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Leben inmitten von Parasiten

04.07.2005  00:00 Uhr
Ausstellung

Leben inmitten von Parasiten

von Ulrike Abel-Wanek, Frankfurt am Main

Mehr als die Hälfte aller Tierarten sind Parasiten. Sie leben auf, in und von anderen Lebewesen, oft zum Schaden ihrer Wirte, mitunter aber auch zu deren Nutzen. Das Frankfurter Senckenberg-Museum stellt einheimische und exotische Exemplare dieser »Mitesser« in einer informativen Sonderausstellung vor.

Auf den ersten Blick erscheinen sie furchterregend: der 15 Meter lange Bandwurm im Darm des Menschen, der die Welt mit Milliarden von Eiern überschwemmt, die Krätzmilbe, die Gänge in die Haut nagt, Maden, die in Wunden sitzen, Läuse, Zecken und andere Blutsauger. Schrecken und Ekel erregt, was sie tun ­ faszinierend ist, wie sie es tun. Abgeleitet vom griechischen »para sitos« bedeutet das Wort Parasit »Mitesser« an einer Tafel. In jeder größeren Tiergruppe gibt es parasitäres Verhalten. Beispielsweise ist der Kuckuck ein Brutparasit, weil er seine Nachkommen von fremden Eltern ausbrüten und durchfüttern lässt und auch bei den Säugetieren gibt es blutsaugende »Vampire« aus der Familie der Fledermäuse. Riesig ist die Schar der parasitischen Insekten.

Mücken, Wanzen und Flöhe bringen ihrerseits oft »Gäste« mit, die Malaria, Fleckfieber oder Pest hervorrufen. Schlupfwespen legen ihre Eier in und auf anderen Lebewesen ab, und ihre Nachkommen fressen den Wirt regelrecht von innen auf. Als hoch entwickelte, häufig sehr variable Organismen sind Parasiten eine Spitzenleistung der Evolution. Die scheinbar primitiven Kreaturen entwickelten hoch komplizierte Strategien, um zu dem einzig wichtigen Ziel zu gelangen: ihren Nachkommen den Weg ins Leben zu ebnen. Die Schmarotzer manipulieren und übertölpeln die Abwehrsysteme ihrer Wirte. Komplizierte Zyklen mit »taktischen« Wechseln von Wirten und Umgebung ermöglichen ihnen eine ungehinderte Vermehrung und Ausbreitung. Sie sind wahre Künstler in der geschickten Anpassung an immer neue Situationen.

Gegen viele Viren und Bakterien gibt es wirksame Impfstoffe, nicht jedoch gegen Parasiten. Seit langem arbeiten Wissenschaftler weltweit in den besteingerichteten Laboren an einem Impfstoff gegen Malaria ­ bis jetzt jedoch ohne Erfolg.

Parasiten gibt es überall. Ihr Verbreitungsschwerpunkt liegt jedoch in den Tropen und in warmen Ländern. Bekannt sind zum Beispiel die katastrophalen Auswirkungen der Flussblindheit in Westafrika, die ganze Dörfer verwaist zurückließ. Internationale Hilfsprojekte konnten die Wurmerkrankung, die durch Mücken übertragen wird, bis heute jedoch zumindest stark eindämmen.

Leben und leben lassen

»Leben und leben lassen« ist die erfolgreiche Grundstrategie, die es Parasiten ermöglicht, über einen langen Zeitraum an einem bestimmten Ort zu parasitieren. Schließlich garantiert ein halbwegs gesunder und funktionierender Wirt, dass sich die Nachkommen ungehindert vermehren können. Kein Lebensraum wird ausgelassen, wenn er ein Mindestmaß an Überlebenschancen bietet. Dabei sind die inneren Organe von Mensch und Tier, ihre Blutgefäße, Muskeln, Körperzellen, Haut, Drüsen oder Haare der ideale Lebensmittelpunkt und bieten den Schmarotzern Wohnung und Nahrung zugleich.

Von dieser Grundstrategie gibt es jedoch Abweichungen. Sie führen dazu, dass Millionen von Menschen an parasitären Erkrankungen leiden und sogar sterben oder deren Lebensqualität durch übertragene Infektionen erheblich beeinträchtigt wird. In Mitteleuropa haben etwa 40 bis 50 Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens mit Parasiten Bekanntschaft gemacht. Nicht selten kommen sie als »Reisesouvenir« mit über die Grenzen.

