Vermutlich ein Coronavirus |
31.03.2003 00:00 Uhr |
Die gefährliche Lungenkrankheit Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom (SARS) breitet sich weiter aus: Weltweit sind nach WHO-Angaben bislang 1622 Menschen erkrankt und 58 gestorben. Hauptverdächtiger ist derzeit ein bisher unbekanntes Coronavirus.
Besonders stark ist China von der Epidemie betroffen. Hier sind bereits 806 Menschen erkrankt und 34 gestorben. In Hongkong stieg die Zahl der Todesopfer auf 13, in Vietnam erlagen insgesamt 4 Patienten der Lungenerkrankung. Auch in Kanada breitet sich SARS aus. In Toronto sind 4 Menschen gestorben, 44 weitere sind erkrankt.
Der Erreger der gefährlichen Lungenentzündung ist vermutlich ein bisher unbekanntes Virus aus der Familie der Coronaviren (siehe Kasten). Eine Reihe von Forschern, die zu dem von der WHO ins Leben gerufenen Netzwerk von insgesamt elf Laboratorien in neun Ländern zählen, hat Coronaviren bei SARS-Patienten nachgewiesen. Vergangene Woche war ein Paramyxovirus bei einzelnen Patienten entdeckt und als Erreger der ansteckenden Lungenerkrankung propagiert worden.
Eventuell könnten die beiden als Erreger verdächtigten Pathogene – Coronavirus und Paramyxovirus – zusammen die Infektion auslösen. In einem Pressegespräch stellte Dr. Klaus Stöhr von der WHO die These vor, dass das Coronavirus, das Immunzellen befällt, die körpereigene Abwehr der Patienten schwächt und so dem Paramyxovirus die „Tür öffnet“. Doch „normalerweise wird eine Erkrankung nicht durch zwei Erreger ausgelöst“, sagte Stöhr. Vermutlich ist das Coronavirus der SARS-Erreger, und der Fund der Paramyxoviren bei einigen Patienten nur ein Zufall.
Lange bekannt
Die Coronaviridae sind eine seit langem bekannte Virusfamilie, deren einziger humanpathogener Vertreter, das HCV (humanes Coronavirus), für rund ein Drittel aller Erkältungskrankheiten verantwortlich ist. Die restlichen Coronavirenarten befallen verschiedene Tierspezies. Beim SARS-Erreger könnte es sich daher entweder um eine mutierte Form der humanpathogenen Art handeln oder um ein Coronavirus, das vom Tier auf den Menschen übergesprungen ist. Ein Bericht der chinesischen Zeitung «Lianhe Wanbao» in Singapur, wonach die Epidemie von einem kranken Koch eines Spezialitätenrestaurants für wilde Tiere in Shenzhen in Südchina ausgegangen sein könnte, unterstützt die zweite Vermutung. Dass der SARS-Erreger von seltenen wilden Tieren stammt, hält der Frankfurter Virologe Wolfgang Preiser, der als Mitglied eines WHO-Teams in China nach der Ursache der Krankheit forscht, für «sehr plausibel».
Fest stehe mittlerweile allerdings, dass sich die Erreger weder über Klimaanlagen noch über das Luftaustauschsystem etwa eines Flugzeugs verbreite. «Man muss schon engen Kontakt mit einer infizierten Person haben, um SARS zu bekommen», sagte der WHO-Experte David Heyman. «Das größte Risiko ist die direkte Ansteckung.» Und hier sei eine direkte Tröpfchenübertragung wahrscheinlich. Derzeit arbeiten Wissenschaftler weltweit an einem genetischen Test, der SARS-Erreger innerhalb kürzester Zeit nachweisen können soll.
Coronaviren Die Familie Coronaviridae umfasst in etwa 13 Arten, die Vertebraten infizieren. Der Name (corona bedeutet Kranz) leitet sich vom Aussehen der Erreger ab: Der äußeren Hülle sitzen in regelmäßigen Abständen als „spikes“ bezeichnete Glykoproteine auf, die keulenförmige Enden haben, was an eine Sonnenkorona erinnert. Die unregelmäßig geformten Viren mit einem Durchmesser von 60 bis 220 nm enthalten eine 30 kb lange unsegmentierte +-Strang-RNA, und somit das längste bekannte RNA-Genom überhaupt. Nur eine der Coronavirenarten infiziert Menschen. Sie ist laut Expertenschätzungen für rund ein Drittel aller Erkältungskrankheiten verantwortlich. Die restlichen Coronaviren sind im Tierreich weit verbreitet und infizieren verschiedene Tierarten wie Hund, Katze, Rind, Schwein und Vögel.
Hohes Fieber und Atemnot
Die Inkubationszeit des SARS beträgt zwischen zwei und sieben Tagen, kann aber bis zu zehn Tage dauern. Die Krankheit beginnt mit zum Teil hohen Fieber, das mit Kopf- und Muskelschmerzen, Schüttelfrost und allgemeiner Abgeschlagenheit einhergehen kann. Nach drei bis sieben Tagen entwickeln die Patienten die typischen respiratorischen Symptome wie trockener unproduktiver Husten und Atemnot. Diese ist in 10 bis 20 Prozent der Fälle so schwer, dass die Patienten künstlich beatmet werden müssen, informiert die WHO in ihrer „Vorläufigen klinischen Beschreibung des SARS“.
Zur Therapie der Lungenerkrankung stehen den Medizinern wenig Möglichkeiten zur Verfügung. Das US-amerikanische Verteidigungsministerium prüft derzeit antivirale Substanzen auf ihre Wirksamkeit gegen Coronaviren - die vermutlichen SARS-Erreger. In einigen Kliniken wurden Patienten mit den antiviralen Wirkstoffen Ribavirin oder Oseltamivir behandelt. Auch intravenös oder oral verabreichte Steroide in Kombination mit Ribavirin oder anderen antimikrobiellen Substanzen wurden eingesetzt. Ob diese Therapien wirksam sind und welche der Behandlungsstrategien die effektivste ist, steht bislang nicht fest, informiert die WHO weiter. Intensive Betreuung und Supportiv-Therapie verbessern die Prognose.
Reisewarnungen
Die Weltgesundheitsorganisation warnt weltweit vor der gefährlichen Lungenentzündung. Reisende sollten auf die typischen Symptome achten und beim Auftreten der ersten Anzeichen einen Arzt aufsuchen. Die WHO empfiehlt weiterhin, Passagiere routinemäßig zu untersuchen, die aus den „betroffenen Gebieten“ in andere Länder ausreisen. Zu diesen Gebieten zählt neben China (inklusive Hongkong), Vietnam und Singapur nun auch Kanada.
Die US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) empfehlen, nicht unbedingt notwendige Reisen nach China, Hongkong, Singapur sowie Vietnam „bis auf weiteres zu verschieben“. Das deutsche Auswärtige Amt fordert weiterhin dazu auf, eine Reise in die betroffenen Gebiete sorgfältig zu überdenken.
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