiterentwicklung
Ob das Medikament überhaupt auf den Markt, hängt trotz der Erfolg versprechenden Ergebnisse aber noch am seidenen Faden: Das Projekt droht am Geldmangel zu scheitern. "Die klinischen Studien würden 20 bis 40 Millionen DM kosten," erklärte der Dekan des Fachbereichs Medizin, Professor Dr. Klaus Knorpp, auf einer Pressekonferenz in Gießen. "Dies übersteigt die Mittel der Universität bei weitem." Der Fachbereich sei mit 1,2 Millionen DM Unterstützung für die Arbeitsgruppe bis an die Grenze des Möglichen gegangen.
Stark enttäuscht sind die Gießener von der WHO. Sie hatten das "Tropical Steering Committee" der Weltgesundheitsorganisation bereits im Herbst 1998 über den erfolgreichen Verlauf der Tierversuche unterrichtet. Wie Jomaa berichtet, sind die Malaria-Experten der Organisation zwar an seinen Ergebnissen interessiert, eine ausreichende finanzielle Unterstützung gibt es aber nicht.
Stattdessen schlug die WHO Jomaa vor, seine Patente für 150.000 Dollar wieder an Fujisawa zu verkaufen. Das Angebot hält Jomaa vollkommen inakzeptabel. Jomaa: "Das wäre das Ende der Arbeitsgruppe. Den Betrag verbrauchen wir in zwei Monaten." Allein für die Anmeldung der Patente habe er eine ähnlich große Summe aufbringen müssen.
Knorpp lehnt den Vorschlag ebenfalls vehement ab, schließlich hat die Universität und damit auch das Land Hessen ein vielfaches in die Entwicklung gesteckt. "Das Projekt sollte weiter in Hessen, zumindest aber in Deutschland bleiben." In zwei bis drei Jahren könnte das Medikament in den Markt eingeführt werden, sagte er. Er sieht
Jomaa und Beck sind ebenfalls an einer Kooperation mit einem Pharmaunternehmen interessiert, "allerdings zu fairen Bedingungen", wie Beck klarstellte. "Maximal 40 Millionen DM ausstehende Entwicklungskosten sind ein Klacks im Vergleich zu der Summe, die ein Unternehmen investiert, wenn sie ein Medikament neu entwickelt." Diese können bei mehr als 500 Millionen DM liegen. Besonders attraktiv sei das Projekt, weil es auch Aussichten auf die Behandlung andere Parasiten-Erkrankungen biete. Diese Untersuchungen seien allerdings noch in einem sehr frühen Stadium.
Unterstützung bei der Partnersuche erhoffen sich die Gießener Wissenschaftler vom hessischen Wirtschaftsministerium. Knorpp: "Schließlich geht es um 40 intelligent Arbeitsplätze, die in der Region gehalten werden sollen." Bislang hat das Ministerium allerdings noch keine Zusagen gemacht. Knorpp befürchtet deshalb, dass die Wissenschaftler den Standort Hessen möglicherweise verlassen müssen.
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