Medikation verringert Folgeprobleme |
Laura Rudolph |
18.08.2025 16:00 Uhr |
Methylphenidat und Co. reduzierten in einer Studie unter anderem das Unfallrisiko von Patienten mit ADHS. / © Adobe Stock/PhotoHunter
Bereits vergangenes Jahr hatten Forschende des Karolinska-Instituts in Stockholm gezeigt, dass eine Pharmakotherapie im Vergleich zur Nichtbehandlung psychiatrische Hospitalisierungen und Suizide bei ADHS-Patienten verringern könnte (»JAMA Network Open«, DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2024.2859). Eine Forschungsgruppe um Dr. Le Zhang, ebenfalls vom Karolinska-Institut, kommt nun in einer neuen Studie zu dem Schluss, dass die medikamentöse Behandlung von ADHS nicht nur suizidales Verhalten, sondern auch die Wahrscheinlichkeit für Substanzmissbrauch, Verkehrsunfälle und Kriminalität reduzieren kann. Die Ergebnisse sind kürzlich im Fachjournal »The BMJ« erschienen.
Bei der Studie handelt es sich um eine sogenannte Target-Trial-Emulation. Dabei wird eine hypothetische randomisierte kontrollierte Studie (RCT) – mit klar definierten Einschlusskriterien, Interventionen, Vergleichsgruppen und Endpunkten – möglichst genau anhand von Beobachtungsdaten nachgebildet. Ziel ist es, kausale Zusammenhänge unter realen Bedingungen zu ermitteln, wenn eine tatsächliche RCT nicht zur Verfügung steht. Um Störfaktoren zu berücksichtigen und beide Gruppen besser vergleichbar zu machen, kommen spezielle statistische Methoden zum Einsatz.
Als Basis dienten Daten schwedischer Gesundheitsregister. In die Studie wurden 148.581 Personen zwischen 6 und 64 Jahren eingeschlossen (Median: 17,4 Jahre), die zwischen 2007 und 2018 die Diagnose ADHS erhalten hatten. Anhand der persönlichen Identifikationsnummer, die jeder dauerhaft in Schweden wohnhafte Mensch hat, konnten die Forschenden recherchieren, welche ADHS-Medikamente die Probanden verschrieben bekommen hatten und ob sie wegen Folgeerkrankungen in Behandlung gewesen waren. Ab dem Tag der Diagnose wurden alle Studienteilnehmer zwei Jahre lang nachbeobachtet.
84.282 Studienteilnehmer (56,7 Prozent) starteten innerhalb von drei Monaten ab Diagnose eine Pharmakotherapie, davon die meisten mit Methylphenidat (88,4 Prozent), gefolgt von Atomoxetin (7,9 Prozent) und Lisdexamfetamin (3,3 Prozent). Die restlichen Patienten nahmen keine Medikamente gegen ADHS ein.
Bei der Auswertung unterschieden die Forschenden zwischen erstmaligem und wiederholtem Auftreten von suizidalem oder kriminellem Verhalten, Substanzmissbrauch und Unfallverletzungen.
Bei medikamentös behandelten Patienten trat erstmaliges suizidales Verhalten seltener auf als bei Patienten ohne Pharmakotherapie (14,5 versus 16,9 Ereignisse pro 1000 Personenjahre). Nach der Anpassung an Störfaktoren betrug das adjustierte Hazard-Ratio (aHR) 0,83 – entsprechend einer relativen Risikoreduktion um 17 Prozent.
Auch missbrauchten Patienten mit Medikation seltener Substanzen, hier war das relative Risiko um 15 Prozent geringer (58,7 versus 69,1 pro 1000 Personenjahre, aHR: 0,85). Zudem kam es zu rund 12 Prozent weniger Verkehrsunfällen als in der Vergleichsgruppe (24,0 versus 27,5 pro 1000 Personenjahre, aHR: 0,88).
Die Kriminalität ging unter der Pharmakotherapie um etwa 13 Prozent zurück (65,1 versus 76,1 pro 1000 Personenjahre, aHR: 0,87). Die Häufigkeit von Unfallverletzungen unterschied sich jedoch nicht signifikant zwischen beiden Gruppen (88,5 versus 90,1 pro 1000 Personenjahre, aHR: 0,98).
Auch bei wiederkehrenden Ereignissen schnitt die Arzneimitteltherapie signifikant besser als ab als die medikamentöse Nichtbehandlung. Wiederholtes suizidales Verhalten reduzierte sich im Vergleich um 15 Prozent, Substanzmissbrauch und Kriminalität um je 25 Prozent, Unfallverletzungen um 4 Prozent und Verkehrsunfälle um 16 Prozent.
Die reduzierten Ereignisraten deuteten auf eine verminderte Impulsivität und damit einhergehend auf reduziertes aggressives Verhalten und Kriminalität hin, schreiben die Autoren. Eine verbesserte Aufmerksamkeit kann zudem Ablenkungen, etwa im Straßenverkehr, reduzieren, wodurch das Unfallrisiko sinkt.
Die Autoren räumen jedoch mehrere Einschränkungen der Studie ein. So konnten sie keine Daten zu nicht medikamentösen Behandlungen oder zur Dosis der Medikamente auswerten. Obwohl die Target-Trial-Emulation keine endgültigen kausalen Schlüsse zulässt, liefere sie »Belege dafür, wie sich die medikamentöse Behandlung von ADHS auf wichtige gesundheitsbezogene und soziale Ergebnisse auswirkt, die in die klinische Praxis und die Debatte über die medikamentöse Behandlung von ADHS einfließen sollten«, lautet das Fazit der Autoren.