Jetzt Healthies statt Selfies knipsen |
Daniela Hüttemann |
11.07.2025 09:00 Uhr |
Live smarter: Immer mehr Menschen wollen ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden optimieren. Dafür füttern sie verschiedene Apps mit Daten. / © Adobe Stock/Raquel
Das Interesse war groß, als in dieser Woche die Trendforscherin Corinna Mühlhausen erste Ergebnisse ihres zweijährlich erscheinenden »Health Reports« vorstellte. Sie folgen den Megatrends Gesundheit, Selbstoptimierung und Gesundes Altern.
»Trends entwickeln sich nie losgelöst von den äußeren Umständen«, so Mühlhausen. »Als Hersteller kann ich keinen Trend auslösen. Die Menschen müssen bereit dafür sein und ihre Bedürfnisse getroffen werden.« So gebe es eine wachsende Bereitschaft, mehr für die Prävention von Erkrankungen zu tun – und auch privat viel Geld dafür auszugeben. »Die Prävention wird zunehmend technologiegestützt, niedrigschwellig und eng mit Lifestyle-Trends verwoben«, so die Report-Autorin. In diesen Bereich fallen die ersten vier Trends:
»In einer komplexen Welt versuchen wir mit allen Mitteln, die Kontrolle wiederzubekommen«, kommentierte Mühlhausen. Mahlzeiten und Vitalparameter tracken wir per Handy-App und Wearables; demnächst erhebt die Toilette Laborwerte im Morgenurin. »Das mag medizinisch fragwürdig sein, doch die Menschen sind bereit, es zu machen und ihre Daten herzugeben.«
Unter diesem Punkt nannte die Journalistin auch »Healthies statt Selfies«. Gemeint ist, mit bestimmten Apps täglich oder bei Bedarf ein Selfie zu machen, um dann eine Auswertung zum Hautbild oder dem Gesundheitszustand allgemein zu bekommen. Die App Anura beispielsweise will anhand der Porträtaufnahme den Blutdruck und die Herzrate messen können.
Die Versicherung Generali biete bereits Bonusprogramme an, für diejenigen, die täglich ein Healthie teilen. Das sieht Mühlhausen durchaus kritisch: Was passiert mit den Daten? Landen sie auch in der elektronischen Patientenakte (ePA) oder gar beim Arbeitgeber?
Damit sind Kabinen unterschiedlicher Art gemeint, die bereits mancherorts in Einkaufszentren, Unternehmen oder auch Apotheken stehen. Es gibt Kammern, die messen beim Betreten Werte wie Gewicht, Größe und Stresslevel und haben die Möglichkeit, einen Chatbot oder gar echten Arzt hinzuzuschalten.
Auch die bereits praktizierte assistierte Telemedizin in Schweizer Apotheken in entsprechenden Boxen sieht Mühlhausen als Teil dieses Trends. Der Patient bekommt nach der Telekonsultation ein E-Rezept und löst es direkt in der Apotheke ein. »Wer da drin war, bringt mehr Umsatz und lässt sich stärker auf eine Beratung ein«, glaubt Mühlhausen.
Nahrungsergänzungsmittel sind wohl kaum ein neuer Trend. Besonderes Wachstum prognostiziert Mühlhausen jedoch im Bereich Immunboosting, bei Hormonen oder hormonähnlich wirksamen Substanzen sowie Präparaten auf Basis von Algen (Seaweed), die wie Arzneimittel aufgemacht daherkommen (Nutraceuticals).
Ein sinnvoller Trend, der für Mühlhausen in den großen Bereich der »Adaption« (Anpassung an neue Umstände wie den Klimawandel) gehört, ist das steigende Bewusstsein für den UV-Schutz. Dazu gehören Sonnencreme-Spender an Stränden und in Parks, Sonnenschutzpräparate auf den Menü-Karten von Restaurants und auch Apps, die vor hoher UV-Strahlung und Ozonbelastung warnen und Tipps zu Aktivitäten geben.
