Betalactam-Antibiotika wie Penicillin sind bei vielen bakteriellen Infektionen Mittel der Wahl. Aufgrund vermeintlicher Allergien werden sie jedoch bei manchen Patienten nicht eingesetzt. / © Getty Images/Gilbert Laurie
Bei der stationären Aufnahme einer 65-jährigen Patientin mit Erysipel ist in der Patientenakte eine Penicillinallergie (PenA) vermerkt. Auf Nachfrage erinnert sich die Patientin an einen Hautausschlag in der Kindheit, genauere Details sind nicht bekannt. Aus Vorsicht wird zunächst eine antibiotische Therapie mit Clindamycin verordnet. Im Rahmen der ABS-Visite erfolgt eine Bewertung durch ein interprofessionelles Team. Nach einer ausführlichen Anamnese und Risikoeinschätzung erhält die Patientin eine orale Provokationstestung mit niedrig dosiertem Amoxicillin, welche ohne eine allergische Reaktion verläuft. Somit kann das Allergie-Label entfernt und die antibiotische Therapie leitliniengerecht auf Penicillin G umgestellt werden.
Im klinischen Alltag geben etwa 10 Prozent der Patienten eine PenA an, jedoch liegt nur in circa 1 Prozent der Fälle eine immunologisch vermittelte Reaktion vor. Die Diagnosen beruhen häufig auf risikoarmen, unspezifischen Hautausschlägen, viralen Exanthemen oder Ereignissen, die mehrere Jahrzehnte zurückliegen. Die Folgen sind umfassend: Aus Sorge vor allergischen Reaktionen werden oft Reserveantibiotika eingesetzt, die häufig schlechter wirksam sind, ungünstigere Nebenwirkungsprofile haben und mit erhöhten Resistenzraten und Behandlungskosten einhergehen. Zudem sind Antibiotika wie Clindamycin mit einer höheren Prävalenz von Clostridioides difficile- Infektionen assoziiert. PenA-Delabeling ist daher ein wertvoller Bestandteil von ABS-Programmen, um den nicht indizierten Einsatz von Reserveantibiotika zu reduzieren.
Die Grundlage für einen sicheren Delabeling-Prozess ist eine standardisierte Allergieanamnese. Dabei werden Art, Zeitpunkt und Dauer der Reaktion sowie die Notwendigkeit einer Behandlung erfasst. Mithilfe von Risikostratifizierungs-Tools, wie dem international validierten PEN-FAST-Score, lässt sich das Risiko einer echten Allergie abschätzen. Bei schweren Reaktionen wie Atemnot, Angioödem und blasenbildenden Hautausschlägen sind Penicilline kontraindiziert und Provokationstestungen sollten nicht durchgeführt werden. Während bei moderatem Risiko zusätzlich Hauttestungen zum Beispiel mittels Prick-Tests zum Einsatz kommen, gilt bei niedrigem Risiko eine direkte orale Provokation unter ärztlicher Aufsicht als Goldstandard zum Ausschluss einer PenA. Bei sehr niedrigem Risiko wie unklaren Reaktionen in der Kindheit kann die Allergieangabe sogar ohne eine Testung entfernt werden. Entscheidend ist, die Patienten über die Bedeutung einer PenA und des Delabelings aufzuklären und das Allergie-Label konsequent aus allen stationären und ambulanten Dokumenten zu streichen.
Apotheker im Krankenhaus, aber auch in der öffentlichen Apotheke können einen wichtigen Beitrag im Delabeling-Prozess leisten. Im Rahmen der Medikationsanalyse identifizieren sie Patienten mit dokumentierter PenA, prüfen die Plausibilität der Angaben und initiieren bei Bedarf die Abklärung im interdisziplinären Team. Bei sehr niedrigem Risiko kann im Rahmen definierter Protokolle auch ein direktes Delabeling durch Apotheker erfolgen. Nach ärztlicher Testung sichern Apotheker die korrekte Dokumentation im Klinikinformationssystem. Durch Schulungen von medizinischem Personal und Patienten können Apotheker das Bewusstsein für PenA fördern und eine rationale Antibiotikatherapie unterstützen.