Falscher Verdacht? |
15.01.2001 00:00 Uhr |
Den Begriff "chirurgische Kriegsführung" prägten Militärs schon während der Einsätze im Golf. Auch die Operation der Alliierten auf dem Balkan suggerierte das Bild vom sauberen Krieg - millimetergenaue Luftangriffe statt unnötigem Blutvergießen. Knapp zwei Jahre nach ihren Lufteinsätzen über dem Balkan gerät die NATO in die Kritik. Die von den westlichen Kriegsmächten verwendete Uranmunition steht im Verdacht, nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die eigenen Soldaten krank zu machen.
Schon Ende Dezember brachten Presseberichte erstmals uranhaltige Munition mit leukämiekranken NATO-Soldaten in Verbindung. Bis dato war in elf Ländern der Verdacht entstanden, dass Menschen nach Kontakt mit uranhaltiger Munition auf dem Balkan erkrankt oder gestorben sind. Zwar leiden seit 1999 auch 40 deutsche Soldaten an Leukämie oder Lymphomen, dies entspricht nach Aussagen des Verteidigungsministeriums jedoch der normalen Inzidenz. Eine statistisch signifikante Abweichung zu den Vorjahren sei nicht festzustellen. Nach dem Balkan-Einsatz erkrankte ein deutscher Soldat an Blutkrebs, dieser sei aber in Mostar stationiert gewesen, wo das Militär niemals uranhaltige Munition eingesetzt habe, heißt es von der Hardthöhe.
Das Gewicht bringt den Nutzen
So genanntes abgereichertes Uran oder kurz DU (depleted Uranium) schätzt die Rüstungsindustrie vor allem auf Grund seines hohen Eigengewichts. Entsprechende Geschosse haben eine sehr hohe Durchschlagskraft und werden als Munition gegen Panzer verwendet. Die NATO feuerte nach eigenen Angaben davon auf dem Balkan rund 31.000 Schuss auf gepanzerte Ziele, und zwar ausschließlich mit dem US-amerikanischen Waffensystem A-10 Thunderbolt.
Uran ist ein natürliches Schwermetall. Natururan besteht zu 99 Prozent aus dem Isotop 238U, im übrigen aus den Isotopen 235U und 234U. Der geringe Anteil des spaltbaren 235U reicht für die meisten Anwendungen in der Nukleartechnik nicht aus, das Natururan wird daher mit diesem Isotop angereichert. Der Rest ist das abgereicherte (depleted) Uran, kurz DU. Seine Radioaktivität ist um 40 Prozent geringer als die des Natururans. Das chemische und biologische Verhalten, also auch Verteilung und Ausscheidung im Körper, sind bei allen Isotopen gleich. Im Vergleich zu dem in der Medizin verwendeten 131Iod ist DU nur schwach radioaktiv und sowohl zur Energiegewinnung als auch zum Bau von atomaren Waffen unbrauchbar. Neben der Rüstungsindustrie verwenden auch Flugzeugbauer DU als Ausgleichsgewicht.
Die DU-Munition enthält laut Verteidigungsministerium keinen Sprengstoff. Da jedoch viel Energie frei wird, wenn die Geschosse auf gepanzertes Material aufschlagen, kann sich das Uran entzünden. Dabei verbrennt das Metall zu Uranoxid, das sich als Staub in der Umgebung des Einschusses niederschlägt.
Höheres Risiko für Bevölkerung
Professor Dr. Gerhard van Kaick vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg bezweifelt einen Zusammenhang zwischen uranhaltiger Munition und Leukämiefällen bei NATO-Soldaten. Wenn überhaupt, sei die in der Nähe des Detonationspunktes dauerhaft lebende Bevölkerung gefährdet, sagt van Kaick. Aber selbst das sei unwahrscheinlich, bei der nur schwachen Radioaktivität von abgereichertem Uran. Zudem dauert es nach Meinung des Experten normalerweise deutlich länger, bis sich eine Leukämie manifestiert, als bei den jetzt bekannt gewordenen Fällen unter Soldaten. "Die Zeit zwischen Strahlen-Kontamination und Ausbruch von Leukämie beträgt in der Regel vier bis fünf Jahre und bei soliden Tumoren wie beispielsweise der Leber 15 Jahre", so der Forscher.
Leukämie tritt auch völlig unabhängig von Strahlung auft. Laut Krebsregister des Saarlandes erkranken jährlich etwa zehn von 100.000 Männern spontan an Leukämie. Bei diesen Zahlen sind allerdings alle Altersklassen erfasst. Berücksichtigt man nur die relevanten Fälle im Alter zwischen 18 und 40 Jahren, fällt die Zahl niedriger aus.
Schwermetallvergiftung
Kaick bezweifelt, dass die Anzahl der erkrankten Soldaten über dem liegt, was im Durchschnitt der Bevölkerung zu erwarten sei. Bei der großen Zahl von Soldaten sei immer mit einzelnen Leukämiefällen zu rechnen. Man müsse zudem klären, welchen zusätzlichen Risiken die Betroffenen ausgesetzt waren.
