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E-Skin

Künstliche Haut mit echten Gefühlen

Die Forschung an elektronischer Haut (E-Skin) für den Einsatz in der Medizin, der Prothetik und Robotik boomt. Manche Prototypen sind biologischer Haut in bestimmten Aspekten bereits überlegen. Bis zur Marktreife müssen aber noch einige Herausforderungen bewältigt werden.
AutorKontaktWiebke Gaaz
Datum 05.12.2023  09:00 Uhr

Die Haut nachzubauen ist schwierig, da sie nicht nur der Schutzmantel des Organismus ist, sondern gleichzeitig auch ein einzigartiges multisensorisches Organ. Sie erspürt Druck, Temperatur und Feuchtigkeit der Umgebung und leitet diese Informationen an das zentrale Nervensystem (ZNS) weiter. Dort werden die Informationen interpretiert und daraufhin Signale an die Peripherie für eine adäquate Reaktion ausgesendet. Deswegen zuckt eine Hand, die in eine Flamme oder in einen Kaktus greift, automatisch zurück.

Das Ziel zahlreicher interdisziplinärer Forscherteams ist es, die mechanischen und sensorischen Eigenschaften biologischer Haut möglichst vollständig zu imitieren und in einem System zusammenzubringen. Dabei soll nicht nur der Tastsinn nachempfunden werden. Die künstliche Haut soll auch an das Nervensystem angebunden und es sollen ganze Reflexbögen nachgebaut werden.

Materialien der elektronischen Haut

Grundsätzlich besteht elektronische Haut aus einem weichen, flexiblen und dehnbaren Trägermaterial wie beispielsweise Polyurethan, Polyimid oder Polydimethylsiloxan (PDMS). Letzteres eignet sich dabei aufgrund seiner leichten Verfügbarkeit, mechanischen Eigenschaften, Biokompatibilität und chemischen Inertness besonders gut.

Um innerhalb des Trägers ein leitendes Netzwerk zu bilden, werden Füllmaterialien wie Metall-Nanopartikel integriert oder aufgebracht. Auch Graphen, eine Modifikation des Kohlenstoffs mit zweidimensionaler, bienenwabenförmiger Struktur, oder Kohlenstoff-Nanoröhrchen, sind hierfür geeignet. Diese werden im medizinischen Bereich aufgrund ihrer asbestartigen Struktur allerdings nicht verwendet.

Zudem gibt es per se leitende Polymere. Das am besten untersuchte ist Poly(3,4-Ethylendioxythiophen):Polystyrensulfonat, kurz PEDOT:PSS. Zwei PEDOT-basierte Polymere wurden im Jahr 2016 für die Herstellung von Wearables und implantierbaren Medizinprodukten zugelassen.

Die Anforderungen an das Material und an das Design von elektronischer Haut hängen vom Einsatzgebiet und von der Tragedauer ab. Bei Prothesen und Robotern sollte es möglichst robust und selbstheilend sein. Im medizinischen Bereich steht eher die Hautverträglichkeit im Vordergrund und im Sport zudem die kabellose Datenübertragung und die Unabhängigkeit von Energiequellen. Diese Punkte sind zurzeit Gegenstand intensiver Forschung.

Wie E-Skin fühlt

Die Sensoren, etwa für Druck oder Temperatur, basieren in den meisten Fällen auf dem piezoelektrischen oder piezoresistiven Effekt. Hierbei induziert ein äußerer Druck, der das Material deformiert, einen elektrischen Strom oder verändert den elektrischen Widerstand, der gemessen werden kann. Piezoelektrische Materialien sind beispielsweise Zinkoxid (ZnO), Bariumtitanat oder das organische Polyvinylidenfluorid (PVDF).

Piezoelektrisches ZnO ist Bestandteil eines extrem feinfühligen und hochauflösenden Hybridmaterials, das Professor Dr. Anna Maria Coclite und ihr Team vom Institut für Festkörperphysik an der TU Graz entwickelt haben. Die Forschenden versahen ein Trägermaterial aus Polyurethanacrylat mit winzigen Vertiefungen und stellten so eine Art Schablone für die Sensoren her. In die Vertiefungen brachten sie eine Lage ZnO auf und füllten diese mit einem Hydrogel auf. Das Ergebnis: In dem Material waren einzelne druckempfindliche Nanostäbchen mit einem Durchmesser von 500 nm im Abstand von ebenfalls 500 nm vertikal angeordnet.

Das Hydrogel dehnt sich bei Feuchtigkeits- und Temperaturänderungen aus. Dabei übt es einen Druck auf das piezoelektrische ZnO aus und es entsteht ein elektrisches Signal. Ein Datenerfassungssystem leitet dieses ab und macht es am Bildschirm sichtbar. Die Forschungsergebnisse zu ihrer E-Skin veröffentlichten die Forschenden aus Graz im Mai 2022 in der Fachzeitschrift »Advanced Materials Technologies«.

