Kapillare und Muskeln bei Long-Covid-Patienten verändert |
Theo Dingermann |
23.02.2023 13:00 Uhr |
Die bei einigen Long-Covid-Patienten bestehenden Symptome wie Muskelschwäche oder -schmerzen könnten auf strukturelle Veränderungen in den Muskel-Fasern und versorgenden Blutgefäßen zurückgehen. / Foto: Adobe Stock/peopleimages.com
In einer Arbeit, die aktuell als Preprint auf dem Server »Medrxiv« publiziert wurde, berichten Forschende um Tom Aschman vom Institut für Neuropathologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin über die Ergebnisse einer eingehenden Analyse von Skelettmuskelbiopsien von elf Patienten, die nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 an anhaltender Müdigkeit und Unwohlsein nach körperlicher Anstrengung litten.
Alle elf Patienten (zehn weibliche Patientinnen und ein männlicher Patient im Alter von 25 bis 58 Jahren) hatten sich 2020 beziehungsweise Anfang 2021 mit SARS-CoV-2 infiziert, wobei die Mehrheit der Patientinnen (91 Prozent) nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nur leicht an Covid-19 erkrankt waren. Alle hatten in der Folge Fatigue mit muskulärer Symptomatik (Schwäche, Myalgie) und eine Belastungsintoleranz nach körperlicher Anstrengung entwickelt, die mindestens sechs Monate andauerte und nicht durch andere Diagnosen erklärt werden konnten.
Die Biopsien wurden zirka ein Jahr nach der Erstinfektion entnommen. Als Kontrolle dienten zwei unabhängige historische Biopsien, die sowohl aus histologisch normalem Muskelgewebe als auch aus Proben mit einer selektiven Atrophie der Typ-2b-Muskelfasern bestanden. Eine Atrophie der Typ-2b-Muskelfasern resultiert in Muskelschwund und Immobilität.
Während bei den Patienten mit einem Post-Covid-Syndrom (PCS) keine offensichtlichen Anzeichen einer Entzündung der Skelettmuskulatur (Myositis) auffielen, ließ sich in den Muskelproben eine deutlich gesteigerte Anzahl von CD169+-Makrophagen nachweisen. Dies stellen die Forschenden als bemerkenswert heraus, da CD169+-Makrophagen bei idiopathischen entzündlichen Myopathien typischerweise vermehrt anzutreffen sind. Dies deutet ihre herausragende Rolle bei Typ-I-Interferon-bezogenen Immunprozessen an. Zudem werden CD169+-Makrophagen auch direkt mit der antiviralen Abwehr in Verbindung gebracht, da sie Viruspartikel im Blut abfangen und von den Viren abgeleitete Antigene anschließend den B-Zellen präsentieren können. Die Forschenden glauben, dass diese Zellen eine Schlüsselrolle an der Schnittstelle von Muskeln und Kapillaren spielen könnten.
Ferner war bei den Patienten das Verhältnis von Blutgefäßen zu Fasern verringert, wobei die Kapillaren in den Biopsieproben eine Vergrößerung der Basalmembran aufwiesen.
SARS-CoV-2-spezifische RNA wurde in den Muskelzellen nicht nachgewiesen. Allerdings zeigte die Analyse des Transkriptoms, also aller in den Zellen vorhandener RNA-Moleküle, dass die meisten PCS-Proben im Vergleich zu den Kontrollen unterschiedliche RNA-Profile aufwiesen. erstere zeigten nämlich eine stärkere Expression von Genen, die mit der Regulierung des Immunsystems, der Angiogenese und mit dem Umbau der extrazellulären Matrix zusammenhängen.
Demgegenüber waren diejenigen Gene geringer exprimiert, die mit Stoffwechselprozessen und der mitochondrialen Aktivität zusammenhängen, was möglicherweise eine Ursache für die belastungsabhängige Müdigkeit und die Muskelschmerzen bei den Patienten darstellen könnte.
Insgesamt könnte das heißen, dass die SARS-CoV-2-Infektion das Immunsystem so aktiviert, dass es langanhaltende entzündliche und/oder gefäßschädigende Veränderungen im Muskel verursacht – und damit auch die Muskeln schwächt.
Ihre Beobachtungen an den Biopsien der Long-Covid-Patienten veranlasst die Forschenden, die Hypothese aufzustellen, dass eine SARS-CoV-2-Infektion bei einigen Patienten anhaltende strukturelle Veränderungen der Mikrogefäße in der Skelettmuskulatur verursachen kann, die für eine langanhaltende Symptomatik mitverantwortlich sein könnten. Das vermehrte Auftreten von CD169+-Makrophagen und die veränderte Genexpression in dem betroffenen Gewebe teilweise auch noch ein Jahr nach der Infektion legen nahe, dass es durch die initiale Infektion zu einer nachhaltig dysregulierten Immunantwort auch in Abwesenheit von SARS-CoV-2-RNA kommen kann, die dann die mikrovaskulären Veränderungen in den Skelettmuskeln der betroffenen Patienten bedingen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.