»Lauterbach fehlt der politische Mut« |
Kerstin Pohl |
27.11.2023 11:30 Uhr |
Neuwahlen, neue Verteilung der Dividenden: Es gab einiges anzustimmen, bei der diesjährigen Noweda-Generalversammlung. / Foto: Noweda
Zu der Hybridveranstaltung im Congress Center West in Essen begrüßte zunächst der Vorsitzende des Aufsichtsrates, Matthias Lempka, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Ein ereignisreiches Jahr liege hinter den Apothekern. Wer erwartet hatte, dass nach der Coronapandemie das Bundesgesundheitsministerium die Apotheken in einem neuen Licht sehen und Maßnahmen zur Stärkung der Versorgungsstruktur ergreifen würde, wurde enttäuscht. »Das Apothekensterben geht ungebremst weiter«, sagte Lempka. Der aktuelle Trend zeige, dass in den kommenden fünf Jahren mindestens weitere 2.000 Apotheken schließen werden. Die flächendeckende Arzneimittelversorgung werde sich daher absehbar verschlechtern. Dabei bestehe aber kein Erkenntnisproblem, sondern ein Handlungsproblem durch die Politik, so Lempka.
Als Alternative zu den Sparmaßnahmen des Gesundheitsministers Professor Karl Lauterbach (SPD) schlug Lempka vor, beispielsweise den Krankenkassen für drei Jahre zu untersagen, Werbung in eigener Sache zu machen. Dafür geben die gesetzlichen Krankenkassen 80 Millionen Euro Versichertengelder pro Jahr aus. »Das würde genau dem Betrag entsprechen, den das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz bei den Apotheken einsammelt«, so Lempka. Ein gewaltiges Einsparpotenzial sieht der Aufsichtsratsvorsitzende bei den knapp 100 bestehenden gesetzlichen Krankenkassen. Diese Zahl könnte deutlich verringert werden, dadurch auch die erheblichen Verwaltungskosten von 12 Milliarden Euro im Jahr, ohne jedoch die Patientenversorgung zu gefährden.
Es gab aber auch Positives zu berichten. So lobte Lempka den Einsatz der Apotheker am bundesweiten Protesttag am 14. Juni, der auch von der Noweda unterstützt wurde. Man solle jetzt zusammenstehen und weitermachen, Einigkeit zeigen, so Lempka, da Lauterbach nichts Besseres dienen könne, als uneinige Apotheker.
Der Vorstandsvorsitzende Michael Kuck konnte auch dieses Jahr wieder einen positiven Geschäftsbericht vorstellen und zeigte sich mit dem soliden Ergebnis zufrieden. So steigerte die Noweda im Geschäftsjahr 2022/2023 ihren Umsatz um über eine halbe Milliarde Euro auf 9,47 Milliarden Euro. Dabei machen die relativen Gesamtkosten 4,3 Prozent des Umsatzes aus.
Das Eigenkapital stieg um 37,8 Millionen Euro auf 576,5 Millionen Euro. Das macht eine Eigenkapitalquote von 34,3 Prozent aus (im Geschäftsjahr 2021/2022: 33 Prozent). Die Bilanzsumme stieg auf 1,68 Milliarden Euro.
Das Anlagevermögen erhöhte sich um 4,5 Millionen Euro auf 224,3 Millionen Euro, da das Investitionsvolumen in der Gruppe größer war als die Abschreibungen.
Die Investitionen lagen 2021/2022 bei 22,9 Millionen Euro und stiegen 2023/2023 auf 24,2 Millionen Euro. Investiert wurde in Modernisierung, umfangreiche Erweiterungsmaßnahmen sowie Ergänzungsinvestitionen der Noweda-Niederlassungen.
Positiv war auch die Entwicklung der Mitgliederzahlen die um 344 stieg, sodass die ihre Anzahl zum Geschäftsjahresende bei 9.370 liegt.
Dieses Geschäftsjahr wird ein Gesamtbetrag in Höhe von rund 21,9 Millionen Euro ausgeschüttet. Die Mitglieder der Noweda-Genossenschaft erhalten daraus eine Bardividende in Höhe von 7,23 Prozent (brutto 8,5 Prozent) auf die Grundanteile und 8,5 Prozent (brutto 10 Prozent) auf die freiwilligen Anteile.
Obwohl die Noweda auch dieses Geschäftsjahr gut aufgestellt ist, machen sich Einschneidungen durch die Politik des Bundesgesundheitsministeriums bemerkbar, monierte Kuck. Der Gesundheitsminister zeige sich beratungsresistent und an der Meinung von Fachleuten aus der Branche wenig interessiert. Deutschland sei auf dem besten Weg, der »kranke Mann Europas zu werden«, so der Noweda-Chef. Es gebe Lieferengpässe in einer Größenordnung, die früher nicht denkbar gewesen wäre. Es könne einen teuer zu stehen bekommen, billig in Fernost zu produzieren. Er vermisse den politischen Mut bei Lauterbach, sagte Kuck. Ziel müsse sein, die soziale Infrastruktur der Apotheken zu erhalten. Es gebe aber keine Strukturreform, stattdessen eine Mangelverwaltung mit der Tendenz zu einer Zwei-Klassen-Versorgung: bessere Versorgung in der Stadt, schlechtere auf dem Land.
Was wäre, wenn Lauterbach politischen Mut zeigen würde und eine Arzneimittel-Agenda 2030 vorstellen würde? Ziel: umfassende Sicherung der Arzneimittelversorgung durch Zurückbringen der Arzneimittelproduktion nach Deutschland, zumindest nach Europa. Die soziale Infrastruktur der Apotheken sollte damit unter allen Umständen erhalten blieben. Eine Arzneimittelversorgung auf dem heutigen Qualitätsniveau wird es in einigen Jahren nicht mehr geben, prophezeite Kuck. »Auf den politischen Mut für eine echte Agenda 2030 zur Sicherung der Arzneimittelversorgung wird man bei diesem Minister wohl lange warten können«, befürchtet der Vorstandsvorsitzende.
Durch die Arzneimittelengpässe sei mittlerweile ein Schaden entstanden, der Millionen Menschen betreffe »Die Versorgungslage ist eine Katastrophe mit Ansage«, sagte Kuck. »Die Noweda hat immer wieder auf diese gefährliche Entwicklung hingewiesen.« Die Genossenschaft engagiere sich deshalb mit neuen Kampagnen. So werde mit einer Sonderausgabe des Apothekenkundenmagazins mylife in einer ersten Auflage von 1,3 Millionen Exemplaren über die Arzneimittellieferengpässe informiert. Dieser Beitrag wurde zuvor als Leitartikel im Focus veröffentlicht. Dieses Sonderheft erhalten Apotheken als Freiexemplare zur Abgabe und Information für ihre Kunden.
Außerdem startet eine weitere Noweda-Kampagne - zunächst mit vier Motiven-, mit dem Titel „Bevor alles den Lauterbach runtergeht“. Dazu sind Anzeigen in Zeitschriften, Plakate für Apotheken, Großplakate in Berlin und die Einbindung in den sozialen Medien vorgesehen.
Auf der Generalversammlung im letzten Jahr wurde ein Dividendenausschuss gegründet, der eine Reform der Dividendenausschüttung erarbeiten sollte. Bedingt durch den demografischen Wandel wurde eine Neufassung erforderlich. Die neue Verteilung der Dividenden wird sukzessive über die nächsten 5 Jahre erfolgen.
Diese Neufassung sieht nun vor, dass im Berufsleben stehende, aktive Apotheker tendenziell einen höheren Anteil an dem Ausschüttungsbetrag erhalten, eine sogenannte Förderdividende. Voraussetzung für diese neue Dividende ist eine intensive Zusammenarbeit mit der Noweda. Über 720.000 Euro Jahresumsatz muss der Apotheker pro Apotheke dazu erwirtschaften. Noweda will so dem Genossenschaftsgedanken Rechnung tragen und für zukünftige Mitglieder attraktiv werden.
Für das Geschäftsjahr 2023/2024 liegt der Anteil der Grunddividende bei 90 Prozent. Bis 2027/2028 wird dieser Anteil dann jährlich um 6 Prozentpunkte sinken bis auf 66 Prozent im Geschäftsjahr 2027/2028.
Die Förderdividende liegt im Geschäftsjahr 2023/2024 bei 6 Prozent. Sie wird sich bis zum Geschäftsjahr 2027/2028 auf 30 Prozent erhöhen.
Die Dividenden für investierende Mitglieder (Investdividenden) hingegen bleiben unverändert bei 4 Prozent.
Diese Neuregelung wurde von Aufsichtsrat und Vorstand zur Abstimmung gebracht und angenommen. Die Änderung der Präambel sowie die Neufassung des § 44 Gewinnverwendung der Noweda-Satzung werden gültig mit Eintrag in das Genossenschaftsregister.
Aufsichtsratsmitglied Apotheker Bernd Roder schied satzungsgemäß aus Altersgründen aus dem Aufsichtsrat aus. Für ihn wurde Apotheker Jens Kosmiky in den Aufsichtsrat gewählt.
Auch der Aufsichtsratsvorsitzende Matthias Lempka schied turnusmäßig aus dem Aufsichtsrat aus, stellte sich erneut zur Wahl und wurde im Amt bestätigt.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.