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Lieferengpass-Talk

Machen wir es in diesem Jahr besser?

Ob Eltern in der anbrechenden kalten Jahreszeit wieder um Kinderarzneien bangen müssen, wird sich zeigen. Beim »Tagesspiegel Evening Talk« in Berlin gab es viele Ideen, um Lieferengpässen entgegenzuwirken. Und über allem stand die Hoffnung, es möge bitte nicht so schlimm werden. 
Cornelia Dölger
11.10.2023  15:50 Uhr

Die Tage werden kürzer, die Defektlisten in den Apotheken länger. Es ist Herbst und wenn es schlecht läuft, gibt es in dieser Saison nicht nur wieder eine Infektionswelle, sondern erneut massive Lieferengpässe. Besonders Kinderarzneimittel waren im vergangenen Herbst und Winter in den Apotheken oft Mangelware. Ob dies demnächst wieder droht und was dagegen zu tun ist, war gestern Abend Thema beim »Tagesspiegel Evening Talk« im »Tagesspiegel«-Verlagshaus am Askanischen Platz in Berlin.

Die Expertenrunde der live gestreamten Veranstaltung saß dabei an einem langen, weiß gedeckten Tisch und diskutierte über »Anforderungen an eine zukunftsfähige und krisenresistente Kindergesundheitsversorgung«. Impulsgeber in der etwa 25-köpfigen Runde waren Nicole Armbrüster vom BPI – Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie, die Kinderärztin und SPD-Bundestagsabgeordnete Nezahat Baradari, die Juristin und CDU-Bundestagsabgeordnete Silvia Breher und Professor Berthold Koletzko, Kinder- und Jugendmediziner sowie Vorstand der Stiftung Kindergesundheit. Moderiert wurde der knapp zweistündige Abend von »Tagesspiegel«- Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff.

Casdorff nahm sich und seine Gäste dann auch gleich in die Pflicht und forderte ebenso philosophisch wie nachdrücklich: »Verlasse nie den Ort einer Erkenntnis, ohne dich auf konkretes Handeln verständigt zu haben.« Zumindest mit Forderungen nach konkretem Handeln kamen die Angesprochenen dem nach. So appellierte Kinderarzt Koletzko etwa, das so genannte Kinderformularium unbedingt weiter fortzuführen.

Koletzko: BMG soll EU-Pläne abwehren

Die unabhängige Datenbank für evidenzbasierte Dosierungen und Informationen zu Kinderarzneimitteln wurde vor wenigen Jahren mit Mitteln des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) im Rahmen des Aktionsplans zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland entwickelt. Dort werden insbesondere Dosierungsempfehlungen bereitgestellt, die auf der bestvorhandenen Evidenz basieren und teilweise von der zugelassenen Dosis abweichen können. Deshalb spiele das Kinderformularium besonders in Off-Label-Anwendungen eine wichtige Rolle, so Koletzko. »Die Finanzierung wackelt aber.« Es brauche finanzielle Zusagen, um die Datenbank weiterzuführen. »Das könnten wir heute beschließen«, schlug er vor.

Zudem müsse sich das Bundesgesundheitsministerium (BMG) gegen die europäischen Pläne im Rahmen des EU-Pharmapakets wehren, die die Versorgung mit Kinderarzneimitteln weiter gefährdeten. Statt die Anreize für Pharmaunternehmen zu stärken, sollten diese nun wieder gestrichen werden.

Dass die Versorgung mit Kinderarzneimitteln in Deutschland so unbefriedigend sei, sei unter anderem auf diese fehlenden Anreize für Hersteller zurückzuführen. Gerade einmal 15 Prozent machten Kinderarzneimittel auf dem gesamten Arzneimittelmarkt aus. »Da ist es einfach nicht interessant, darin zu investieren«, so Koletzko. Zudem müsse die Entwicklung und Prüfung von Kinderarzneimitteln hierzulande weiter vorangebracht werden; nach wie vor werde hier viel zu oft improvisiert. Auch gebe es zu viele technische und infrastrukturelle Hindernisse für klinische Arzneimittelprüfungen.

SPD: Lieferengpassgesetz geht in richtige Richtung

In puncto Kinderformularium sei man »in engen Gesprächen« mit den Haushältern, erwiderte die SPD-Bundestagsabgeordnete Nezahat Baradari, die auch im Gesundheitsausschuss sitzt. Sie hoffe, dass sie die weitere Finanzierung dort durchsetzen könnten. Mit dem Lieferengpassgesetz (ALBVVG) habe die Ampelkoalition schon Schritte in die richtige Richtung unternommen, um die Versorgung mit Kinderarzneien zu stabilisieren, etwa durch die Entrabattierung von Kinderarzneien. »Wir sind schon dabei, an diesem kaputten Haus etwas zu reparieren«, so Baradari.

Mit Hilfe der Dringlichkeitsliste des Bundesinstituts für etwa Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) können man nun flexibler auf Engpässe reagieren, zudem trage der Mitte September vorgestellte Fünf-Punkte-Plan gegen Lieferengpässe dazu bei, sich den Herausforderungen im Herbst und Winter anzupassen. Dazu sei zudem ein eigener Steuerungskreis eingerichtet worden.

