Leitlinie mit vier neuen Themen |
Kerstin A. Gräfe |
17.06.2024 12:00 Uhr |
Viele Krebspatienten wenden ergänzende Behandlungen an, um den Körper zu unterstützen. Die Leitlinie Komplementärmedizin soll Ärzten und auch den Patienten evidenzbasierte Empfehlungen für anstehende Therapieentscheidungen geben. / Foto: Getty Images/FatCamera
Mit der Aktualisierung wolle das Leitlinienprogramm Onkologie der Dynamik im Bereich komplementärer oder alternativer Behandlungen sowie deren hoher Akzeptanz bei Krebspatienten Rechnung tragen, heißt es in einer Pressemeldung der Deutschen Krebsgesellschaft. Die S3-Leitlinie »Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen Patienten« wurde erstmals 2021 veröffentlicht. Das Update enthält sechs aktualisierte und vier neue Kapitel.
Neu ist eine Einschätzung zum Einsatz von Methadon. Das synthetische Opioid wird vor allem im Rahmen einer Substitutionstherapie als Heroin-Ersatz, aber auch zur Behandlung von starken Schmerzen bei einer Tumortherapie eingesetzt. Das Update der Leitlinie fokussiert aber nicht auf den analgetischen, sondern auf einen propagierten antitumoralen Effekt: Seit einigen Jahren wird Methadon off Label zur Verbesserung der Wirksamkeit einer Tumortherapie eingesetzt.
Diesem Gebrauch erteilen die Leitlinienautoren aufgrund mangelnder Daten und möglicher Risiken eine klare Absage: »Es liegen keine Daten aus randomisierten klinischen Studien zum Einsatz von Methadon mit dem Ziel, die Wirksamkeit der Tumortherapie zu verbessern, vor.« Hingegen gebe es Daten aus mehreren systematischen Reviews, prospektiven und retrospektiven Kohortenstudien sowie Fallberichten zu relevanten Neben- und Wechselwirkungen wie Obstipation, Ileus, Herzrhythmusstörungen, Atemdepression und Bewusstseinseinschränkungen.
Erstmals gibt es auch eine Bewertung zum Einsatz von Zeolith. Das Vulkangestein hat durch Gaseinschlüsse sehr kleine Poren (mikroporöses Gestein) und soll durch Adsorption und Ionenaustausch eine entgiftende Wirkung aufweisen. Zudem soll Zeolith das Krebswachstum verlangsamen und die Metastasenbildung hemmen, was bisher aber nur in präklinischen Studien untersucht worden ist.
In einer randomisierten kontrollierten Studie zum Einfluss einer Zeolith-Einnahme auf das Auftreten von Chemotherapie-induzierter peripherer Neuropathie unter Oxaliplatin-Chemotherapie zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen Verum- und Placebogruppe. Insgesamt sei die Datenlage nicht ausreichend, lautet das Fazit der Autoren. Somit könne weder eine Empfehlung für noch gegen die Gabe von Zeolith bei diesen Patienten ausgesprochen werden.
Zur gleichen Einschätzung gelangen die Autoren bei Artemisia annua (einjähriger Beifuß). Das aus der Pflanze extrahierte Artemisinin und seine halbsynthetischen Derivate, zum Beispiel Artesunat, haben einen wichtigen Platz in der Malariatherapie, werden aber auch in der Onkologie angewendet. Randomisierte klinische Studien zur ihrer Wirksamkeit auf Mortalität, Morbidität und Lebensqualität bei onkologischen Patienten liegen nicht vor. Es gibt jedoch präklinische Studien und erste Orientierungsstudien mit experimentellen Endpunkten.
In einer solchen zeigte sich aber kein signifikanter Unterschied von Artesunat gegenüber Placebo und auch die Methodik ließ viele Fragen offen. Nicht zuletzt stellen die Leitlinienautoren die Anwendung angesichts der sehr kurzen Halbwertszeit von weniger als einer Stunde infrage.
Im Kapitel »Cannabinoide« finden sich gleich fünf neue Empfehlungen. Für die Indikation Anorexie/Kachexie kann für Δ-9-Tetrahydrocannabinol (THC) allein beziehungsweise die Kombination von THC und Cannabidiol (CBD) keine Empfehlung für oder gegen den Einsatz ausgesprochen werden. Etwas differenzierter fällt die Empfehlung in Sachen Schmerz aus: Cannabis-basierte Medikamente allein können Krebsschmerzen, die nicht auf Opioide ansprechen, nicht lindern; es gibt aber Hinweise aus klinischen Studien, dass Cannabinoide bei Krebsschmerz wirksam sein könnten, wenn sie kombiniert mit anderen Schmerzmitteln und in Ergänzung zur Standardtherapie angewendet werden. Somit lautet der entsprechende Passus: »Eine kombinierte Einnahme von THC und CBD zur Schmerzbehandlung kann ergänzend bei Patienten unter Standardtherapie erwogen werden.«
Erwogen werden können THC/CBD ebenfalls zur Linderung von Chemotherapie-verursachtem Erbrechen und Übelkeit bei Patienten, bei denen die üblichen Medikamente zur Vorbeugung nicht ausreichend gut wirksam waren. In puncto Verbesserung der Lebensqualität sehen die Autoren die Datenlage als nicht ausreichend an: »Es kann keine Empfehlung für oder gegen die Anwendung von THC oder THC/CBD bei onkologischen Patienten mit dieser Indikation gegeben werden.«
Die Überarbeitung erfolgte unter Federführung der Fachgesellschaften Deutsche Krebsgesellschaft, vertreten durch die Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie, Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie und Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie.