Keine Erkältung dank Impfung? |
Daniela Hüttemann |
02.11.2020 18:00 Uhr |
Erkältungsviren im Fadenkreuz: Seite Jahren tüfteln Forscher an einer Vakzine gegen grippale Infekte. Jetzt steht der SARS-CoV-2-Impfstoff im Vordergrund. / Foto: Adobe Stock/peterschreiber.media
Während es gegen die echte Grippe bereits seit Jahrzehnten eine Impfmöglichkeit gibt (wenn auch mit schwankender Effektivität) und große Hoffnungen bestehen, bald die ersten Covid-19-Impfstoffe zu bekommen, ist die Impfstoffforschung bezüglich banaler Erkältungen bislang kaum über die Experimentierphase hinausgekommen. Das verwundert auf der einen Seite, schließlich entfielen im Jahr 2018 laut Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft (iwd) 16,4 Prozent der Krankheitstage auf Erkrankungen des Atemwegssystems. Ein Hoch erreichen die Krankschreibungen jedes Jahr im Februar, dem Höhepunkt der Infektsaison. Erkältung und Grippe verursachen zusammen Berechnungen zufolge allein in Deutschland einen wirtschaftlichen Schaden von bis zu 2,2 Milliarden Euro. Schon volkswirtschaftlich betrachtet würde sich eine Impfung gegen Erkältung also lohnen.
Auf der anderen Seite handelt es sich in aller Regel um einen banalen, sich selbst limitierenden Effekt – ärgerlich und unangenehm, aber meist folgenlos. Trotzdem: Vermutlich würden viele lieber darauf verzichten und sich impfen lassen.
Die Entwicklung eines Erkältungs-Impfstoffs ist jedoch alles andere als banal. Denn bekanntlich können unterschiedliche Erregerarten mit wiederum sehr vielen Stämmen einen grippalen Infekt auslösen. Als grobe Schätzung liest man oft die Angabe von mehr als 200 verschiedenen Erkältungsviren. Es sind vor allem vier Familien, die die Atemwege angreifen:
Diese Aufzählung macht klar, dass es nicht eine einzige Spritze geben kann, die vor allen Erkältungsviren schützt, zumal die zahlreichen Viren sich auch noch stetig evolutionär an den Menschen anpassen, also mutieren.
Relativ weit ist die Entwicklung einer Impfung und monoklonaler Antikörper gegen RSV. Stand März 2020 befanden sich mehr als 20 Kandidaten auf Basis unterschiedlicher Impfprinzipien wie Lebend-, Partikel-, Vektor- und rekombinanten Vakzinen in der klinischen Entwicklung, sowohl für Kinder und ältere Menschen als auch für werdende Mütter, um Neugeborene zu schützen. Erste Impfstoffentwicklungen in den 1960er-Jahren mit Lebendvakzinen schlugen fehl, da eine verstärkte respiratorische Erkrankung auftrat. Noch im vergangenen Jahrzehnt scheiterten zwei Impfstoffe und ein monoklonaler Antikörper in der Phase IIb und III, unter anderem, da die Immunologie einer RSV-Infektion offenbar immer noch nicht ganz verstanden ist. Die Forschung wird unter anderem von der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung gefördert.
Aber auch an Impfstoffen gegen Rhinoviren wird seit mehr als 50 Jahren geforscht. Dabei kamen durchaus einige Hoffnungsträger heraus, die jedoch nur eine gute und anhaltende Immunantwort gegen einen bestimmten Subtyp hervorriefen, ohne eine breiter schützende Cross-Immunität auszulösen. Ein Problem ist aber, dass sich die mehr als 150 Subtypen auf drei Gruppen verteilen, die unterschiedliche Rezeptoren für ihren Eintritt in die menschlichen Zellen nutzen. Theoretisch könnte man sich zig-valente Impfstoffe vorstellen; ein 50-valenter Impfstoff mit inaktivierten Rhinoviren erwies sich 2016 im Tierversuch bei Rhesusaffen als erfolgreich, doch wäre die Produktion aufwendig und teuer.
Heutzutage suchen Forscher daher nach breit neutralisierenden Vakzinen. Dabei favorisieren sie hoch konservierte Proteine oder Peptide als Antigene. Als ein vielversprechendes Target gelten dabei die Rhinovirus-Capside. Dort setzte bereits vor einigen Jahren schon ein Team der MedUni Wien unter Leitung des Allergologen Professor Dr. Rudolf Valenta an. Sein Ziel ist es, die wenig variablen Capsid-Strukturen von Rhinoviren als Antigen zu nehmen, die die Viren zum Andocken an die menschlichen Schleimhautzellen brauchen.
Doch auch dabei werden sich nicht alle Virus-Subtypen abdecken lassen. Das Wiener Team will aber zumindest die Stämme erwischen, die Auslöser für schwerere Erkrankungen wie Asthma sein können. 2018 vermeldete die Universität, ein Peptid des Rhinovirus-Hüllproteins als einen Marker für alle gefährlichen Rhinovirenstämme identifiziert zu haben. »Jetzt kennen wir endlich exakt jene Rhinoviren-Stämme, die solche Anfälle auslösen«, erklärte vor zwei Jahren Katarzyna Niespodziana, Erstautorin des in »Nature Communications« veröffentlichten Fachartikels.
»Wir arbeiten gezielt an einem Impfstoff für diese Asthma-auslösenden Virenstämme«, so Niespodziana. Sie hätten aufgrund ihrer Gefährlichkeit Priorität gegenüber den normalen Schnupfenviren. Bislang gibt es jedoch noch keine neuen Publikationen zum weiteren Fahrplan eines solchen Impfstoffs.
Die rasante Impfstoffentwicklung gegen das neue Coronavirus SARS-CoV-2 lässt hoffen, dass auch eine Impfung gegen seine vier harmloseren Verwandten möglich sein wird. Denn viele Ansätze arbeiten mit sogenannten Impfstoffplattformen, die wie Bausätze funktionieren, bei dem nur ein virusspezifisches Protein als Antigen ausgetauscht werden muss, zum Beispiel die Vektor- und mRNA-basierten Impfstoffe.
Sollten sich diese Ansätze bei SARS-CoV-2 als erfolgreich erweisen, ließe sich die Erbinformation für das Spike-Protein technisch einfach gegen die eines der anderen Coronavirus-Stämme austauschen. Trotzdem müssten die Vakzinen noch die gesamte klinische Entwicklung durchlaufen, was viel Zeit und Geld kostet. Ob dieser Aufwand für eine Impfung gegen banale Erkältungen betrieben wird, ist fraglich.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.