»Lauterbachs Spargesetz ist pures Dynamit« |
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein will vermeiden, dass die Pharmaindustrie vom GKV-Finanzstabilisierungsgesetz zu sehr belastet wird. / Foto: IMAGO/Chris Emil Janßen
Merck, Sanofi-Aventis, Bayer und nun auch Werke des Biotech-Unternehmens Biontech. Die Liste der Pharmaunternehmen, die in Hessen ansässig sind oder dort produzieren, ist lang. Vor diesem Hintergrund hat natürlich auch die hessische Landesregierung ein gesteigertes Interesse daran, eine gute Beziehung zur Pharmaindustrie aufrechtzuerhalten. Auf der diesjährigen Jahrestagung des Think-Tanks »House of Pharma« stellte Ministerpräsident Boris Rhein klar, dass eine Schwächung der Unternehmen weder im Sinne der Patienten noch des Wirtschaftsstandortes Hessen sei.
Konkret griff Rhein die von Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) entworfenen Sparpläne ein, mit denen die Krankenkassen entlastet werden sollen. Zur Erinnerung: Das Bundeskabinett hatte das sogenannte GKV-Finanzstabilisierungsgesetz beschlossen, in dem mehrere Sparmaßnahmen für Pharmaunternehmen, wie beispielsweise eine Soli-Abgabe, vorgesehen sind. Auch die Apotheken werden mit einer Erhöhung des Kassenabschlags zur Kasse gebeten. Rhein sagte, dass die Rahmenbedingungen für die Industrie im Land stimmen müssten. »Deshalb engagiere ich mich massiv gegen das Lauterbach-Gesetz. Das, was dieses Gesetz regelt, ist pures Dynamit. Das kann man schon daran erkennen, wer aus meiner Sicht zu Recht auf die Barrikaden geht, nämlich KVen, die Krankenhausgesellschaft, die Krankenkassen, die Privatversicherer und die Apotheken.«
Rhein bezeichnete das Gesetz als eine »Gefahr«. Denn: »Das Vorhaben gefährdet Innovationskraft und Investitionskraft in die Pharmabranche und letztendlich deren stabilisierende Wirkung über die Versorgungssicherheit und die vielen Arbeitsplätze.« Seinen Informationen zufolge bewege sich etwas bei der für die Pharmaindustrie geplanten Sonderabgabe. Aber es gebe weiteren gesetzgeberischen Sprengstoff. Rhein weiter: »Das Gesetz schwächt einen für unser Land wichtigen industriellen Kern, die in der Pandemie einen besonderen gesellschaftlichen Stellenwert erwiesen hat.«
Der Ministerpräsident forderte auch, dass die Arzneimittelproduktion wieder verstärkt nach Europa zurückgeholt werden müsse. Insbesondere der Standort Hessen habe mal als Apotheke Europas gegolten. »Jetzt brauchen wir wieder ein Upgrade, um die Apotheke 2.0 zu werden«, so Rhein. Aus der Pandemie müsse man lernen, dass die EMA durch die EU-Kommission gestärkt werden müsse, zudem müssten Lieferengpässe früher erkannt und vermieden werden. »Es darf nicht wieder dazu kommen, dass Produktion von gewissen Arzneimitteln nur auf Kosten der Produktion anderer Arzneimittel stattfinden kann wie während der Pandemie.«
Insbesondere im Generikabereich habe es jahrelang eine falsche Entwicklung gegeben. »Durch Produktionsverlagerungen in den asiatischen Raum sind große Betriebe entstanden, die einen Großteil des Weltmarkts beliefern, mit hoher Auslastung billig produzieren«, so Rhein. Mit dieser Entwicklung könne und wolle man aber nicht mithalten, denn niedrige Investitionskosten, Billiglöhne, geringe behördliche Auflagen und Kontrollen für Umweltschutz seien leider mit dieser Entwicklung verknüpft.
Rhein warnte auch davor, dass die Situation eskalieren könne: »Das geht natürlich nur so lange gut, wie es keine Krisen gibt. Sobald es Probleme in der Weltwirtschaft oder den Lieferketten gibt, hat am Ende jedes Land und jeder politische Verbund Verantwortung für seine eigene Bevölkerung zu tragen.« Man könne auch beispielsweise einer indischen Regierung nicht vorwerfen, dass sie in Krisenzeiten zuerst die eigene Bevölkerung versorgen will. Bei der Rückverlagerung gehe es daher in erster Linie um die Wiederherstellung eines wirtschaftlichen Gleichgewichts, das beiden Gesellschaften guttut. Dann werde sich auch in Asien etwas strukturell ändern, beispielsweise beim Thema Umweltschutz oder bei sozialen Aspekten.