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Integration von DNA

Können Vektorimpfstoffe das Erbgut verändern?

Vektorimpfstoffe gegen Covid-19 enthalten im Gegensatz zu den mRNA-Impfstoffen genetische Information in Form von DNA. Diese könnte theoretisch ins Erbgut integrieren. Experten schätzen die Gefahr jedoch als gering ein.
Frederik Jötten
23.02.2021  07:00 Uhr

Die Skepsis bezüglich der neuen Corona-Impfstoffe war schneller da als deren Zulassung. Genveränderungen, so machte es bei Impfskeptikern die Runde, könnten die neuen Vakzinen verursachen. Bezüglich der Präparate von Biontech/Pfizer und Moderna war es einfach, diese Befürchtungen zu zerstreuen. Denn diese bestehen aus mRNA, die im Zellplasma in ein Protein übersetzt wird. In den Zellkern, den Ort, wo unsere genomische Erbsubstanz lagert, gelangt die mRNA nicht. Sie ist wie der papierene Ausdruck eines Bauplans, der auf einer Baustelle kursiert, während im Computer des Architekten das Original als Datei (DNA) liegt. Eine Interaktion zwischen Impf-mRNA und den menschlichen Chromosomen findet nach allem, was wir wissen, nicht statt.

Aber mittlerweile gibt es in der EU einen weiteren zugelassenen Impfstoff: den von Astra-Zeneca. Für diesen ist diese Argumentation nicht anwendbar. Denn dabei handelt es sich (wie auch bei den Kandidaten von Johnson&Johnson/Janssen und dem russischen Impfstoff »Sputnik V«) um einen Vektorimpfstoff auf der Basis eines Adenovirus. Das bedeutet, das Gen für das Spike-Protein des Coronavirus wird, übersetzt in DNA, in ein Adenovirus eingebaut, dem zuvor die für die Vermehrung notwendigen Gene entfernt wurden.

Erbgut muss in den Zellkern der Wirtszelle

Das Viruskonstrukt wird verimpft, schleust die enthaltene Erbinformation in menschliche Zellen ein – und danach zeigt sich ein wichtiger Unterschied zu den RNA-Impfstoffen. Die DNA des Adenovirus muss in mRNA umgeschrieben werden. Dafür muss sie in den Zellkern, denn nur dort sind die entsprechenden Enzyme vorhanden. Zwar integrieren Adenoviren während ihres Vermehrungszyklus, anders als etwa Retroviren wie HIV, nicht ins Genom. Aber ihre DNA liegt definitiv im Zellkern vor. »Mich macht das ein bisschen nervös«, sagt Dr. Christian Münz, Professor für virale Immunbiologie an der Uni Zürich.

Es gibt noch keinen einzigen Impfstoff auf Basis der Adenovirus-Technologie, der vielen Menschen geimpft wurde. Lediglich eine Ebola- und eine Dengue-Vakzine sind zugelassen, aber noch kaum angewendet. Dass Viruserbsubstanz in den Zellkern gelangt, ist für zugelassene Impfstoffe zudem ungewöhnlich. Totimpfstoffe gelangen gar nicht in den Zellkern. Lebendimpfstoffe, bestehend aus abgeschwächten Erregern, richten sich meistens gegen RNA-Viren wie etwa Mumps, Masern und Röteln und brauchen folglich kein Umschreiben ihrer Erbsubstanz im Zellkern. Der Pockenimpfstoff enthält zwar DNA, bringt jedoch die Maschinerie zum Umschreiben in RNA mit, vermehrt sich dementsprechend im Zellplasma und muss nicht in den Zellkern. Einzig der Windpockenimpfstoff enthält DNA, die in den Zellkern wandert. Jedoch besitzen diese Erreger natürlicherweise einen Mechanismus, der eine Integration des Virusgenoms in die Wirts-DNA verhindert.

Zufällige Integration ins Genom möglich

DNA, die im Zellkern außerhalb der Chromosomen vorliegt, kann in das Genom eingebaut werden, ein zufälliger Prozess, genannt heterologe Rekombination. »Diese Integration passiert leider nicht ganz so selten, wie man es sich erhoffen würde«, sagt Münz. »In Mäusen wird eines von einer Million injizierten Viren in die Wirts-DNA integriert – und beim Astra-Zeneca-Impfstoff werden je nach Dosierung 25 bis 50 Milliarden Viren gespritzt.« Daraus ergebe sich verglichen mit den mRNA-Impfstoffen ein höheres Risiko für Langzeitschäden. Krebs könnte die Folge sein, so wie er bei frühen Gentherapien aufgetreten ist. »Da hat man allerdings Retro- und Lentiviren verwendet, die sehr viel häufiger integrieren«, sagt Münz. »Bei Adenoviren ist das Risiko viel geringer.«

In den aktuell laufenden Studien zu den Vektorimpfstoffen könnten Komplikationen durch Virus-DNA-Integration jedenfalls kaum auffallen. Betroffen wären zunächst einzelne Zellen, die Folgen könnten sich erst Jahre später zeigen. Doch wie wahrscheinlich sind solche Integrationen? Und wie kann man überhaupt herausfinden, wie oft sie stattfinden?

