Klinischer Nutzen neuer Krebsmedikamente oft geringer als erwartet |
Annette Rößler |
19.04.2024 16:30 Uhr |
Neue Arzneistoffe, die bei Krebserkrankungen eingesetzt werden, erhalten oft eine beschleunigte Zulassung. Danach sind die Hersteller verpflichtet, in weiteren Studien den klinischen Nutzen des Mittels zu belegen. / Foto: Adobe Stock/Lightfield Studios
Um Medikamente, die einen ungedeckten medizinischen Bedarf decken könnten, schneller auf den Markt zu bringen, gibt es beschleunigte Zulassungsverfahren. Ursprünglich in den 1980er-Jahren eingeführt, um Aids-Kranken neue Mittel zur Bekämpfung der HIV-Infektion schnell zugänglich zu machen, wird dieses Instrument heute von Herstellerfirmen vor allem für neue Krebsmedikamente genutzt. Laut einer aktuellen Publikation im Fachjournal »JAMA Network« sind mittlerweile 80 Prozent der Arzneistoffe, die von der US-amerikanischen Behörde FDA eine beschleunigte Zulassung erhalten, Krebsmittel.
Für eine beschleunigte Zulassung müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. So muss der Arzneistoffkandidat zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung vorgesehen sein, bei der ein ungedeckter medizinischer Bedarf besteht. Außerdem muss es realistischerweise wahrscheinlich sein (»reasonably likely«), dass die Anwendung einen klinischen Nutzen für den Patienten bringt. Dies werde bei Krebsmedikamenten üblicherweise anhand von Surrogatendpunkten wie der Tumoransprechrate und dem progressionsfreien Überleben (PFS) gezeigt, so die Autoren um Dr. Ian Tobias Teming Liu von der Harvard Medical School in Boston, Massachusetts.
Nach einer beschleunigten Zulassung sind die Hersteller verpflichtet, weitere Studien mit dem Arzneistoff durchzuführen, um den tatsächlichen klinischen Nutzen zu belegen. Abhängig von deren Ergebnissen erteilt die FDA dann entweder eine Vollzulassung oder nicht – woraufhin der Arzneistoff schließlich irgendwann wieder vom Markt verschwinden sollte. Wie die aktuelle Publikation belegt, werden diese strengen Regularien der Behörde in der Praxis jedoch häufig unterlaufen, sodass eine Reihe von beschleunigt zugelassenen Krebsmedikamenten auf dem Markt bleiben, deren klinischer Nutzen unklar ist.
Da gerade bei Krebs ein und derselbe Arzneistoff in verschiedenen Indikationen zugelassen sein kann – und dabei auch sein Nutzen jeweils unterschiedlich groß sein kann –, betrachteten die Forschenden einzelne Arzneistoff-Indikations-Paare. Insgesamt 129 von diesen erhielten in den Jahren 2013 bis 2023 eine beschleunigte Zulassung, aber lediglich 48 wurde seitdem eine Vollzulassung erteilt. Diese erfolgte bei 19 (40 Prozent) auf Basis des Endpunkts Gesamtüberleben, bei 21 (44 Prozent) auf Basis des PFS, bei fünf (10 Prozent) auf Basis der Ansprechrate plus der Dauer des Ansprechens, bei zwei (4 Prozent) auf Basis der Ansprechrate und bei einem (2 Prozent) sogar trotz eines negativen Ergebnisses der Bestätigungsstudie.
Somit war bei mehr als der Hälfte der Arzneistoff-Indikations-Paare, die unterdessen eine Vollzulassung erhalten hatten (29 von 48), diese auf Grundlage von Surrogatendpunkten erfolgt, was die Autoren bemängeln. Als Endpunkte, die einen klinischen Nutzen belegen, seien nur eine Verlängerung des Gesamtüberlebens und eine Verbesserung der Lebensqualität anzuerkennen. Selbst von den 46 Arzneistoff-Indikations-Paaren, bei denen die beschleunigte Zulassung schon mehr als fünf Jahre zurücklag, war für 19 (41 Prozent) in dieser Zeit keine Verlängerung des Gesamtüberlebens demonstriert worden und für weitere sieben (15 Prozent) lagen noch keine entsprechenden Ergebnisse vor.
Das Fazit der Autoren lautet daher: Patienten, die beschleunigt zugelassene Arzneistoffe erhalten, sollten genau darüber informiert werden, insbesondere dann, wenn es sich um Arzneistoffe handelt, für die in Bestätigungsstudien kein klinischer Vorteil gezeigt werden konnte.