Kaiserschnitt bei Schummerlicht |
| 20.12.1999 00:00 Uhr |
WAS WIR IHNEN VORENTHIELTEN
Und wieder endet ein Jahr. In fünfzig Ausgaben der Pharmazeutischen Zeitung haben wir Sie mit Fakten über die Gesundheitsreform gequält; wir haben Sie mit Details über Antikörper, Rezeptoren und Hormone nur mäßig amüsiert und wir haben ihnen die Zeit mit Wirtschaftsmeldungen gestohlen. Kurz vor Schluss wollen wir Ihnen aber doch nicht vorenthalten, was die Welt in den vergangenen 52 Wochen wirklich bewegt hat.
Die Tage des zweiten Jahrtausends sind gezählt. Zwar versucht immer noch eine kleine Gruppe von Menschen, die es mit dem Kalender genau nehmen, die Hysterie um den Jahrtausendwechsel zu bremsen; doch Erfolg hat sie damit nicht: Das neue Jahrzehnt, Jahrhundert, Millennium steht in der Tür. Und direkt dahinter steht ein bedauernswerter neuer Erdenbürger, der das Pech haben wird nicht als Max, Marie oder Marlene auf die Welt zu kommen, sondern als Millennium-Baby. Beseelt von dem festen Willen, Medienstar für einen Tag zu werden, hat sich nämlich eine unheilige Allianz aus Ärzten und prospektiven Eltern formiert, die um die Pole-Position auf der Geburtenliste des neuen Jahrtausends konkurriert.
Seinen Lauf nahm das Unheil Anfang April. Zwar warnten laut dpa Psychologen, Kirchenmänner und selbst manche Mediziner ambitionierte Paare davor, sich auf diesen Termin zu versteifen - geholfen hat es nicht: Am 9. des Monats sollte schließlich der Grundstein für die ersten Zeitungsschlagzeilen des 3. Jahrtausends gelegt werden.
Hoffentlich ist die Braunschweiger Atomuhr Jahr-2000-kompatibel, wahrscheinlich wirds beim Run auf das Jahrtausendbaby auf Sekunden ankommen. Auf die Biologie werden sich die ehrgeizigsten unter den Kandidaten deshalb wohl nicht verlassen. Müssen sie auch nicht, denn schon im Mai bekundeten Gynäkologen ihre Bereitschaft, dem zweifelhaften Wettkampfglück per Kaiserschnitt nachzuhelfen.
Dabei ist der erste Januar 2000 sicherlich der denkbar schlechteste Zeitpunkt für den zu erwartenden Auftrieb in den Kreißsälen. Wenn das 2000-Problem eintritt, wird der erste Kaiserschnitt des neuen Jahrtausends möglicherweise im Kerzenschein von statten gehen.
Zumindest in Deutschland dürfte das Millennium-Baby wohl ein Mädchen werden. Denn bei schlechtem Wetter werden häufiger Mädchen gezeugt als bei Sonnenschein und Hitze. Zoologen von der Universität Münster haben dies herausgefunden und im Fachmagazin "New Scientist" veröffentlicht. Bedeckt halten sich die Wissenschaftler allerdings zu der sich aufdrängenden Frage, warum es am Äquator auch Frauen und am Nordpol Männer gibt.
Schlechte Karten beim Wettrennen ums Millennium-Baby haben Lakritzesser. Im Oktober berichtete nämlich das New England Journal of Medicine, dass Lakritz die Bildung von Testosteron behindert. Wer täglich von dem zähen, braunschwarzen Klebezeug nascht, könne Probleme mit der Potenz bekommen, warnte das Fachmagazin.
Aber nicht nur Lakritzesser sind gefährdet. Schlechter als es sich mitteleuropäische Männer in ihren neidvollen Vorstellungen ausmalen, steht es offensichtlich um die Kerle vom Apennin. Wie die italienische Tageszeitung La Stampa im Mai berichtete, haben innerhalb eines Jahres 60.000 impotente Männer bei einer Andrologen-Hotline angerufen. Auf 3 Millionen beziffert das Blatt das Heer der Betroffenen. Ist der Latin Lover mit seinem Latein am Ende?, fragen wir uns da schadenfroh.
So, genug geschmuddelt, schließlich passierte auch außerhalb der horizontalen Sphäre Spektakuläres, das von der PZ-Redaktion bislang nicht ausreichend gewürdigt wurde. Zum Beispiel am 11. August. An diesem Tag verdunkelte sich zur Mittagszeit der Himmel über dem Süden der Republik. Während Augenärzte den Finsternishungrigen empfahlen, sich eine Sofi-Brille zu kaufen, zeigte n-tv einen preiswerteren Weg auf: "Die Warnungen betreffen nicht die Fernsehzuschauer," jubelte der Nachrichtensender einen Tag vor dem Showdown. Wer die Sonnenfinsternis im Fernsehen verfolge, brauche keine Schutzbrille. Gut, dass es Sender gibt, die mit heißen News die Bedürfnisse der Info-Elite befriedigen.
