Künstliche Haut mit echten Gefühlen |
Das ultimative Ziel der E-Skin-Forschung ist, die künstliche Haut an das menschliche Nervensystem anzubinden. Dadurch sollen Menschen mit amputierten Gliedmaßen über ihre Prothese Reize aus der Umwelt empfangen können. Doch dafür muss das vom Sensor generierte analoge elektrische Signal in einer Form ans ZNS weitergeleitet werden, die es verstehen kann. Im biologischen Vorbild werden Sinnesreize in Form von Aktionspotenzialen übermittelt, in deren Frequenz die Informationen über verschiedene Aspekte des Reizes (etwa seine Qualität und Stärke) kodiert sind. Für E-Skin verwenden Wissenschaftler häufig einen Ringoszillator, der das analoge Signal in nervenähnliche Impulsfolgen umwandelt.
Einen entsprechenden Prototyp hat ein Team um Weichen Wang an der Stanford University in Kalifornien entwickelt und im Fachjournal »Science« vorgestellt. Das System kann je nach Konfiguration Druck, Dehnung, Temperatur oder Chemikalien wahrnehmen und ist nur circa 25 bis 30 µm dick, was der Epidermis nahekommt. Um zu testen, ob das Gehirn die Signale der E-Skin verarbeiten kann, verbanden die Forschenden sie über eine Elektrode mit dem sensorischen Cortex einer Ratte. Das daraufhin vom motorischen Cortex ausgesendete Signal wurde mittels einer künstlichen Synapse an die Beinmuskulatur zurückübersetzt.
Es funktionierte: Das Bein der Ratte zuckte bei Stimulation der elektronischen Haut, und zwar umso stärker, je intensiver der Reiz war. Diese Forschung liefere wichtige Erkenntnisse auf dem Weg zu einer vollständig integrierten E-Skin, die Prothesenträgern oder Verbrennungsopfern ihren Tastsinn zurückgeben könnte, heißt es in einer Mitteilung der Universität.
Ein weiterer möglicher Anwendungsbereich von E-Skin ist die Messung von Stoffwechselprodukten wie Laktat und Glucose sowie Elektrolyten wie Kalium und Natrium im Schweiß. Das wäre etwa für Sportler attraktiv, aber ebenso beispielsweise in der Altenpflege, um eine Dehydratation zu erkennen. Die E-Skin muss dazu mit speziellen Sensoren ausgestattet werden.
Des Weiteren wird an elektronischer Haut geforscht, die mit transdermalen Drug-Delivery-Systemen gekoppelt ist. Die Iontophorese hat sich dabei als vielversprechende Technik erwiesen, da sie in der Lage ist, makromolekulare Arzneistoffe mithilfe von elektrischem Strom durch die Epidermis der Haut zu transportieren. Dies gelang Forschenden in Japan mit dem Fusionsprotein Etanercept, das sie in einer Studie am Tiermodell ebenso effektiv durch die Haut applizieren konnten wie mit der herkömmlichen subkutanen Injektion.
Wie viel zu elektronischer Haut geforscht wird, zeigt sich allein daran, dass sich die Anzahl der Publikationen zu diesem Thema in den vergangenen 20 Jahren exponenziell erhöhte, mit mehr als 1000 allein im Jahr 2019. Zahlreiche Teilaspekte müssen aber noch adressiert werden, um die Systeme alltagstauglich und sicher für den Anwender zu machen. Eine leichte und langfristige Stromversorgung ist einer davon, hautverträgliche Klebstoffe und atmungsaktives Material sind weitere. Zudem werden noch Lösungen für die integrierte Datenverarbeitung benötigt. Zukünftig soll E-Skin mit dem Internet verbunden werden, um Ferndiagnosen, -behandlung und -überwachung zu ermöglichen.
Schließlich haben Forschende das Thema Nachhaltigkeit im Blick. Beispielsweise berichtete im Juni 2023 ein Team um Dimitrios G. Papageorgiou an der Queen Mary University London im Journal »Advanced Functional Materials« über Drucksensoren, die es mithilfe eines aus der Lebensmittelindustrie bekannten Verfahrens aus Graphen und Alginaten zusammengesetzt hatte. Die Sensoren können Muskel-, Atem-, Puls- und Blutdruckmessungen in Echtzeit mit hoher Präzision aufzeichnen – und sind gleichzeitig bioabbaubar und recycelbar.