Aber auch das Schmusen mit dem geliebten Haustier kann gefährliche Parasitosen begünstigen. Katzen- und Hundespulwurm und die Toxoplasmose sind nur einige davon. In Mitteleuropa sind mindestens 30 Prozent der Bevölkerung von Toxoplasmose betroffen, die bei Menschen mit gesundem Immunsystem meist unbemerkt verläuft. Tatsächlich richten viele Parasiten bei mäßigem Befall keine erkennbaren Schäden an, vor allem dann nicht, wenn sie evolutionsgeschichtlich schon lange mit ihrem Wirt zusammenleben.

Wenn auch schon in fossilen Fundstücken frühe »Mitesser« entdeckt wurden und die antiken Hochkulturen bereits eine Reihe von krankheitserregenden Würmern kannten, die Erforschung und Aufklärung der komplizierten parasitischen Lebenszyklen blieb dem ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert vorbehalten ­ der Ära der Immunbiologie und Biochemie.

1897 wurden einem Forscherteam Erreger zum Verhängnis, die hier zu Lande durch die entsprechenden Hygienemaßnahmen kaum noch eine Gefahr darstellen: »Polarforscher unter der Leitung von Salomon August Andrée waren beim Versuch, das Nördliche Eismeer mit einem Ballon zu überqueren, in der Arktis gescheitert. Sie kehrten nie zurück. Doch nicht die Kälte der Eiswüste kostete die Männer das Leben, sondern der Genuss von ungenügend gegartem, mit Trichinen verseuchtem Eisbärenfleisch.« Die Rundwürmer parasitieren in fleischfressenden Tieren und Menschen. Die Infektion erfolgt durch den Verzehr von meist rohem Fleisch.

Maden präziser als ein Chirurg

Kontrolliert und gezielt eingesetzt wirken Parasiten jedoch auch als Wund(er)heiler. Seit Jahrhunderten schätzen Mediziner Blutegel, die mit scharfen Kiefern Wunden in die Haut schneiden. Heute werden sie als »Mikrochirurgen« eingesetzt, um die Durchblutung an Operationswunden zu beschleunigen. Das Speicheldrüsensekret Hirudin wird als Blutgerinnungshemmer eingesetzt. Auch Heilpraktiker greifen vermehrt zum Egel, das wieder gezüchtet und in Apotheken verkauft wird.

Sogar einige Fliegenmaden erleben gerade ein Comeback. Präziser als ein Chirurg sind sie in der Lage, abgestorbenes Wundgewebe zu entfernen und eine medikamentenfreie Heilung herbeizuführen. Die Maden reinigen, desinfizieren und stimulieren die Wundheilung. Die Larventherapie wird bei akuten und chronischen Wundinfektionen und vor allem bei nicht heilenden Wunden bei Bettlägerigen und Diabetikern angewendet.

Die Welt der Parasiten ist voller Wunder. Wer näher hinsieht, vergisst bald, dass der Gedanke an einen Bandwurm oder eine Zecke zunächst Ekel ausgelöst hat und kommt aus dem Staunen über die biologische Vielfalt der Tiere und deren raffinierte Strategien der Wirtsfindung nicht heraus. In der Ausstellung werden Übertragungswege erläutert und die daraus resultierende Gefahr, die sich bei richtigem Verhalten jedoch weitgehend bannen lässt.

Als Beleg für den Befall durch Eier

des Peitschenwurmes ist eine Replik der 5300 Jahre alten »Ötztaler Gletschermumie« ausgestellt. Abbildungen zeigen in mehrfacher Vergrößerung die oft skurril aussehenden Schmarotzer, von denen die Besucher einige unter dem Mikroskop betrachten können. Auch die bevorzugten Wirte werden als Exponate in anschaulicher Weise gezeigt. Eine Begleitbroschüre zur Ausstellung ist im Museumsshop erhältlich und vermittelt ein Grundwissen über Parasiten, Übertragungswege und parasitäre Erkrankungen.

 

Weitere Informationen

Sonderausstellung »Inmitten Parasiten«
1. Juli bis 25. September 2005
Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg
Senckenberganlage 25
60325 Frankfurt am Main
Telefon (0 69) 75 42-0
www.senckenberg.de

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