Um mehr Arzneimittel vorhalten zu können, hätten die Hersteller die Produktmengen der dringlichen Arzneimittel im Vergleich zum vergangenen Herbst um 100 Prozent gesteigert, so Baradari.

BPI: Zusatznutzen bei neuen Kinderarzneien voraussetzen

Daraufhin betonte Nicole Armbrüster vom BPI, dass die Hersteller sehr gern bereit wären, mehr Kinderarzneien zu produzieren, allerdings gebe es einige Hindernisse. Wie auch Kinderarzt Koletzko krisierte Armbrüster die schwierigen Bedingungen für klinische Arzneimittelprüfungen. Zudem forderte sie, die frühe Nutzenbewertung bei neuen Kinderarzneimitteln anzupassen. Hier müsse ein Zusatznutzen von vornherein als gegeben angesehen werden. Gegen die drohenden Lieferengpässe helfe es im Übrigen vor allem, wenn der Kostendruck von den Herstellern genommen würde. Seit Jahren gingen die Preise nach unten, viele Präparate könnten nicht mehr wirtschaftlich hergestellt werden.

Dass sich dadurch die Herstellervielfalt dramatisch reduziert habe, werde zum Beispiel daran deutlich, dass es vor zwölf Jahren noch zwölf Anbieter für Paracetamol gegeben habe, in diesem Jahr aber nur noch einen. »Das kann nicht mehr aufgefangen werden«, so Armbrüster. Sie plädierte für die Möglichkeit, die Arzneimittelpreise zu erhöhen. Die vorgesehenen Preisaufschläge bei Kinderarzneien reichten nicht aus. »Damit wird die kostendeckende Herstellung ermöglich, aber es werden keine Gewinne gemacht.“«

Konkret warb Armbrüster dafür, den Arbeitskreis Kinder wieder ins Leben zurückzurufen, den der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sowie der damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich 2017 gegründet hatten. Dieser interinstitutionelle Dialog sei nach drei Sitzungen eingeschlafen – er müsse reaktiviert werden, forderte Armbrüster, worauf Moderator Casdorff anregte, über eine »Arbeitsgruppe Kindeswohl« nachzudenken – eine Idee, die er im Verlauf des Abends mehrmals vorbrachte.

CDU: Das ganze Kind früh im Blick haben

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Silvia Breher führte aus, dass speziell im ländlichen Raum zu wenig für Kindergesundheit getan werde. Es fehle nicht nur an Hebammen, Geburtsstationen und Kinderärzten, auch sei der Mangel an Fiebersäften oder Antibiotika an der Tagesordnung. Alle Apotheken in ihrem Wahlkreis Cloppenburg-Vechta in Niedersachsen hätten Engpässe gemeldet, so Breher. Umfassende Hilfe müsse viel früher ansetzen, es brauche mehr präventive Angebote für Kindergesundheit. »Wir müssen das ganze Kind früh im Blick haben«, sagte die Juristin und dreifache Mutter.

Mit am Tisch saßen unter anderem die Kinderärzte Burkhard Rodeck und Thomas Fischbach. Rodeck, der zudem Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin ist, regte an, die Produktionsvielfalt hierzulande und in Europa wieder zu vergrößern. Zwar zeige das Lieferengpassgesetz einige Lösungen auf, »aber auch nur begrenzt«. Denn letztlich helfe nur eine erweiterte Produktion gegen die Mangellage. Dies wiederum gelinge nur, wenn die Unternehmen Anreize bekämen. Deutschland und Europa bräuchten mehr Unabhängigkeit von Produzenten in Indien und China.

Um vor allem den ländlichen Raum vor Lieferengpässen zu schützen, müsse das ALBVVG durchaus noch einmal aufgeschnürt werden. Denn die Rabatte für Kinderarzneimittel aufzuheben, während die Vorratspflicht des Großhandels eben nur für Rabattarzneimittel gelte, passe nicht zusammen.

Hersteller produzieren am Limit

Dem hielt Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ), entgegen, dass die Hersteller ja bereits am Limit produzierten. »Davon bleibt nichts im Großhandel, sondern wird sofort von den Apotheken gekauft oder bestellt.« Beim Spitzengespräch zu Lieferengpässen hätten die Hersteller in Berlin betont, dass sie die Produktion um bis zu 100 Prozent hochgefahren hätten. Er hoffe, so Fischbach, dass es keine schwere Infektionswelle geben werde.

Ebenso habe es bei besagtem Gespräch die Zusage gegeben, auf Retaxe zu verzichten. »Darauf hoffen wir jetzt auch mal.« In dem dort vorgestellten 5-Punkte-Plan heißt es wörtlich: »Der Austausch von Kinderarzneimitteln der Dringlichkeitsliste wird ausgeweitet und erleichtert. Für die Herstellung von Rezepturen und für den Austausch der Darreichungsform wird bei diesen Kinderarzneimittel eine Retaxation ausgeschlossen. Ebenso wird für diese Arzneimittel eine Beanstandung in Wirtschaftlichkeitsprüfungen für die Ärzteschaft ausgeschlossen.«

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