Während in China Frauen am Strand »Facekinis« tragen, um vor allem ihre helle Haut zu bewahren, wollen Gesundheitsbewusste UV-Schäden vermeiden. Dabei legen die Menschen zunehmend Wert auf unschädliche Inhaltsstoffe. Im US-Portal »Sun Screener« könne man überprüfen, ob das Wunsch-Sonnenschutzmittel haut- und umweltfreundlich sei, Stichwort »Rifffreundlich«.
Für eine gesunde Umgebung sollen auch Farben und Lacke sorgen, von der Anti-Moskito-Wandfarbe bis hin zu einem Autolack von Nissan, durch den sich das Auto weniger aufheizt. Luftfilter sind spätestens seit der Corona-Pandemie Massenware und kein Trend mehr.
Die Firma Thule habe nun einen Kinderfahrradanhänger, der die dreckige Luft im Straßenverkehr von Feinstaub reinigt und Samsung ein Zusatzgerät, das sich an jede Waschmaschine anschließen lässt, um Mikrofasern zu filtern, bevor sie in die Umwelt gelangen (Stichwort Mikroplastik).
Fitnessuhren tracken uns auch nachts, ermitteln unseren Schlaftyp, erkennen Schlafapnoen und geben Tipps für bessere Schlafhygiene. Wer sie nicht am Handgelenk tragen will, kauft sich eine Matratze mit entsprechenden Sensoren. Aber auch smarte Schlafbrillen, alle möglichen Formen von Lärmschutz, Schlafpartys und Coachings rund um die Nachtruhe sind gefragt.
Ganz zu schweigen von Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln: Rezeptfreie Schlafmittel wie Melatonin und sogenannte »Pillow-Sprays« – Düfte, die man sich auf das Kopfkissen sprüht – verzeichnen laut Mühlhausen steigende Absätze. Der globale Markt für Schlafhilfen soll Prognosen zufolge von 60 Milliarden US-Dollar Umsatz im Jahr 2020 auf 112 Milliarden steigen.
Hier schließt sich der neunte Trend, das »Neuro-Scenting« an. »Der persönliche Duft soll nicht nur gut riechen, sondern auch Trigger im Gehirn setzen«, erklärt Mühlhausen. Die »Functional Fragrances« sollen zum Beispiel das Stresslevel senken (man denke an den guten alten Lavendel) oder auch aktivieren – letztlich ein moderner Begriff für die altbekannte Aromatherapie. »Psychodermatologie und Neuro-Scenting verknüpfen Sinneswahrnehmung, mentale Gesundheit und Ästhetik«, so die Autorin. Und: »Innovationen wie Medical Tattoos und Psilocybin-Therapien verwischen die Grenzen zwischen Wellness und Medizin.«
Das leitet zum letzten Punkt über: Eigentlich fällt die ständige Blutzuckerkontrolle auch bei Nicht-Diabetikern unter Trend 1, Health Control, hat aber inzwischen solche Ausmaße angenommen, dass Mühlhausen von einem eigenen Trend sprach, einer Form der Biofeedback-gesteuerten Lebensführung. Es gebe bereits einen Schwarzmarkt für die Messpflaster; Experten sind beunruhigt, was die Versorgung insulinpflichtiger Diabetiker angeht.
Ob die Methode wirklich beim Abnehmen hilft und zu mehr Leistungsfähigkeit führt, sei dahingestellt. »Es kann die Menschen auch stressen und überfordern, wenn sie ständig alles perfekt machen wollen«, gab Mühlhausen zu bedenken. Es können Zwänge und Essstörungen entstehen.
Grundsätzlich wertet die Trendforscherin es jedoch positiv, dass viele und gerade auch jüngere Menschen mehr auf ihr Wohlbefinden und ihre langfristige Gesundheit achten. Davon könnten auch die Apotheken profitieren, denn häufig braucht es eine professionelle Einordnung all der Trends und Empfehlungen.
»Gesundheit ist ein wirtschaftlicher Megatrend, weil sie alle anderen Megatrends – von Nachhaltigkeit bis Digitalisierung – miteinander verbindet. Gesundheit wird zur Brücke zwischen analogen und digitalen Lebenswelten, zwischen klassischen Versorgungsstrukturen und individueller Selbstfürsorge. Wer diesen Wandel versteht, kann die Zukunft des Gesundheitsmarkts aktiv mitgestalten.«