Jeder Dritte würde bei Amazon Rezepte einlösen |
Melanie Höhn |
15.05.2024 13:15 Uhr |
Über die Hälfte der befragten Konsumenten würde bei Amazon rezeptfreie Arzneimittel kaufen, jeder Dritte sogar Rezepte einlösen. / Foto: IMAGO/Karina Hessland
Wie prägen die Veränderungen in der Hersteller- und Handelslandschaft die OTC- und Apothekenmärkte? Welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung im Healthcare-Sektor? Diesen Fragen ging eine Studie des Beratungsunternehmens Sempora nach, für die 50 Entscheider aus Pharmaunternehmen sowie 123 Apothekerinnen und Apotheker und 1.055 Verbraucher befragt wurden.
Mehr als 3.000 Apotheken werden nach Erwartung der befragten OTC-Hersteller in den kommenden fünf Jahren schließen. Die Apotheker rechnen sogar mit fast 4.500 Marktaustritten bis 2029, das entspricht rund einem Viertel aller Offizin-Apotheken in Deutschland. Ob es so kommt, wird ganz wesentlich durch das Einkaufsverhalten der Konsumenten bestimmt werden, heißt es in der Studienauswertung von Sempora. Welche Produkte werden wo eingekauft? Welche Alternativen zur Apotheke sehen die Käufer heute und in naher Zukunft? Und: Was erwarten die Käufer von den stationären Apotheken?
Gute Verfügbarkeit der Arzneimittel sowie ein kompetentes und freundliches Personal sind den Konsumenten bei einer Offizin-Apotheke wichtig. Nicht-apothekenpflichtige Produkte kaufen sie aber bereits heute zu substantiellen Anteilen in der Drogerie. Rossmann und dm sind für die klare Mehrheit der Kosumentinnen und Konsumenten als Versandapotheke für nicht-rezeptpflichtige Arzneimittel vorstellbar. Die Healthcare-Positionierung von dm und Rossmann reiche bereits so weit, dass über 30 Prozent der Befragten dort sogar verschreibungspflichtige Arzneimittel beziehen würden, so die Studienautoren. Über 30 Prozent der Befragten können sich auch vorstellen, nicht-rezeptpflichtige Medikamente bei Rewe, Aldi und Lidl zu kaufen.
86 Prozent der Industriemanager rechnen damit, dass Amazon als Versandapotheke dem Markt beitreten wird. Über die Hälfte der Konsumenten würde dort rezeptfreie Arzneimittel kaufen, jeder Dritte bei Amazon auch Rezepte einlösen. 42 Prozent der Verbraucher haben bereits Medikamente auf Amazon gesucht, für immerhin 15 Prozent ist Amazon längst eine Apotheke.
In den USA betreibt der E-Commerce-Gigant seit 2020 die Onlineapotheke »Amazon Pharmacy«. Sie rangiert im Ranking der Top-E-Pharmacies demnach mittlerweile auf Platz 2. Dass er auch in den europäischen Arzneimittelmarkt einsteigen will, hat Amazon nie verheimlicht. So ließ sich das Unternehmen im Herbst 2020 die Marke »Amazon Pharmacy« für die gesamte EU sichern, das zeigte damals ein Blick ins europäische Markenregister.
Auch unter anderem für Großbritannien sicherte Amazon sich im selben Jahr die Markenrechte. Wenn Amazon ab Mitte 2024 in Deutschland eine eigene Apotheke in sein Geschäftsmodell integrieren würde, wäre das Unternehmen binnen drei Jahren Markführer, wie kürzlich eine Münchner Unternehmensberatung analysierte.
Über 70 Prozent der befragten Konsumenten kennen Shop Apotheke und DocMorris; der dritt-bekannteste Versender Medpex folgt mit großem Abstand (36 Prozent). Insbesondere die beiden dominanten Versender verbinden mit der flächendeckenden Einführung des E-Rezepts große Wachstumsambitionen. Fast 30 Prozent der Befragten können sich vorstellen, zukünftig E-Rezepte ausschließlich in der Versandapotheke einzulösen. Würde auch nur jedes zehnte E-Rezept bei Versandapotheken eingelöst werden, zöge das einen substantiellen Umsatz-Boost für die Versender nach sich, so die Autoren der Studie.
Auch aus Perspektive der OTC-Hersteller wird der Versandhandel mit Einführung des E-Rezepts weiter an Relevanz gewinnen: Fast 90 Prozent der befragten Managerinnen und Manager erwarten vor diesen Hintergründen einen Bedeutungszuwachs der Versender. Shop Apotheke und DocMorris liegen aus Perspektive der OTC-Hersteller in ihrer Gesamtperformance aktuell deutlich auseinander: Die Industrie hat im Rahmen der Studie 16 Versandapotheken bewertet – nur Shop Apotheke hat dabei einen Spitzenplatz einnehmen können.
Die befragten Apothekerinnen und Apotheker sehen vielfältige Wachstumschancen auf den OTC-Märkten. Mit vielen OTC-Produktkategorien verbinden die Apotheker erhebliche, noch unausgeschöpfte Umsatzpotentiale – so zum Beispiel für Phytopharmaka, für Produkte aus der Kategorie Schlaf und Beruhigung oder für Präparate für die Darmgesundheit. Ebenso für Hautpflege- und Kosmetikprodukte bestünden weiterhin substantielle Wachstumspotentiale in der Offizin: 91 Prozent der befragten Apotheker würden Hautpflege- und Kosmetikprodukte in ihrer Apotheke offensiver vermarkten, wenn ihnen der Hersteller ein gutes, glaubwürdiges Gesamtkonzept präsentiert.
Bei der Bewertung der Großhändler unterscheiden sich Apotheker und Industrie, insbesondere in der Rangreihung der in der Erhebung berücksichtigten Häuser. Dabei sind 78 Prozent der Apotheken mit dem Service des Großhandels insgesamt zufrieden, über 70 Prozent bemängeln jedoch weiterhin, dass der Großhandel die Rechnungen intransparent gestaltet. Konditionen und Lieferfähigkeit bleiben aus Apothekersicht die entscheidenden Dimensionen in der Zusammenarbeit mit dem Großhandel. Die Industrie rechnet mit einer weiteren Konsolidierung der Großhandelslandschaft und erwartet, dass Großhändler deutlich in die Weiterentwicklung der Leistungsfähigkeit ihrer Kooperationen investieren werden.