Kann bessere Luft Leben retten? |
Laura Rudolph |
04.03.2024 16:00 Uhr |
Die verbesserte Luftqualität in China könnte innerhalb von fünf Jahren knapp 50.000 Suiziden vorgebeugt haben, so die Schätzung einer neuen Studie. / Foto: Getty Images/d3sign
Die Suizidrate ist in den vergangenen Jahren weltweit gesunken. So auch in China: während sie dort im Jahr 2000 noch über dem globalen Durchschnitt lag, liegt sie nun darunter. Im gleichen Zeitraum hat sich die Luftqualität in dem Land erheblich verbessert. Forschende der University of California in Santa Barbara und der Chinese University of Hong Kong legen mit ihrer neuen Studie nun einen kausalen Zusammenhang nahe. Demnach könnte die verbesserte Luftqualität in China innerhalb von fünf Jahren (zwischen 2013 und 2017) schätzungsweise 46.000 Suiziden vorgebeugt haben. Die Ergebnisse wurden kürzlich im Fachjournal »Nature Sustainability« veröffentlicht.
Für seine Studie musste das Team um Professor Dr. Peng Zhang in die Trickkiste greifen: Da Feinstaubbelastung mit einer Vielzahl von »menschengemachten« Faktoren korreliert, die wiederum selbst das Suizidrisiko beeinflussen können, konnten die Forschenden die lokalen Feinstaubwerte nicht direkt mit den Suizidzahlen vergleichen. Beispiele für solche Störfaktoren sind die wirtschaftliche Aktivität, industrielle Produktion oder das Pendlerverhalten in einer Region. Stattdessen wurde die sogenannte thermische Inversion als Ersatzmaß für die nicht durch Menschen beeinflusste Feinstaubbelastung genutzt.
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Bei der thermischen Inversion handelt sich um ein zufällig auftretendes Wetterphänomen, bei dem warme Luft eine Schicht kalter Luft einschließt, wodurch sich Luftschadstoffe nahe der Erdoberfläche ansammeln. Die Forschenden haben durch die Nutzung von Wetterdaten des China Meteorological Data Service Center und der regionalen Suizidraten, erfasst durch das Chinese Center for Disease Control and Prevention, mithilfe eines statistischen Modells einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Feinstaubbelastung und der Suizidrate in 600 untersuchten Landkreisen identifiziert.
In Phasen mit Inversions-Wetter nahm die Suizidrate in der betroffenen Region innerhalb derselben Woche zu und, sobald sich die Wetterlage besserte, abrupt wieder ab. Die Forschenden vermuten, dass die Feinstaubbelastung neurochemische Vorgänge und damit auch die Psyche beeinflussen könnte. Insbesondere auf ältere Menschen und Frauen wirkte sich der Effekt stark aus. Warum, bleibt noch unklar.
Natürlich ist Luftverschmutzung nur einer von vielen Faktoren, die sich auf das Suizidrisiko auswirken können – aber immerhin führen die Forschenden etwa 10 Prozent des jüngsten Rückgangs der Suizidraten in China auf eine erniedrigte Feinstaubbelastung zurück. »Dreißig Jahre Erwärmung in Indien beeinflussten die Suizidraten etwa in derselben Größenordnung wie fünf Jahre Luftverschmutzungskontrolle in China«, verdeutlicht Studienautorin Professor Dr. Tamma Carleton in einer Pressemitteilung. In Indien nahmen Suizide durch extreme Hitze zu.
Obwohl nur ein geringer Anteil von Suiziden auf Umweltfaktoren zurückzuführen ist, könnte die aktuelle Studie die Sicht auf die Prävention verändern. Das zumindest erhofft sich Carleton: »Wir denken oft über Suizid und psychische Gesundheit als ein Problem nach, das auf individueller Ebene verstanden und gelöst werden sollte. Die Studie weist auf die wichtige Rolle der Umweltpolitik bei der Minderung von mentalen Gesundheits- und Suizidkrisen hin, die über individuelle Interventionen hinausgehen.«
Die Studie hat allerdings einige Einschränkungen. Sie gibt beispielsweise keine Auskunft darüber, auf welche Weise Feinstaub das Suizidrisiko beeinflusst. Zudem berücksichtigt die Studie nicht alle Regionen Chinas und die Ergebnisse sind nicht ohne weiteres auf andere Länder übertragbar. Weitere Studien sind notwendig, um die Entdeckungen näher zu untersuchen.