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Wahnsinn in Afrika

01.08.2005  00:00 Uhr
Fotoausstellung

Wahnsinn in Afrika

von Ulrike Abel-Wanek, Heidelberg

In Afrika wird auf psychische Krankheiten anders reagiert als in Europa. Neben modernen medizinischen Praktiken haben sich traditionelle Riten und Heilungskonzepte bewahrt. Eine Fotoausstellung der Heidelberger Sammlung Prinzhorn zeigt verstörende Bilder aus verschiedenen Regionen des schwarzen Kontinents.

Im Zentrum der Ausstellung stehen Bilder und Texte aus dem kürzlich beim Frankfurter S. Fischer-Verlag erschienenen Buches »Psyche« von Leonore Mau und Hubert Fichte. Die Fotografin und der Schriftsteller reisten seit den 60er-Jahren mehrfach nach Westafrika. In Senegal, Burkina Faso, Togo und Benin machte Mau Aufnahmen in psychiatrischen Kliniken und »Dörfern« oder vom Zaubermarkt in Lomé, der überquillt von befremdlichen Utensilien. Hunderte getrocknete Chamäleons, Schlangen, Elefantenschädel, Hufe, Vogelbeine oder Kräuter warten hier auf ihren Einsatz im Kampf gegen die bösen Geister, die den Heilern zufolge den Wahnsinn hervorrufen.

Die Fotos zeigen farbenprächtig gekleidete Priester und Schamanen bei ihren zeremoniellen Handlungen mit den Kranken, aber auch Menschen mit sinnentleertem Blick, die wie Müll auf der Straße herumliegen, ausgestoßen aus der Gemeinschaft, die ihrem Leiden nicht mehr Herr werden konnte.

Die psychiatrische Abteilung von Fann in Dakar, Senegal, ist ein Auffangbecken für »Geisteskranke«, bei denen traditionelle Heilverfahren keine Wirkung mehr zeigten. Die Krankenhausinsassen werden hier mit Neuroleptika und Elektroschocks behandelt. Diese etwa in den 70er-Jahren fotografisch festgehaltenen »modernen« Behandlungsmethoden wirken nicht weniger martialisch als einige der exotisch anmutenden afrikanischen Rituale, in denen die »Wahnsinnigen« mit Hitze- und Ekelschocks, Ochsenblut und saurer Milch malträtiert werden. Leonore Mau schuf tief anrührende, aber auch kraftvolle Bilder von großer Intensität, ja, sogar Intimität, die trotz radikaler Realität von hohem künstlerischen Wert sind und dabei nie voyeuristisch.

Kranke werden an Bäume gekettet

»In der Nähe von Bongouanou, Elfenbeinküste, liegt Akakrou, ein kleiner, rund 100 Seelen zählender Ort. Geh in den Busch am Rande des Ortes, und auf einer kleinen Lichtung findest du sieben Bäume, jeder von ihnen umgeben von einem Kreis hartem, gebackenen Dreck. An fünf dieser Bäume sind vier Männer und eine Frau festgebunden, die je eine enge, kurze Kette mit einem Vorhängeschloss um den Knöchel tragen. Das sind die geistig Verwirrten von Akarou ...«.

2002 publizierte das italienische Fotomagazin »Colors« diesen Text in einem Sonderheft zum Thema Wahnsinn. Er erläutert die eindringlichen Bilder angeketteter Menschen des afrikanischen Fotografen James Mollison, die auf der Galerie des Museums ausgestellt sind.

Wer als wahnsinnig gilt, wird an der Elfenbeinküste noch vielerorts in so genannten Gebetszentren, meist in der Nähe der Familien, an Bäume gebunden, täglich mit Gebeten beschworen, regelmäßig geschlagen und kaum mit Essen versorgt. Die Elfenbeinküste ist eines der ärmsten Länder der Erde, mehr als die Hälfte der Bewohner, die eine Lebenserwartung von durchschnittlich 47 Jahren haben, sind Analphabeten. Dem Volksglauben nach ist Wahnsinn schon durch Berührung ansteckend. So begleitet der Fotograf Grégoire Ahongbonon einen Mann auf dem Kreuzzug zur Befreiung der angeketteten Kranken, der die Patienten vor den Augen aller Dorfbewohner in die Arme schließt, ihnen Haare und Nägel schneidet und sie wäscht.

Ganz anders die Fotografien von Dave Southwood aus Südafrika, dessen großformatige Fotos psychisch gestörte Delinquenten aus der Nervenklinik Valkenberg bei Kapstadt zeigen. Ihr westliches Outfit in Jeans und Turnschuhen täuscht bei näherer Betrachtung jedoch nicht darüber hinweg, dass der Glaube und die Ahnen bei der Behandlung von Psychosen auch in dem stärker an westlichen Standards orientierten Land eine außerordentliche Rolle spielen. Dem Krankheitsbegriff steht ein Glaubenssystem gegenüber. Hier prallen Kulturen aufeinander, die in fast 50 Jahren Apartheid künstlich voneinander getrennt wurden.

Die verschiedenen fotografischen Positionen beleuchten die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen von Geisteskrankheit in Afrika, werfen aber auch generelle Fragen auf über den Zugang zum Fremden: ein ausgesprochen aktuelles Thema in einer sehenswerten Ausstellung.

 

Die Ausstellung »Psychiatrie in Afrika ­ fotografische Erkundungen« ist noch bis zum 9. Oktober in der Sammlung Prinzhorn, Voßstraße 2, 69115 Heidelberg zu sehen. Ausstellungsinfo: (0 62 21) 56 44 39, www.prinzhorn.uni-hd.de.

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