Jeder verstoffwechselt Arzneistoffe anders |
Sven Siebenand |
15.04.2024 15:54 Uhr |
Professor Dr. Martina Hahn, Fachapothekerin für klinische Pharmazie aus Frankfurt am Main, beleuchtete beim Niedersächsischen Apothekertag in Osnabrück Einflussfaktoren auf die Pharmakokinetik. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Die Fachapothekerin für klinische Pharmazie informierte darüber, dass sich die Aktivität von CYP-Enzymen zwischen Mann und Frau deutlich unterscheiden kann. So sei die Enzymaktivität von CYP2B6 bei Frauen im Durchschnitt höher als bei Männern. Das sei ein Grund, weshalb Frauen etwa auf eine Ketamin-Therapie besser ansprechen. Denn sie können durch die stärkere Enzymaktivität den aktiven Metaboliten besser bilden.
»Verallgemeinern lässt sich dieser Unterschied aber nicht«, warnte die Apothekerin. So sei beispielsweise die Aktivität von CYP1A2 meist bei Männern höher und im Fall von CYP2C19 gibt es wiederum gar keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Hinzu kommt, dass sich die Aktivität von CYP-Enzymen auch in der Schwangerschaft ändern kann. Hahn: »Bei einigen CYP-Enzymen geht die Aktivität runter, bei anderen deutlich nach oben.« So sei die Aktivität von CYP2D6 in der Schwangerschaft in der Regel viel stärker.
Neben dem Geschlecht ist auch die individuelle pharmakogenetische Ausstattung ein wichtiger Einflussfaktor für die Pharmakokinetik. Je nach genetischer Ausstattung lassen sich vier Metabolisierer-Typen, zum Beispiel hinsichtlich CYP2D6 und CYP2C19, unterscheiden: langsame, intermediäre, extensive (normale) und ultraschnelle Metabolisierer.
Anders als man vielleicht vermuten würde, ist es dabei längst nicht so, dass fast alle Menschen »normale« Metabolisierer sind. Hinsichtlich CYP2D6 sind laut Hahn etwa die Hälfte einer der drei anderen Gruppen zuzuordnen und hinsichtlich CYP2C19 sogar zwei Drittel aller Menschen.
Was aus dem genetischen Phänotyp resultieren kann, ist das gleiche wie bei einer Arzneimittel-Arzneimittel-Interaktion, nämlich eine zu hohe oder zu niedrige Konzentration und der Bedarf einer Dosisanpassung. Hahn: »Es ist absolut sinnvoll, testen zu lassen, welchen Genotyp man hat.« Einige Krankenkassen würden so einen Test auf Antrag bezahlen, im Vergleich zu anderen Ländern geschehe das in Deutschland aber noch viel seltener. Am häufigsten kommen solche Tests bislang in der Psychiatrie und Onkologie zum Einsatz.
Hahn machte deutlich, dass die Kenntnis über den genetischen Phänotypen noch lange nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Der genetische Phänotyp kann durch Einnahme eines Enzym-Induktors oder -Inhibitors verändert werden, und es entsteht eine Genotyp-Phänotyp-Diskrepanz. Experten bezeichnen diese Form der Arzneimittel-Arzneimittel-Gen-Interaktion als Phänokonversion.
Last, but not least informierte Hahn über Arzneimittel-Gen-Gen-Interaktionen, die ebenfalls in der Praxis eine Rolle spielen können. Zu diesen Interaktionen kann es kommen, wenn Arzneimittel durch mehrere CYP-Enzyme abgebaut werden. Beide Enzyme können Polymorphismen aufweisen und der Phänotyp beider Enzyme beeinflusst den Serumspiegel. Außerdem, so Hahn, kann dadurch ein alternativer Abbauweg plötzlich relevanter werden und es bilden sich andere Metabolite, die durch ein Therapeutisches Drug Monitoring (TDM) oft nur unzureichend erfasst werden können.