Keine Gefahr also durch Sofi. Eine wesentlich brisantere Klippe galt es dagegen im Februar zu umschiffen: Die fünfte und ohne Frage gefährlichste Jahreszeit rief ganze Heerscharen von Mahnern auf den Plan. Der Landesverband der Betriebskrankenkassen in NRW warnte wie schon 1998 vor Karnevalsschminke. Deren Hautverträglichkeit lasse oft zu wünschen übrig. Vampiren, Cowboys und Außerirdischen drohten Ekzeme und - wie die Krankenkassenkollegen aus Kornwestheim berichteten - auch Allergien.
Für geschminkte Cowboys kommt noch eine zweite Gefahrenquelle hinzu: Kinderpistolen, warnten Wissenschaftler der Uni Gießen, könnten bleibende Hörschäden hervorrufen. Die Schießeisen der Nachwuchscowboys sollen lauter als ein Bundeswehrgewehr sein.
Ebenfalls in die Kategorie Teufelszeug fallen wohl auch gefärbte Kontaktlinsen. Kurz vor den tollen Tagen warnte ein Ulmer Augenarzt vor dem unbekümmerten Umgang mit diesen Linsen. Die Farbpartikel könnten Augenentzündungen verursachen, und auch die Nasenschleimhaut sei gefährdet.
Keine Gefahr geht dagegen vom als Volksdroge Nummer 1 diskriminierten Alkohol aus. Zumindest in seiner deutschesten Form ist er ein völlig harmloser Spaßmacher, wollte uns Ende Januar der Bier-Brauerbund weismachen. Wohl um ungerechtfertigten Vorwürfen zuvor zu kommen, wies er darauf hin, dass "ein Bierchen zwischendurch die Laune fördert". Biertrinker seien zufriedenere Menschen, wollen Wissenschaftler festgestellt haben. Wer die Sorgen des Alltags mit einem Glas Bier herunterspüle, fühle sich wohler als die Miesepeter, die nicht auf die heilende Kraft des Gerstensaftes vertrauten.
Anders sieht es beim französischen Rotwein aus. Hier droht die Bovine, spongioforme Enzephalopathie, vulgo Rinderwahnsinn - zumindest wenn der Rebensaft aus Frankreich kommt und in China getrunken wird. Wie die Tageszeitung "China Daily" im August berichtete, haben chinesische Kaufhäuser angeblich mit Rinderblut behandelten französischen Rotwein aus den Regalen genommen. Doch die Franzosen können uns beruhigen - zumindest ein bißchen: Zwar enthalte der Wein tatsächlich Rinderblut, dieses sei aber BSE-frei.
Nicht nur Rotwein, sondern auch Kopfbälle können dem Hirn schaden. Davon ist der niederländische Neuropsychologe Erik Matser überzeugt. Fußballprofis schnitten in Hirnleistungstests schlechter ab als Nicht-Kicker. Unklar bleibt allerdings, ob der Forscher Ursache und Wirkung klar auseinander gehalten hat.
Etwas tiefer als bei Fußballern sitzt die Problemzone bei Politikern, Lehrern und Rechtsanwälten. Wie ein britischer Mikrobiologe der Londoner Zeitung "The Express" steckte, neigen Vertreter dieser drei Berufsgruppen zu Mundgeruch. Der Grund: Sie reden zuviel. Die Konsequenz: "Ihr Mund trocknet beim Sprechen aus, und dann ist nicht mehr genug Speichel da, um die Bakterien wegzuspülen". Gerade bei Politikern sei schlechter Atem extrem häufig, sagt Mel Rosenberg. Und so erklärt sich auch die alte Redensart "Eigenlob stinkt".
Und noch eine Sensation
Was glauben sie, worüber Männer gerne reden, wenn sie unter sich sind? Über Fußball, über Formel 1, über Alkohol und wieviel sie davon vertragen? Glauben Sie das? Und worüber reden Männer nicht? Etwa über persönliche Schwächen? Über eigene Niederlagen? Über kulturelle Highlights? Spielt das keine Rolle in Männerrunden? So, das glauben Sie auch? Herzlichen Glückwunsch, sie haben recht. Genau zu diesen vollkommen unerwarteten Ergebnissen kam der Psychologe Professor Dr. Alfred Gebert nach einer Umfrage unter Männern.
Toll, nicht wahr. Vielleicht untersucht er ja demnächst, ob Frauen lieber schlau als
dumm sind, ob Kinder lieber Freunde haben oder gerne einsam sind, ob Erfolg
erstrebenswerter ist als eine endlose Kette von Pleiten und Pannen. Gut, dass wir die
Wissenschaft haben, gut dass blitzgescheite Forscher Licht in die dunkelsten Ecken der
menschlichen Psyche bringen.
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