Nicht die Radioaktivität, sondern das an sich giftige Schwermetall kann nach Meinung von Experten gefährlich werden. Besonders dann, wenn Betroffene den Staub einatmen oder mit der Nahrung aufnehmen. Menschen mit Schwermetallvergiftung leiden unter Bauchschmerzen, Übelkeit, Appetitlosigkeit und Haarausfall. Ähnliche Symptome traten auch bei Soldaten mit dem so genannten "Golfkriegs- oder Balkansyndrom" auf. Aus dem Bergbau ist zudem bekannt, dass Arbeiter, die jahrelang Uranstaub einatmeten, häufiger an Lungenkrebs, nicht aber an Leukämie erkrankten.
Möglicherweise gibt es eine andere Erklärung für das Auftreten von Leukämien bei Soldaten. Leukämien werden auch durch Viren verursacht. Zieht eine große Gruppe Menschen um, zum Beispiel beim Bau einer neuen Fabrik, dann steigt in der Gruppe der Zugezogenen die Leukämierate an. Sie sind gegen die örtlichen Varianten der Viren nicht so resistent, wie die Einheimischen. Was von Belegschaften der Atomkraftwerke, aber auch beispielsweise von einer schottischen Schuhfabrik berichtet wird, könnte möglicherweise auch für Soldaten in Einsatzgebieten gelten. Bisher sei dies aber eine reine Arbeitshypothese, betonte Dr. Herwig Paretzke, Direktor des Institutes für Strahlenschutz des Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit (gsf) auf einer Pressekonferenz in Berlin. Eine Hypothese allerdings, der weiter nachgegangen werde.
Kinder gefährdet, Soldaten nicht Deutsche Soldaten sind nicht stärker mit Uran belastet als die Normalbevölkerung. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die das GSF - Forschungszentrum für Umwelt und Gsundheit im Auftrag des Bundesministeriums für Verteidigung durchführte. Die Untersuchung wurde vergangenen Freitag von Wissenschaftlern der GSF während einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt.
Die Wissenschaftler werteten im vergangenen Jahr Urinproben von 121 Soldaten vor, während und nach ihrem Einsatz im Kosovo aus, zudem von 200 nicht exponierten und 50 weiteren Personen im Einsatzgebiet. Bei keinem der untersuchten Probanden waren die Uranwerte erhöht. "Wo kein Uran zu finden ist, gibt es auch keine Uran-verursachte Erkrankung", sagte Dr. Paul Roth, Medizinphysiker der GSF. Uran, das nicht eingeatmet oder eingenommen wird, ist nicht gefährlich. Der Uranstoffwechsel sei gut bekannt und die Methode etabliert. Die Nachweisgrenze liege unter 1 ng pro Liter. Der Durchschnittsbürger scheide 10 bis 20 ng pro Tag aus. Im Unterschied zur dortigen Bevölkerung trugen die untersuchten deutschen Soldaten bei ihren Aufräumarbeiten immer Schutzkleidung. Doch auch für die Menschen dort sei es durch das Schwermetall nicht "zu wesentlichen Risiken" gekommen, sagte Roth. Allerdings hielten die Wissenschaftler Kinder, die in alten Panzerwracks und deren Umgebung spielen, für möglicherweise gefährdet. Sie sollten epidemiologisch genauer untersucht werden.
Krieg mit Nebenwirkungen
Die Meldung durfte letzte Woche in keiner Nachrichtensendung fehlen: Abgereichertes Uran steht im Verdacht, bei den auf dem Balkan eingesetzten Soldaten Leukämie auszulösen. Die Öffentlichkeit reagierte schockiert über die Neuigkeit. Munition hat tatsächlich negative Auswirkungen auf Soldaten. Krieg soll in unseren Tagen sauber sein und nur bedingt gefährlich - zumindest für die Soldaten der NATO.
Verständlich ist, dass die beteiligten Nationen versuchen, ihre Streitkräfte so gut wie möglich zu schützen. Angesichts Tausender in Massengräbern auf dem Balkan verscharrter Menschen klingt die Meldung, dass Soldaten Gefahren durch Waffen ausgesetzt waren, zumindest befremdlich. Zumal bislang niemand nachweisen konnte, dass tatsächlich mehr NATO-Soldaten an Leukämie erkrankten, als angesichts der Inzidenz der Erkrankung zu erwarten wäre.
Krieg bedeutet Lebensgefahr, egal auf welcher Seite und womit man kämpft. Diejenigen, die den Gefahren völlig schutzlos ausgeliefert sind, werden selten erwähnt: Von den Hinterlassenschaften der NATO am stärksten bedroht ist die Zivilbevölkerung, die weder über Atemmasken, noch über Schutzanzüge oder Geigerzähler verfügt.
Dr. Ulrike Wagner
Redakteurin
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