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Der Glauberg-Mann

05.08.2002  00:00 Uhr

Kelten-Ausstellung

Der Glauberg-Mann

von Gisela Stiehler-Alegria, Neu-Isenburg

Keltische Stämme tauchten zu Beginn des ersten vorchristlichen Jahrtausends aus dem Dunkel auf, um die Geschicke Europas mitzubestimmen. Ein sensationeller Fund dieser Zeit vom Glauberg in Hessen ist Anlass einer Ausstellung, die noch bis zum 1. September in der Frankfurter Kunsthalle Schirn zu sehen ist.

Das zu Füßen einer frühkeltischen Ringwallanlage freigelegte Areal barg neben zwei Fürstengräbern aus dem 5. Jahrhundert vor Christus vier lebensgroße Steinfiguren, die als die eigentliche Überraschung gelten

Der heilige Bezirk vom Glauberg gibt einige Rätsel auf. Handelte es sich bei dem kleinen Vierpfostenbau um einen Tempel, wie es das Grabenviereck, die sakrale Einfriedung, nahe legt? Beeindruckend auch die gewaltigen Graben-Wall-Werke, von deren Mitte aus eine 350 Meter lange und 10 Meter breite Prozessionsstraße nach Süden führt. Während sich ein Schacht im Zentrum als fundleer erwies, wurden im Nordwesten und Südosten der Anlage zwei reich bestückte Gräber entdeckt. Es sind jedoch weniger die beiden dort bestatteten Krieger oder ihre Beigaben, die die Neugier wecken - spektakulär war auch schon die Entdeckung des prunkvollen keltischen Fürstengrabes von Hochdorf in Baden-Württemberg in den späten siebziger Jahren - sondern es sind die mannshohen Sandsteinfiguren mit den "großen Ohren".

Detailliert beschreibt das Relief die Panzer des Kriegers, die Gesichtszüge wirken eher stilisiert. Doch das Augenmerk richtet sich auf die Kopfbedeckung, die aus einer Kappe mit zwei großen seitlichen Ansätzen besteht. Sie laufen über dem Kopf zusammen und haben die Form riesiger Blätter. Etliche bekannte keltische Denkmäler weisen ähnlichen Kopfschmuck auf

Mistelschneider und Eichenkundige

Das Geheimnis der außergewöhnlichen Kopfbedeckungen zu lüften war vorrangiges Ziel der Archäologengilde. Die ohrenartigen Ansätze der merkwürdigen Hauben symbolisieren möglicherweise Mistel- oder Eichenblätter. Kränze aus Eichenlaub dienten zum Beispiel als Würdezeichen altitalischer Regenten, so dass es nicht abwegig scheint, in den blattförmigen Attributen stilisiertes Eichenlaub oder übergroße Mistelblätter zu erkennen. Beide Pflanzen zählten zu den heiligen Gewächsen der Kelten.

Plinius d. Ä. behauptet in seiner "naturalis historia", dass die Kelten am 6. jeden Monats ein großes Fest begingen. Weiß bekleidete Männer kletterten auf Eichbäume, um dort mit goldener Sichel Mistelzweige abzuschneiden, in ein weißes Tuch zu hüllen und den Göttern darzubringen. Die Mistel, die als Schmarotzerpflanze auf verschiedenen Wirtsbäumen lebt, hat nicht nur als Heilpflanze eine lange Tradition. Um sie ranken sich auch viele Sagen. Sie soll dort entstehen, wo der Blitz einen Baum trifft. Wegen ihrer immergrünen Natur galt sie als Symbol der Unsterblichkeit und Schutz gegen Blitzschlag und bösen Zauber. Volkstümliche Namen wie Albrute, Druden- oder Hexenbusch erinnern noch heute an den einstigen Verwendungszweck.

