Pharmazeutische Zeitung online
Kinder als Überträger von SARS-CoV-2

Kommt mit dem Schulstart die zweite Welle?

In diesem Jahr wünschen sich nicht nur Schulkinder in Deutschland, dass die Sommerferien noch länger dauern mögen, sondern auch Epidemiologen. Trotz mehrerer aktueller Studien ist unklar, wie sich die Schulöffnung auf das SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen auswirken wird.
Annette Rößler
04.08.2020  08:00 Uhr

Das neue Schuljahr soll in Deutschland anders starten als das letzte geendet hat, nämlich mit Präsenzunterricht für alle Schüler. Mecklenburg-Vorpommern hat bereits den Anfang gemacht, Hamburg, Schleswig-Holstein, Berlin und Brandenburg folgen in Kürze. Der Zeitpunkt ist kritisch, denn gerade steigen die SARS-CoV-2-Infektionszahlen wieder, wie das Rober-Koch-Institut (RKI) vergangene Woche besorgt mitteilte. Um zu verhindern, dass die Schulöffnung quasi zum Startschuss für die befürchtete zweite Welle der Covid-19-Pandemie in Deutschland wird, hat Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) bereits eine flächendeckende Maskenpflicht in Schulgebäuden ins Gespräch gebracht.

Ob Kinder und Jugendliche jedoch das Coronavirus überhaupt im selben Umfang übertragen können wie Erwachsene, ist noch immer strittig. Klar ist, dass sie deutlich seltener schwer an Covid-19 erkranken als ältere Menschen. Zu der Frage, ob sie trotz oft fehlender oder milder Symptome ansteckend sind, gibt es mittlerweile mehrere Studien. Eine der ersten stand unter der Leitung des Berliner Virologen Professor Dr. Christian Drosten und kam zu dem Schluss, dass Kinder wahrscheinlich gleich infektiös sind wie Erwachsene.

Höhere Viruslast bei kleinen Kindern…

Dass diese Einschätzung vermutlich richtig ist, bestätigt jetzt eine im Fachjournal »JAMA Pediatrics« veröffentlichte Studie (DOI: 10.1001/jamapediatrics.2020.3651). Die Autoren um Dr. Taylor Heald-Sargent vom Ann & Robert H. Lurie Children's Hospital in Chicago, Illinois, hatten 145 Patienten aller Altersgruppen mit leichten bis mittelschwer ausgeprägten Covid-19-Symptomen innerhalb von einer Woche nach Krankheitsbeginn getestet. Untersucht wurde die Viruslast im Nasen-Rachen-Abstrich per PCR.

Dabei stellten sie fest: Kinder unter fünf Jahren hatten im Vergleich zu älteren Kindern und Erwachsenen sogar deutlich höhere Viruslasten. Es sei daher davon auszugehen, dass sie auch infektiöser seien, heißt es in einer Pressemitteilung des Fachjournals. Die Fähigkeit jüngerer Kinder, Covid-19 zu verbreiten, sei durch die zu Anfang der Pandemie schnell beschlossenen und umgesetzten Schulschließungen bislang womöglich unterschätzt worden.

… aber dennoch keine Treiber der Pandemie?

Die hohe Viruslast ist aber offenbar nicht alles. Denn Studien haben gezeigt, dass Kinder sich seltener mit SARS-CoV-2 infizieren und deshalb wohl eher keine Treiber der Ausbreitung des Coronavirus sind. Interessant sind deshalb Erfahrungen aus anderen Ländern, in denen die Schulen bereits wieder offen sind beziehungsweise nie geschlossen waren. Hierüber gibt eine Gruppe um Dr. Meira Levinson von der Harvard Graduate School of Education in Massachusetts in einem Beitrag unter der Rubrik »Medicine and Society« im »New England Journal of Medicine« einen Überblick (DOI: 10.1056/NEJMms2024920).

In Frankreich, Israel und Neuseeland sei es in Oberschulen zu Covid-19-Ausbrüchen gekommen, die sich jedoch nicht auf benachbarte Grundschulen ausgeweitet hätten, berichten Levinson und Kollegen. Das lege den Schluss nahe, dass jüngere Kinder entweder weniger empfänglich für SARS-CoV-2, weniger infektiös oder beides seien. In den Niederlanden habe bereits im April wieder Präsenzunterricht stattgefunden, wobei zwar die Klassenstärken um die Hälfte reduziert waren, Kinder unter zwölf Jahren aber nicht explizit zum Abstandhalten angehalten wurden. Weder dies noch die Rückkehr zum normalen Unterrichtsbetrieb Anfang Juni hätten die Fallzahlen steigen lassen.

