Länger im Krankenhaus, schlechtere Prognose |
| Brigitte M. Gensthaler |
| 11.11.2025 17:00 Uhr |
Nicht jedem Patienten schmeckt es im Krankenhaus. Viele kommen schon mangelernährt in die Klinik, was ihre Prognose erheblich verschlechtert. / © Getty Images/pamspix
»Mangelernährung ist keine Randerscheinung, sondern eine stille Volkskrankheit. Sie verschlechtert die Prognose, erhöht die Sterblichkeit und verursacht Milliardenkosten für das Gesundheitssystem«, sagte Professor Dr. Matthias Pirlich, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM), bei einer Online-Pressekonferenz der Fachgesellschaft anlässlich der europäischen Aktionswoche für Mangelernährung (Malnutrition Awareness Week), die diese Woche stattfindet. In Deutschland seien 20 bis 30 Prozent der Klinikpatienten und der Menschen in Pflegeeinrichtungen betroffen.
Im ambulanten Bereich wird die Häufigkeit bei Menschen über 65 Jahren laut Pirlich mit 2,8 Prozent angegeben. In einer Pilotstudie des Nutrition-Day-Projekts in zwei Berliner Allgemeinarztpraxen habe man bei 5 Prozent der knapp 250 Patienten Untergewicht und bei 13 Prozent einen unbeabsichtigten Gewichtsverlust beobachtet, so der Ernährungsmediziner aus Berlin. Dabei kommt Mangelernährung nicht nur bei Untergewicht vor. Auch adipöse Menschen können mangelernährt sein. Trotz ausreichender oder erhöhter Kalorienzufuhr haben sie häufig Defizite an essenziellen Mikronährstoffen, die Immunabwehr, Wundheilung und Muskelfunktion beeinträchtigen können.
»Alle gravierenden chronischen Krankheiten können eine Mangelernährung hervorrufen«, informierte der Endokrinologe. Er nannte Tumoren, Herz-, Leber- und Niereninsuffizienz, rheumatische und psychiatrische Erkrankungen, Adipositas, Multimorbidität und Polypharmazie. Auch Einsamkeit sei ein Risikofaktor. »Oft ist die Mangelernährung sogar das erste Anzeichen einer Erkrankung, zum Beispiel eines Tumors, wird aber oft nicht erkannt und nicht behandelt.«
Laut einer Pressemeldung der Techniker Krankenkasse zur Aktionswoche ist jeder zweite Demenzpatient betroffen und ein Fünftel der Krebstoten sei nicht an der eigentlichen Krebserkrankung gestorben, sondern daran, dass es nicht gelinge, dem Körper ausreichend Nährstoffe zuzuführen.
Appetitlosigkeit, ungewollter Gewichtsverlust, niedriges Körpergewicht, Antriebs- und Muskelschwäche können auf eine Mangelernährung hinweisen. In der Folge komme es zur Schwächung der Immunabwehr, zu Wundheilungsstörungen, Infekten und längeren und häufigeren Klinikaufenthalten, sagte Pirlich. »Dies ist sehr relevant für die Prognose.«
Mangelernährte Menschen seien mehr als 40 Prozent länger im Krankenhaus und ihre Sterblichkeit mehr als verdreifacht. Zudem stiegen die Behandlungskosten. Die jährlichen Mehrkosten durch Mangelernährung allein im stationären Bereich würden mit 5 bis 8,6 Milliarden Euro veranschlagt.
Geschätzt rund 50.000 Todesfälle pro Jahr von Klinikpatienten könnten durch ein systematisches Ernährungsmanagement, also Screening bei Klinikaufnahme und leitliniengerechte Behandlung während des stationären Aufenthalts, vermieden werden, berichtete Pirlich.
Obwohl durch die Ernährungstherapie unter dem Strich erhebliche Beträge eingespart würden, werde die Leistung nicht adäquat vergütet. Die DGEM fordert daher, die Ernährungstherapie als verpflichtendes Strukturmerkmal in der Krankenhausreform zu verankern und die Finanzierung stationärer und ambulanter ernährungsmedizinischer Leistungen sicherzustellen. »Es ist paradox, dass wir wissen, wie wir Leben retten können, aber die Strukturen fehlen«, so Pirlich.