Medikationsanalyse ohne Arztrücksprache |
Carolin Lang |
20.03.2023 17:30 Uhr |
Die Vorteile einer Lebensstilmodifikation hervorzuheben, kann ein wertvoller Bestandteil der erweiterten Medikationsberatung sein. / Foto: Getty Images/AnnaStills
Der Apothekeninhaber und Initiator der Pharma4u-Fortbildungsreihe, Stefan Göbel, stellte einen Fall aus seiner Apotheke vor: Ein 42-Jahre alter Patient, Raucher, mit einem Körpergewicht von 120 kg und einer Körpergröße von 1,81 m (BMI ~ 37) nahm zur Therapie seines Bluthochdrucks folgende vom Hausarzt verordnete Medikamente ein:
Probleme mit der Medikation äußerte der Patient nicht, wohl aber das Anliegen, gerne weniger Tabletten einnehmen zu wollen. Er gab außerdem an, einmal im Monat seinen Blutdruck zu messen. Die Werte lägen dann meist bei 130/80 mmHg. Auch die zuständige Apothekerin hatte in Göbels Apotheke noch einmal den Blutdruck des Patienten gemessen. Das Ergebnis: 152/91 mmHg. »In der Situation war der Blutdruck eindeutig erhöht, obwohl der Patient fünf Dauermedikamente einnimmt«, kommentierte Göbel. Ob die Diskrepanz zur Eigenmessung der Aufregung geschuldet war, lässt sich nicht sagen. Sie ist in jedem Fall ein Anlass, dem Patienten eine häufigere Messung anzuraten.
Die AMTS-Prüfung ergab zunächst keine interventionsbedürftigen arzneimittelbezogenen Probleme (ABP). Mit Valsartan, Amlodipin, Hydrochlorothiazid und Bisoprolol seien einige Mittel der ersten Wahl zur Blutdruckkontrolle im Einsatz, ging Göbel die Medikation durch. Offenbar wurde mit Moxonidin und Dihydralazin zudem auf einige Mittel der Reserve zurückgegriffen, um den Patienten »überhaupt in ein therapeutisch vernünftiges Maß zu bekommen«, ordnete er weiter ein.
Die Verordnung von zwei verschiedenen Valsartan-Präparaten möge zunächst als versehentliche Doppelmedikation erscheinen, doch sei sie hier beabsichtigt und sinnvoll, erklärte der Apotheker: »Wir haben Valsartan morgens in einem Kombi-Präparat. Zum Abend hin ist es nicht sinnvoll, ein Kombi-Präparat mit einem Diuretikum einzunehmen. Dementsprechend wird Valsartan hier nochmal als Monopräparat verordnet.« Mit zweimal 160 mg täglich sei der Wirkstoff damit ausdosiert.
Um das Ziel des Patienten, also die Tablettenreduktion, zu erreichen, sieht Göbel die langfristige Lösung eindeutig in einer Änderung des Lebensstils – sprich Rauchstopp und Gewichtsreduktion. »Dann bekommt er auch die entsprechenden Medikamente wieder los«, sagte er. Im Zuge der pharmazeutischen Dienstleistung sei es sinnvoll, hier konkrete Maßnahmen anzusprechen. So könne dem Patienten geraten werden, den Konsum von Fast-Food, Softdrinks, kritischen Genussmitteln wie Lakritzen und Alkohol zu meiden, sich bedarfsgerecht zu ernähren und sich körperlich zu betätigen.
»Die Empfehlung zur Lebensstilmodifikation ist absolut prioritär«, bestätigte auch Dr. Alexander Ravati. Wenn das Körpergewicht – wie offenbar in diesem Fall – eine Komponente der Hypertonie ist, sei der Erfolg einer Gewichtsreduktion »riesig« und »deutlich größer, als wenn wir weitere Reservemittel zuschießen«, betonte der Apotheker.
Die Gewichtsreduktion sei sogar »bezifferbar«, konkretisierte er: Pro Kilogramm weniger sei eine Blutdrucksenkung von 1 bis 2 mmHg möglich. »Das würde bedeuten, wenn der Patient 10 kg abnimmt, könnte er eine Blutdrucksenkung von bis zu 20 mmHg erreichen. Nach dieser Faustregel ist er damit besser aufgehoben als mit einem weiteren Mittel der zweiten Wahl. Denn ein Blutdrucksenker schafft in Langzeitstudien immer nur 5 bis 10 mmHg Senkung.«
Wie Göbel berichtet, habe auch die durchführende Apothekerin den Patienten bei der erweiterten Medikationsberatung darin bestärkt, Gewicht zu verlieren und mit dem Rauchen aufzuhören – womöglich mit Erfolg. Der Patient habe der Apothekerin versichert, mehr Fahrrad fahren und sein Gewicht reduzieren zu wollen, schilderte Göbel und resümierte: »Wir haben enorm viel gewonnen, wenn wir bei solchen Patienten eine Lebensstiländerung herbeiführen können. Das war ein wertvoller Fall für eine pharmazeutische Dienstleistung und definitiv ein Fall, bei dem man nicht unbedingt den Arzt kontaktieren muss.«
Die Möglichkeit dazu bestehe aber natürlich immer. In dem konkreten Fall könne man für eine bessere Blutdruckkontrolle etwa den Vorschlag anbringen, Hydrochlorothiazid, Amlodipin oder Bisoprolol als Erstlinientherapeutika aufzudosieren oder an Stelle von Moxonidin und Dihydralazin unter Kontrolle der Kaliumspiegel einen Aldosteron-Antagonisten zu verordnen. »Das würde dann in diesem Fall aber sehr weit gehen«, so Göbel abschließend.