Kassenärzte wollen Digitalisierung verlangsamen |
Jennifer Evans |
07.10.2021 14:30 Uhr |
Bei der Digitalisierung müsse es künftig um Versorgungsprozesse statt um Verwaltungsprozesse gehen, so KBV-Vorstandsmitglied Thomas Kriedel. / Foto: axentis.de / Lopata
Den niedergelassenen Ärzten ist der Digitalisierungskurs des Gesundheitswesens von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in den vergangenen Jahren nicht nur zu schnell gegangen. Auch dessen technische anstatt einer praxisbezogenen Ausrichtung passte ihnen nicht. Das hebt Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), im Interview mit dem »Deutschen Ärzteblatt« hervor. Stattdessen fordert er von der neuen Bundesregierung, die Entwicklung und Implementierung von digitalen Anwendungen konsequent daran zu orientieren, was sie für die Versorgung bringen. Der bisherige Prozess der Digitalisierung müsse »vom Kopf auf die Füße gestellt werden«, betonte er.
Eine Idee, wie das funktionieren könnte, hat er auch schon parat: Der Umbau der Gematik. Kriedel zufolge sollte die Gesellschaft, die mehrheitlich in der Hand des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) liegt, zwar weiterhin die technologischen Prozesse vorantreiben. Gesundheitspolitische Vorschläge müssten seiner Ansicht nach aber von den Leistungserbringerorganisationen (LEOs) kommen und in einem »moderierten Prozess« erfolgen. Den Kassenärzten schmeckt es nämlich gar nicht, dass die LEOs derzeit in Fragen der Patientenversorgung vom BMG überstimmt werden können. Zur Erklärung: Der Gesetzgeber hatte ein von Spahn vorgelegtes Gesetz beschlossen, nach dem das Ministerium eine 51-prozentige Mehrheit in der Gesellschafterversammlung der Gematik hat. Seitdem kann das BMG Änderungen im Digitalisierungsprozess quasi im Alleingang beschließen. Kriedel: »Es muss eine qualifizierte Mehrheit möglich sein«. Grundsätzlich sollte die Gesundheitspolitik in Zukunft »mehr inhaltlich arbeiten« statt »nur auf die Technik zu schauen«, fordert er. In seinen Augen beschleunige ein solches Vorgehen die Prozesse insgesamt.
Damit nicht genug: Die niedergelassenen Ärzte plädieren außerdem für eine grundsätzliche »Konsolidierungsphase«. Massenanwendungen wie die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sowie das E-Rezept müssten erst »ausreichend getestet werden«. Folglich sollte die neue Bundesregierung die Einführung der Anwendungen »pauschal um sechs Monate« verlängern und die »Sanktionen aussetzen«. Das verschaffe nicht nur den Arztpraxen, sondern auch der Industrie Zeit, argumentiert Kriedel.
Kritik gibt es außerdem für das Image von Spahns Digitalisierungslösungen. Die seien »nicht positiv« geprägt, so der KBV-Vorstand. Einen Grund dafür sieht er unter anderem in den derzeitigen Hybridlösungen wie etwa beim E-Rezept, dessen QR-Code der Patient sowohl digital an eine Apotheke übermitteln kann als auch weiterhin auf Papier übergeben. Als zentral für die nächste Zeit erachtet Kriedel viel mehr, zunächst die elektronische Kommunikation zwischen allen an der Versorgung beteiligten Akteuren zu verbessern.