Medikamentengabe über das Trommelfell gut abwägen |
Angesichts dieser Gesamtsituation müssen Morbus Meniére-Patienten besonders intensiv beraten und informiert werden, hebt Professor Dr. Michael Strupp, München, als Mitautor der Leitlinie »Vestibuläre Funktionsstörungen« im Rahmen des DGN-Statements hervor. »Wird für Patienten, die auf die konservative medikamentöse Therapie nicht ansprechen, prophylaktisch die transtympanale Medikamentenapplikation empfohlen, so sollte im Gespräch mit den Betroffenen auch die Bedeutung der Hörminderung bei der Gabe von Gentamicin immer thematisiert werden«, unterstreicht der Neurologe.
Dabei sei einerseits die Chance der Remission im Verlauf von zwei bis acht Jahren in bis zu 60 Prozent der Fälle sowie zudem andererseits die drohende Gefahr des fortschreitenden Hörverlustes und die Entwicklung eines beidseitigen Morbus Menière in bis zu 40 Prozent der Patienten bei unbehandelter Erkrankung zu erwähnen. So oder so: Stets sei in der Therapie ein personalisiertes Vorgehen geboten.
Wenn notwendig, das heißt bei hohem Leidensdruck, denn Morbus Meniére kann wie viele der Weiteren bekannten zahlreichen Schwindelarten belastende, zutiefst verunsichernde und bedrohliche Erscheinungsformen annehmen, sollten die Injektionen leitlinienentsprechend, das heißt in mehrwöchigen Abständen erfolgen, um die Innenohrtoxizität so gering wie möglich zu halten.
Strupp betont, das gerade aufgrund der hohen Placebo-Effekte und auch natürlichen Remissionen weitere Studien zur Erforschung der tatsächlichen molekularen Wirkmechanismen der intratympanalen Applikation von Steroiden und Gentamcin unumgänglich seien.
Morbus Menière als chronische Erkrankung des Innenohrs ist von rezidivierenden Dreh-Schwindelepisoden geprägt, die gleichermaßen nicht nur von Hörminderung, sondern auch von Tinnitus, Ohrdruck sowie vegetativen Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Blässe und Schwitzen begleitet werden. Die Schwindelattacken kommen zumeist unregelmäßig, plötzlich und unerwartet, sie können über viele Minuten bis Stunden andauern und mit einem hohen Sturzrisiko einhergehen. Zwischen zwei Attacken können mehrere Jahre liegen.
Als eine Ursache wird eine Störung der Innenohr-Homöostase mit Entstehung eines Endolymph-Hydrops, der sich gegebenenfalls bildgebend darstellen lässt, diskutiert. Die Pathogenese gilt jedoch als ungeklärt. Das nach dem französischen Arzt Prosper Meniere (1799 bis 1862) benannte Leiden beginnt meist zwischen der vierten und sechsten Lebensdekade. Die Lebenszeitprävalenz liegt bei etwa 0,5 Prozent. In Europa sind etwa eine Million Menschen betroffen. Die Dunkelziffer ist hoch, zumal die Diagnose durch die Tatsache erschwert wird, dass die klassische klinische Trias aus Schwindel, Hörminderung und Tinnitus anfangs nicht immer gegeben und auch beidseitiges Erscheinen möglich ist.
Aufgrund der unbekannten Pathophysiologie ist eine kausale Therapie nicht möglich. Im Akutfall werden leitliniengemäß Medikamente wie das Antihistaminikum Dimenhydrinat gegen Übelkeit und Erbrechen eingesetzt. In der Prophylaxe habe sich das Antihistaminikum Betahistin (vermutete Wirkung: Hemmung der Erregung von Nervenzellen der Gleichgewichtsorgane) in hoher Dosierung gegebenenfalls in Kombination mit Selegilin oder Rasagilin (vermutete Wirkung: Verstärkung der Effektivität von Betahistin) bewährt. Wirknachweise durch kontrollierte Studien liegen bislang auch hier nicht vor.