| Carolin Lang |
| 23.11.2023 07:00 Uhr |
Menschliche Gelenkknorpeldefekte können mit Zellen aus der Nasenscheidewand behandelt werden. / Foto: Universiät Basel/Christian Flierl
Bei dem sogenannten N-TEC-Verfahren wird einem Patienten unter örtlicher Betäubung ein kleines Knorpelsegment mit einem Durchmesser von etwa 6 Millimetern aus der Nasenscheidewand entnommen. N-TEC steht dabei für »Nasal Chondrocyte Tissue-Engineered Cartilage«, also gezüchteter nasaler Chondrozyten-Gewebeknorpel. Aus der Biopsie werden Knorpelzellen (Chondrozyten) isoliert, für zwei Wochen in einer Nährlösung vermehrt, anschließend in ein biologisch abbaubares Kollagengerüst eingebracht und weitere zwei Wochen lang kultiviert. Nach insgesamt vier Wochen liegt dann ein bis zu 40 cm2 großes Knorpeltransplantat vor. Dieses wird im Operationssaal in Form und Größe an den zu reparierenden Knorpeldefekt angepasst und implantiert.
Entwickelt hat das Verfahren ein interdisziplinäres Team unter der Leitung von Professor Dr. Ivan Martin, Direktor des Departements Biomedizin der Universität Basel, sowie Privatdozent Dr. Marcus Mumme, leitender Arzt der Orthopädie am Universitäts-Kinderspital Basel.
Im Rahmen klinischer Phase-I- und -II-Studien erhielten seit 2012 inzwischen mehr als einhundert Patienten mit fokalen Knorpeldefekten im Knie sowie zwei Patienten mit fortgeschrittener Kniearthrose die neuartige Therapie. »N-TEC hat in den bisherigen klinischen Studien am Menschen einen überwältigenden Erfolg gezeigt«, vermeldet Martin in einer aktuellen Mitteilung der Universität Basel. Demnach wollen die Schweizer Regierung und die Europäische Union etwa 12 Millionen Euro für weitere klinische Studien bereitstellen.
Im Operationssaal wird das Transplantat an die Form und Größe des Knorpeldefekts im Knie angepasst. / Foto: Universität Basel/Christian Flierl
Bei Knorpelschäden im Knie kommen bereits zellbasierte Therapien zum Einsatz, bei denen Chondrozyten aus einem gesunden Bereich des Kniegelenks verwendet werden. Die Implantation des Gewebetransplantats anstelle eines zellbasierten Transplantats könnte der Universität Basel zufolge insofern vorteilhaft sein, als dass gezüchtetes Knorpelgewebe dem Transplantat mehr Stabilität verleihe und die Zellen besser vor Entzündungsreaktionen schütze. Darüber hinaus vermeide die Entnahme von Knorpelzellen aus der Nase die Schädigung eines noch gesunden Bereichs des Knies.
Für Ende dieses Jahres ist eine randomisierte klinische Phase-II-Studie zur patellofemoralen Arthrose (PFOA), sprich Kniescheibenarthrose, geplant. Dabei sollen die Teilnehmenden entweder ein Gewebetransplantat (N-TEC) oder eine Injektion von plättchenreichem Plasma (PRP) erhalten und für zwei Jahre nachbeobachtet werden.
»Die Studien werden fünf bis sechs Jahre dauern. Anschließend werden wir Aussagen zur Wirksamkeit von N-TEC im Vergleich zu anderen Therapien für PFOA treffen können«, schildert Martin auf Nachfrage der PZ. »Grundsätzlich könnte ich mir vorstellen, die Methode nach und nach auch auf andere Gelenke wie Schulter oder Knöchel zu übertragen, wie wir das bei Pilotpatienten schon für fokale Defekte gemacht haben.«
Auch ein Einsatz bei fortgeschrittener Arthrose sei grundsätzlich denkbar, führt Martin weiter aus. Allerdings sei dabei häufig auch der Knochen stärker mitbetroffen. »Daher arbeiten wir im Labor zurzeit an der Möglichkeit, ein Knochen-Knorpel-Konstrukt zu züchten, das es erlauben würde, auch die Erkrankung des Knochens mit zu behandeln«, berichtet er.
Dazu müssten jedoch auch die zugrundeliegenden Ursachen, zum Beispiel Fehlstellungen der Beinachse oder Instabilitäten der Bänder korrigiert werden, die das Ganze sehr komplex machten. »Bis zu einem vollständigen ›biologischen Ersatzgelenk‹ wird es daher noch etwas länger dauern«, so der Biomediziner abschließend.