Auch Dänemark, Finnland, Belgien, Australien, Taiwan und Singapur hätten ihre Grundschulen bereits wieder geöffnet, ohne dass es daraufhin größere Ausbrüche gegeben habe – allerdings anders als die Niederlande unter strengen Hygieneauflagen. Israel stelle insofern ein Gegenbeispiel dar, heißt es in der Publikation. Dort sei es kürzlich zu einem Anstieg der Fallzahlen gekommen, der möglicherweise auf eine Öffnung von Oberschulen im Mai zurückzuführen gewesen sei. Die Klassenzimmer seien überfüllt gewesen und man habe nur minimale Vorkehrungen zum Schutz vor einer Ansteckung getroffen; dennoch sei ein kausaler Zusammenhang mit dem Anstieg der Fallzahlen noch nicht nachgewiesen.

Welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen

Um Schulen sicher wieder öffnen zu können, sei es notwendig, dass die Ansteckungsrate in der Bevölkerung durch Maßnahmen der Pandemiebekämpfung zuvor bereits auf ein niedriges Niveau gedrückt worden sei, schreiben Levinson und Kollegen. Dies unterstreicht auch eine Auswertung australischer Daten, die jetzt im Fachjournal »The Lancet Child & Adolescent Health« erschien (DOI: 10.1016/S2352-4642(20)30251-0). In Down Under waren die Covid-19-Fallzahlen während der ersten Welle der Pandemie im internationalen Vergleich niedrig und die meisten Schulen blieben geöffnet.

Die geringe Inzidenz und ein effektives Management der wenigen Covid-19-Fälle an Schulen habe zu einer sehr niedrigen Ansteckungsrate geführt, berichtet ein Team um Professor Dr. Kristine Macartney, Diretorin des National Centre for Immunisation Research and Surveillance. Insgesamt seien im Bundesstaat New South Wales 27 Kinder oder Lehrer zur Schule gegangen, während sie infektiös waren. Von 1448 Kontakten, die sich hätten anstecken können, seien aber nur 18 infiziert worden – eine sekundäre Befallsrate (secondary Attack Rate) von 1,2 Prozent.

Kern des australischen Erfolgs war das effektive Aufsuchen und Testen von Kontaktpersonen der Infizierten. Wie hoch der Anteil hier jeweils liegen muss, um zu verhindern, dass Schulen zu Ausbruchsherden werden, hat ein Team um Dr. Jasmina Panovska-Griffiths vom University College London aktuell ebenfalls in »The Lancet Child & Adolescent Health« errechnet (DOI: 10.1016/S2352-4642(20)30250-9). Demnach ließe sich eine zweite Welle trotz Schulöffnung verhindern, wenn zwischen 59 und 87 Prozent der symptomatischen Patienten getestet würden. Angenommen, 68 Prozent der Kontakte von Infizierten könnten aufgefunden werden, müssten in diesem Szenario 75 Prozent der symptomatisch Infizierten diagnostiziert und isoliert werden. Diese Zahlen gelten für Großbritannien, können aber sicherlich auch Epidemiologen anderer Länder als Entscheidungshilfe dienen.

Wieler: »Schulen müssen geöffnet werden«

Auf ein schnelles Auffinden und Testen von Kontaktpersonen setzt auch das RKI mit Blick auf die kommenden Schulöffnungen in Deutschland. »Die Schulen werden geöffnet und sie müssen auch geöffnet werden, aber unter bestimmten Regeln«, sagte RKI-Präsident Professor Dr. Lothar Wieler beim vergangenen Pressebriefing. Das RKI erwarte, dass entsprechende Pläne zu Abstandsregelungen und Hygienekonzepte von den Schulen und Ämtern erarbeitet und eingeführt würden. So soll verhindert werden, dass sich die Schüler in den Pausen und zu anderen Zeiten zu sehr mischen. Laut Wieler müssen epidemiologische Einheiten gebildet werden, die möglichst zusammenbleiben und sich nicht mit anderen Einheiten vermischen. Falls Fälle aufträten, müssten die Kontaktpersonen rasch ermittelt und getestet werden. »Diese Konzepte sollten zum Schulstart auch am Start sein.«

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa