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Kampf der sitzenden Gesellschaft

05.04.2004  00:00 Uhr
Aufklärungskampagne

Kampf der sitzenden Gesellschaft

von Conny Becker, Berlin

Jeder zweite Deutsche über 30 Jahre leidet an Rückenschmerzen. Dass diese zu 90 Prozent auf Muskelverspannungen durch Haltungsfehler zurückgehen, Bewegung hier helfen kann und welche Gefahren akute Rückenschmerzen und Gelenkverschleiß mit sich bringen, vermittelt die Kampagne „Orthopädie bewegt“.

Sitzen bedeutet körperliche Inaktivität – häufig gekoppelt mit Fehlhaltung und somit Fehlbelastung der Wirbelsäule, was Muskelschwäche und Haltungsschäden nach sich zieht. Diese können in Rückenschmerzen und Schulter-Arm-Syndromen münden, was vermutlich der Hauptgrund ist, warum 2002 jeder am PC arbeitende Deutsche durchschnittlich 14,2 Tage krank war, wie die Statistik der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zeigt.

„Rückenschmerzen sind die häufigste Erkrankung in Deutschland“, sagte Dr. Siegfried Götte, Vorsitzender des Berufsverbandes der Fachärzte für Orthopädie e. V. und einer der Initiatoren der Kampagne „Orthopädie bewegt“. Die Folge: Muskel- und Skelettkrankheiten sind hier zu Lande mit 27 Prozent der häufigste Grund für Krankschreibungen, verbunden mit Produktionsausfällen und Behandlungskosten von etwa 35 Milliarden Euro. Und auch rund 20 Prozent der Frühberentungen gehen auf diese Erkrankungen zurück.

Wechseln ist wichtig

Warum hat das Sitzen daran eine große Mitschuld? Während die Bandscheiben der Lendenwirbelsäule beim Gehen einem Druck von 100 Prozent ausgesetzt sind, erhöht sich dieser beim geraden Sitzen auf 140 und beim Sitzen in vorgebeugter Haltung auf 190 Prozent. Ein Wechsel zwischen Be- und Entlastung ist laut Götte somit für einen gesunden Stoffwechsel der Bandscheiben notwendig, die unter Druck abflachen und sich nur bei Entlastung – vor allem beim Liegen – mit Gewebeflüssigkeit füllen und so ihre Nährstoffe gewinnen. Dauerhaftes, passives Sitzen jedoch belastet die Bandscheiben einseitig und stört damit ihren Stoffwechsel. Daher sollte man zwar vor allem aufrecht, das heißt mit einem nach vorne gekippten Becken, sitzen, was Muskulatur und Bandscheiben gleichmäßig belastet, aber auch dynamisch, um die Durchblutung der Muskeln zu verbessern und die Bandscheiben wechselseitig zu belasten. Dazu empfahl der Mediziner Arbeitsstühle mit beweglicher Rückenlehne.

Laut Götte sind auch Haltungsschäden bei Kindern schon erschreckend häufig: Während sie vor dem Zweiten Weltkrieg noch 20 Prozent der Kleinen betrafen, plagen sie heute etwa 35 bis 40 Prozent. Denn auch sie sitzen mit bis zu zehn Stunden täglich – bedingt durch Schule und Hausaufgaben, Sitzen am Esstisch, vor Computer und Fernsehen – viel zu viel. Und Kindern schadet dies besonders. „Vier Stunden Sitzen im Kindesalter entsprechen im Prinzip einem achtstündigen Sitzen am Arbeitsplatz“, unterstrich der Orthopäde und forderte vermehrte orthopädische Untersuchungen im Kindes- und Jugendalter, etwa beim Schuleintritt oder Einsatz der Pubertät, und eine Förderung des Schulsports.

Dass Bewegung gerade für Kinder wichtig ist, erläuterte Professor Dr. Wolfhart Puhl, der Nationale Koordinator der „Bone and Joint Decade“, dem von der Weltgesundheitsbehörde für die Jahre 2000 bis 2010 ausgerufenen Jahrzehnt der Knochen und Gelenke. So entwickle der Mensch seine Fähigkeit zur Koordination zwischen dem zweiten und neunten Lebensjahr. „Was dann an Nervenbahnen und Synapsen nicht angelegt ist, kann später nicht mehr wettgemacht werden“, mahnte der Orthopäde. Häufig haben Kinder bereits verlernt, mit einem Springseil zu springen oder einen Ball zu fangen. „Dies ist eine ganz fatale Entwicklung, der man entgegenwirken muss, denn ohne Bewegung ist eine Gesamtgesundheit nicht möglich.“ Die Prävention sollte daher früh einsetzen, schließlich bedeutet Orthopädie aus dem griechischen übersetzt „das gerade Kind“.

Initiativen für mehr Bewegung

Um die Menschen für die Bedeutung von körperlicher Aktivität zu sensibilisieren, startete am 29. März die Kampagne „Orthopädie bewegt“, für die sich alle großen orthopädischen Fachgesellschaften mit dem Bundesverband Medizintechnik zusammengeschlossen haben. Die Kampagne setzt sich aus mehreren Aktionen zusammen und will die Deutschen über muskuloskeletale Erkrankungen, deren Prävention und Therapiemöglichkeiten und der Notwendigkeit von körperlicher Aktivität aufklären. Neben Rückenschmerzen, stehen daher auch Osteoporose, unter der im Jahr 2002 zwischen vier und sechs Millionen Deutsche litten, sowie die häufigste Gelenkkrankheit, die Arthrose, im Fokus.

Gestartet ist die Kampagne mit der Aktion „Deutschland im Kampf gegen den Rückenschmerz“, die über Gefahren von Rückenschmerzen aufklären und qualifiziert über den richtigen Umgang mit den Beschwerden informieren soll. Außerdem leitet sie zu einer sinnvollen Selbstmedikation an und gibt Tipps für die Prävention. Dazu erhalten bundesweit alle Apotheken bis Ende nächster Woche entsprechende Patienten-Broschüren über den Großhandel. Diese liegen zudem in Praxen von Orthopäden und Krankengymnasten aus sowie in Geschäftsstellen der Barmer Ersatzkasse, die die Initiative unterstützt. Des Weiteren kommen auf einer bis zum 12. Juni dauernden Tour so genannte Rückenengel in insgesamt 200 Apotheken von zehn deutschen Großstädten, die die Apotheker bei der Beratung akutem Rückenschmerz unterstützen sollen. Interessierte können unter www.rueckenschmerz-akut.de den Tourplan einsehen.

Weitere Aktionen in diesem Jahr: Vom 21. bis 27. Juni findet die „Informationswoche Kliniken und Praxen“ statt, in der Orthopäden vielerorts an einem Tag der offenen Tür Patienten beraten. Des Weiteren sind für den Herbst bundesweit Patienteninformationsabende über Arthrose und Gelenkprobleme geplant, die im Oktober, dem „Monat der Knochen und Gelenke“, stattfinden sollen.

 

Was Sport bewirkt Schon 20 Minuten Sport täglich zeigt den Experten zufolge gesundheitliche Effekte. Nehmen Übergewichtige (fast ein Drittel der Deutschen) dadurch 5 kg ab, können sie das Risiko eines Herzinfarkts um 30 Prozent und das einer Kniegelenksarthrose um die Hälfte senken. Darüber hinaus vermindere körperliche Aktivität auch das Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselstörungen, Brust- und Darmkrebs sowie von Depressionen.

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