»Die ersten Materialsamples sind 6 µm dünn. Es ginge aber noch dünner«, erklärt Coclite in einer Meldung der TU Graz. Zum Vergleich: Die menschliche Epidermis hat je nach Körperregion eine Dicke von 0,03 bis 2 mm und kann Objekte ab etwa 1 mm2 wahrnehmen. Das in Graz entwickelte Material hat eine sehr hohe Auflösung von 2000 einzelnen Sensoren pro mm2 und ist damit weitaus feinfühliger als menschliche Fingerspitzen. Im Gegensatz zu natürlicher Haut kann es sogar Objekte wie Mikroorganismen wahrnehmen.

Eine Verbindung zum ZNS

Das ultimative Ziel der E-Skin-Forschung ist, die künstliche Haut an das menschliche Nervensystem anzubinden. Dadurch sollen Menschen mit amputierten Gliedmaßen über ihre Prothese Reize aus der Umwelt empfangen können. Doch dafür muss das vom Sensor generierte analoge elektrische Signal in einer Form ans ZNS weitergeleitet werden, die es verstehen kann. Im biologischen Vorbild werden Sinnesreize in Form von Aktionspotenzialen übermittelt, in deren Frequenz die Informationen über verschiedene Aspekte des Reizes (etwa seine Qualität und Stärke) kodiert sind. Für E-Skin verwenden Wissenschaftler häufig einen Ringoszillator, der das analoge Signal in nervenähnliche Impulsfolgen umwandelt.

Einen entsprechenden Prototyp hat ein Team um Weichen Wang an der Stanford University in Kalifornien entwickelt und im Fachjournal »Science« vorgestellt. Das System kann je nach Konfiguration Druck, Dehnung, Temperatur oder Chemikalien wahrnehmen und ist nur circa 25 bis 30 µm dick, was der Epidermis nahekommt. Um zu testen, ob das Gehirn die Signale der E-Skin verarbeiten kann, verbanden die Forschenden sie über eine Elektrode mit dem sensorischen Cortex einer Ratte. Das daraufhin vom motorischen Cortex ausgesendete Signal wurde mittels einer künstlichen Synapse an die Beinmuskulatur zurückübersetzt.

Es funktionierte: Das Bein der Ratte zuckte bei Stimulation der elektronischen Haut, und zwar umso stärker, je intensiver der Reiz war. Diese Forschung liefere wichtige Erkenntnisse auf dem Weg zu einer vollständig integrierten E-Skin, die Prothesenträgern oder Verbrennungsopfern ihren Tastsinn zurückgeben könnte, heißt es in einer Mitteilung der Universität.

Perspektiven und Herausforderungen

Ein weiterer möglicher Anwendungsbereich von E-Skin ist die Messung von Stoffwechselprodukten wie Laktat und Glucose sowie Elektrolyten wie Kalium und Natrium im Schweiß. Das wäre etwa für Sportler attraktiv, aber ebenso beispielsweise in der Altenpflege, um eine Dehydratation zu erkennen. Die E-Skin muss dazu mit speziellen Sensoren ausgestattet werden.

Des Weiteren wird an elektronischer Haut geforscht, die mit transdermalen Drug-Delivery-Systemen gekoppelt ist. Die Iontophorese hat sich dabei als vielversprechende Technik erwiesen, da sie in der Lage ist, makromolekulare Arzneistoffe mithilfe von elektrischem Strom durch die Epidermis der Haut zu transportieren. Dies gelang Forschenden in Japan mit dem Fusionsprotein Etanercept, das sie in einer Studie am Tiermodell ebenso effektiv durch die Haut applizieren konnten wie mit der herkömmlichen subkutanen Injektion.

Wie viel zu elektronischer Haut geforscht wird, zeigt sich allein daran, dass sich die Anzahl der Publikationen zu diesem Thema in den vergangenen 20 Jahren exponenziell erhöhte, mit mehr als 1000 allein im Jahr 2019. Zahlreiche Teilaspekte müssen aber noch adressiert werden, um die Systeme alltagstauglich und sicher für den Anwender zu machen. Eine leichte und langfristige Stromversorgung ist einer davon, hautverträgliche Klebstoffe und atmungsaktives Material sind weitere. Zudem werden noch Lösungen für die integrierte Datenverarbeitung benötigt. Zukünftig soll E-Skin mit dem Internet verbunden werden, um Ferndiagnosen, -behandlung und -überwachung zu ermöglichen.

Schließlich haben Forschende das Thema Nachhaltigkeit im Blick. Beispielsweise berichtete im Juni 2023 ein Team um Dimitrios G. Papageorgiou an der Queen Mary University London im Journal »Advanced Functional Materials« über Drucksensoren, die es mithilfe eines aus der Lebensmittelindustrie bekannten Verfahrens aus Graphen und Alginaten zusammengesetzt hatte. Die Sensoren können Muskel-, Atem-, Puls- und Blutdruckmessungen in Echtzeit mit hoher Präzision aufzeichnen – und sind gleichzeitig bioabbaubar und recycelbar.

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