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Morbus Meniére

Medikamentengabe über das Trommelfell gut abwägen

Morbus Meniére-Patienten leiden unter Schwindelattacken, die auf konservative medikamentöse Maßnahmen nicht immer ansprechen. Dann empfiehlt die Leitlinie die prophylaktische transtympanale Applikation von Gentamicin oder Steroiden direkt in das Innenohr empfohlen. Eine neue Metaanalyse hat ergeben, dass beide Substanzen die Schwindelattacken bei (und das wird betont) gleichzeitig hohem Placebo-Effekt lindern können.
Christiane Berg
18.02.2022  07:00 Uhr

Der Unterschied in den Effekten nach Gentamicin- beziehungsweise Glucocorticoid-Gabe sei nicht relevant, folgern die Studienautoren. Patienten sollten im Beratungsgespräch jedoch darauf hingewiesen werden, dass ein zusätzlicher Hörverlust insbesondere durch die Gentamicin-Therapie möglich ist, sodass insgesamt die klinische Effektivität und Therapiesicherheit der intratympanalen Behandlung (durch das Trommelfell) kontrovers diskutiert wird, heißt es in einem begleitenden Statement der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

Doch von vorn: Im Rahmen der zu Beginn dieses Jahres im »Journal of Neurology« veröffentlichten Metaanalyse wurden die Ergebnisse von zehn randomisierten, kontrollierten klinischen Studien analysiert, bei denen die intratympanale Gabe von Steroiden (vermutete Wirkung: Minderung der Entzündungen und Schwellungen im Innenohr) versus Gentamicin (vermutete Wirkung: Reduktion der Erregbarkeit der Gleichgewichtssinneszellen in den Bogengängen des Innenohrs) beziehungsweise beider Substanzen jeweils gegen Placebo verglichen wurde.

Alle Studienteilnehmer (n=455; Alter 42 bis 65 Jahre; zu 52,2 Prozent Frauen) litten an einseitigem Morbus Menière und hatten vorab nicht auf konservative Therapiemaßnahmen wie Betahistin-Gabe angesprochen. Die Metaanalyse zeigte nun keine signifikanten Unterschiede in der Effektivität der Gentamicin- und der Steroid-Injektionen.

Hoher Placebo-Effekt

Allerdings, so die Studienautoren, sei auch der Placebo-Effekt selbst hoch. Zudem habe sich gezeigt, dass eine Minderung des Hörvermögens als besonders gefürchtete Nebenwirkung bei intratympanaler Glucocorticoid-Injektion weniger häufig und ausgeprägt auftrat als bei intratympanaler Gentamicin-Applikation. Das Aminoglykosid-Antibiotikum Gentamicin gilt in hohen Konzentrationen per se als ototoxisch. Unter der Corticoid-Therapie, so die Autoren der Metaanalyse weiter, habe sich eine ähnliche Minderung des Hörvermögens wie unter Placebo gezeigt. Als weitere Nebenwirkungen seien Injektions-assoziierte Schmerzen, Infektionen und Trommelfellperforation registriert worden.

Die Ergebnisse der Metaanaylse bestätigen entsprechende Bewertungen der Autoren der aktuellen Leitlinie »Vestibuläre Funktionsstörungen«. Auch sie betonen mit Bezug auf ältere Studien, dass »unter Berücksichtigung des Risikos der Funktionsminderung des Hörens und/oder Gleichgewichts nach transtympanaler Gentamicin-Therapie diese nicht als besser geeignet im Vergleich zur Methylprednisolon-Therapie empfohlen werden kann«.

Stets intensive Beratung und individuelles Vorgehen nötig

Angesichts dieser Gesamtsituation müssen Morbus Meniére-Patienten besonders intensiv beraten und informiert werden, hebt Professor Dr. Michael Strupp, München, als Mitautor der Leitlinie »Vestibuläre Funktionsstörungen« im Rahmen des DGN-Statements hervor. »Wird für Patienten, die auf die konservative medikamentöse Therapie nicht ansprechen, prophylaktisch die transtympanale Medikamentenapplikation empfohlen, so sollte im Gespräch mit den Betroffenen auch die Bedeutung der Hörminderung bei der Gabe von Gentamicin immer thematisiert werden«, unterstreicht der Neurologe.

Dabei sei einerseits die Chance der Remission im Verlauf von zwei bis acht Jahren in bis zu 60 Prozent der Fälle sowie zudem andererseits die drohende Gefahr des fortschreitenden Hörverlustes und die Entwicklung eines beidseitigen Morbus Menière in bis zu 40 Prozent der Patienten bei unbehandelter Erkrankung zu erwähnen. So oder so: Stets sei in der Therapie ein personalisiertes Vorgehen geboten.

Wenn notwendig, das heißt bei hohem Leidensdruck, denn Morbus Meniére kann wie viele der Weiteren bekannten zahlreichen Schwindelarten belastende, zutiefst verunsichernde und bedrohliche Erscheinungsformen annehmen, sollten die Injektionen leitlinienentsprechend, das heißt in mehrwöchigen Abständen erfolgen, um die Innenohrtoxizität so gering wie möglich zu halten.

Strupp betont, das gerade aufgrund der hohen Placebo-Effekte und auch natürlichen Remissionen weitere Studien zur Erforschung der tatsächlichen molekularen Wirkmechanismen der intratympanalen Applikation von Steroiden und Gentamcin unumgänglich seien.

Kausale Therapie nicht möglich

Morbus Menière als chronische Erkrankung des Innenohrs ist von rezidivierenden Dreh-Schwindelepisoden geprägt, die gleichermaßen nicht nur von Hörminderung, sondern auch von Tinnitus, Ohrdruck sowie vegetativen Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Blässe und Schwitzen begleitet werden. Die Schwindelattacken kommen zumeist unregelmäßig, plötzlich und unerwartet, sie können über viele Minuten bis Stunden andauern und mit einem hohen Sturzrisiko einhergehen. Zwischen zwei Attacken können mehrere Jahre liegen.

Als eine Ursache wird eine Störung der Innenohr-Homöostase mit Entstehung eines Endolymph-Hydrops, der sich gegebenenfalls bildgebend darstellen lässt, diskutiert. Die Pathogenese gilt jedoch als ungeklärt. Das nach dem französischen Arzt Prosper Meniere (1799 bis 1862) benannte Leiden beginnt meist zwischen der vierten und sechsten Lebensdekade. Die Lebenszeitprävalenz liegt bei etwa 0,5 Prozent. In Europa sind etwa eine Million Menschen betroffen. Die Dunkelziffer ist hoch, zumal die Diagnose durch die Tatsache erschwert wird, dass die klassische klinische Trias aus Schwindel, Hörminderung und Tinnitus anfangs nicht immer gegeben und auch beidseitiges Erscheinen möglich ist.

Aufgrund der unbekannten Pathophysiologie ist eine kausale Therapie nicht möglich. Im Akutfall werden leitliniengemäß Medikamente wie das Antihistaminikum Dimenhydrinat gegen Übelkeit und Erbrechen eingesetzt. In der Prophylaxe habe sich das Antihistaminikum Betahistin (vermutete Wirkung: Hemmung der Erregung von Nervenzellen der Gleichgewichtsorgane) in hoher Dosierung gegebenenfalls in Kombination mit Selegilin oder Rasagilin (vermutete Wirkung: Verstärkung der Effektivität von Betahistin) bewährt. Wirknachweise durch kontrollierte Studien liegen bislang auch hier nicht vor.

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