»In Zellkulturen ist das vergleichsweise einfach«, sagt Professor Dr. Stefan Kochanek, Direktor der Abteilung Gentherapie am Uniklinikum Ulm. »Aber diese Zellen sind generell gestresst außerhalb des Körpers und die Rate der Integration von Virus-DNA ins Genom deshalb nicht aussagekräftig.« Um die Frage zu beantworten, benutzte er mit seinem Team ein Mausmodell, und zwar Tiere, bei denen genetisch bedingt die Leber einen massiven Defekt hatte. Diesen injizierten die Wissenschaftler intravenös Adenovirus-Vektoren, die ein Gen zur Reparatur des Defekts enthielten. In der Leber konnten die Wissenschaftler dann Zellklone erkennen, in denen der Defekt geheilt worden war. Jeder Spot stand für einen Einbau eines Adenovirus-Vektors ins Genom, denn nur Zellen, in denen dieser stabil eingebaut worden war, konnten sich vermehren und unterschieden sich optisch vom umgebenden Gewebe. Ergebnis: Bei rund sieben von 100.000 Zellen passierte eine solche Integration (»Journal of Virology« 2010, DOI: 10.1128/JVI.00751-10).

»Aber spontan auftretende Mutationen, durch die ein Gen funktionsuntüchtig wird, kommen in gesunden Zellen gar nicht so selten vor – und diese natürlichen Veränderungen sind 1000-mal häufiger als eine solche Integration der DNA eines Adenoviruses in eine Säugetier-DNA«, sagt Kochanek. Diese Angaben beziehen sich allerdings auf Leberzellen von Mäusen, während die Vektorimpfstoffe beim Menschen in den Oberarmmuskel injiziert werden. »Am liebsten würden wir jetzt natürlich wissen, wie Muskelzellen reagieren, aber dort ist es quasi unmöglich, Integrationen quantitativ festzustellen, erst recht nicht beim Menschen.« Der Muskel sei ein nahezu ruhendes Gewebe mit geringer Zellteilungsrate, deshalb gehe er davon aus, dass die Integrationsrate dort deutlich niedriger sei als in der Leber.

Krebs in Muskelzellen (Myosarkome) ist denn auch sehr selten. »Außerdem würde das Immunsystem Zellen, in denen ein Adenovirus-Vektor sich ins Genom integriert hätte, sehr wahrscheinlich spätestens nach wenigen Wochen abgetötet haben«, sagt Kochanek. »Ich sehe deshalb in den Corona-Impfstoffen auf Basis von Adenoviren keine langfristige Gefahr.«

Krebsrisiko vermutlich sehr gering

Auch Virologen sehen keine Risiken. »Wir Menschen haben regelmäßig Adenovireninfektionen«, sagt Professor Dr. Friedemann Weber, Direktor des Instituts für Virologie an der Uni Gießen. »Sie verursachen Erkältungssymptome, Augenentzündungen oder Magen-Darm-Probleme, aber Spätfolgen wie Tumorerkrankungen kennen wir nicht – trotz intensiver Forschung über Jahrzehnte.« Nach eigener Aussage würde er sich ohne Bedenken mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff immunisieren lassen.

Allerdings benutzt dieser Impfstoff ein Virus, das sonst nur bei Schimpansen vorkommt. Von Hamstern ist bekannt, dass sie Tumoren entwickeln können, wenn sie mit menschlichen Adenoviren vom Typ 12 infiziert werden. »Mensch und Schimpanse sind sich aber genetisch so ähnlich, dass ich nicht davon ausgehe, dass beim Menschen Zellen entarten durch den Vektor«, sagt Weber. »Vor allem: Den Impfvektoren fehlen Gene, die normalerweise den Zellzyklus manipulieren, deshalb können sie sich ja auch nicht vermehren.«

»Die Gefahr einer malignen Transformation durch Integration an der falschen Stelle des Genoms wird nicht hoch eingeschätzt, denn in der Regel bedarf es mehrerer genetischer Veränderungen, damit ein Tumor entsteht«, bestätigt Münz. »Aber im Vergleich zu einem potenteren mRNA-Impfstoff, bei dem diese Gefahr deutlich geringer ist und der höhere Effizienz gegen SARS-CoV-2 zeigt, ist dann plötzlich nicht mehr einsichtig, weswegen man den rekombinanten Adenovirusimpfstoff verwenden sollte.«

In Deutschland und der gesamten EU könnte es schon einen Grund geben: Impfstoffmangel. »100-prozentige Sicherheit gibt es bei einem Impfstoff nun mal nicht«, sagt Weber. »Aber die Wahrscheinlichkeit, durch den Astra-Zeneca-Impfstoff zu Schaden zu kommen, ist extrem gering verglichen mit dem Risiko, durch Covid-19 dauerhafte Schäden davonzutragen.«

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