Andererseits standen Eichen, auf denen Misteln wuchsen, bei den weisen Männern der Kelten in hohem Ansehen. Wegen ihres Alters, ihrer Größe und der Härte ihres Holzes wurde die Eiche mit der Aura der Unsterblichkeit und der Dauerhaftigkeit umgeben. Eicheln symbolisierten nicht nur das männliche Sexualorgan und verliehen als Amulett getragen Stärke und Glück, sie wurden von den keltischen Priestern vor dem Weissagen verzehrt. Die Sprachforscher leiten die Amtsbezeichnung "Druide" übrigens vom Griechischen drus=Eiche ab. Druide bekäme dann die Bedeutung "Eichenkundiger", was Sinn macht, denn bei Versammlungen zwischen Gallien und Galatia wandelten sie in den heiligen Hainen unter den rauschenden Blätterdächern und sprachen das Richterwort. Im selben Kontext steht die Eiche von Dodena, einer Orakelstätte im antiken Griechenland. Dort war sie dem Blitz- und Himmelsgott Zeus geweiht, der im Rauschen der Eichenblätter seinen Willen kundtat.

Ahnenkult und Seelenwanderung

Die Römer berichten, dass die Kelten glaubten, ihre Seelen würden nicht vergehen, sondern von einem zum andern wandern. Die erwähnten janusköpfigen Steinpfeiler, die unbeweglich in zwei Welten, auf das Diesseits und das Jenseits zu blicken scheinen, standen mit dem Totenkult in Zusammenhang. Ihre Bedeutung als Grabfigur ist offensichtlich. Auch die Figuren vom Glauberg entdeckte man in den Gräben um den heiligen Bezirk. Die Archäologen zweifeln nicht, dass es sich bei den freigelegten Skulpturen vom Glauberg um Abbilder der Herrscherpersönlichkeiten über den Tod hinaus handelt. Man präsentierte sie in voller Rüstung, geschmückt mit den Insignien ihrer Macht, den Blick gen Süden gerichtet.

Die Kelten befanden sich nicht nur auf dem Jenseitstrip oder waren der Mythologie zugetan, sie agierten auch als knallharte Geschäftsleute. Importfunde lassen den intensiven Handel mit Griechen, Etruskern und Römern erkennen, profitierten sie doch seit ihrer Einwanderung in den süddeutschen Raum von der verkehrsgünstigen Lage sich kreuzender Handelsrouten. Parallel dazu übernahmen die Kelten viele aus dem Mittelmeerraum stammende Techniken und entwickelten sie souverän weiter, wobei zahlreiche Innovationen auf ihr Konto gingen.

Seit der Hallstatt-Zeit, benannt nach einem Fund in Österreich aus dem 8. bis 5. Jahrhundert vor Christus, rührte ihr Reichtum aus Kupfer-Schmelzöfen und Salzsiedereien. Auf dem Höhepunkt der Latène-Zeit ( 5. bis 1. Jahrhundert vor Christus) war das Land von emsigem kommerziellen Treiben erfüllt, vom Hämmern der Schmiede, dem Klappern der Webstühle und Kreischen der Schleifsteine. Die Kelten besaßen ein eigenes Münzwesen. Im Oppidum von Manching wurden beispielsweise die so genannten "Regenbogenschüsselchen" geprägt.

Keltische Bollwerke

Gegen das Vordringen germanischer Stämme im Verlauf der letzten Jahrzehnte vor der Zeitenwende errichteten die Kelten vom Fichtelgebirge bis zum Hunsrück eine dichte Kette von Befestigungswerken. Das größte dieser Art ist die Steinsburg auf dem Kleinen Gleichberg im südlichen Vorland des Thüringischen Waldes nahe Hildburghausen. Sie weist einen dreifachen Schutzring auf, dessen rund 11 Kilometer lange Mauern bis zu vier Metern hoch und sechs Meter stark waren.

Eine der Ursachen für ihre Kapitulation vor den Armeen der römischen Kaiser war die Zersplitterung der keltischen Stämme in kleine Gruppen. Sie bildeten wohl wirtschaftliche Einheiten, stellten aber keine organisierte Macht dar, die sie den strategisch vorrückenden Römern hätten entgegensetzen können. Top

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