»Ist es sinnvoll, alles zu ökonomisieren?« |
Melanie Höhn |
06.02.2023 12:35 Uhr |
Andreas Burkhardt, Geschäftsführer von Ratiopharm sowie von Teva Deutschland und Österreich: »Wir haben uns ein Konstrukt geschaffen, das schwer steuerbar ist«. / Foto: Teva Deutschland
PZ: Bei welchen Ratiopharm-Produkten gibt es derzeit Engpässe?
Burkhardt: Nach wie vor gibt es unter anderem bei den Paracetamol- und Ibuprofen-Fiebersäften für Kinder Engpässe, im Moment aber auch bei unseren Nasensprays im gesamten Sortiment – hier produzieren wir an der Kapazitätsgrenze. Die Nachfrage nach diesen Produkten ist in diesem Jahr so hoch, weil sich die Grippewelle bereits über einen längeren Zeitraum hinzieht und zudem bei jedem Einzelnen deutlich länger dauert als normalerweise. Die Nachfrage wurde wegen Hamster-Käufen noch einmal künstlich nach oben gepusht. Geht die Nachfrage in den kommenden zwei Wochen deutlich zurück, können wir den Bedarf decken. Die Angelegenheit lässt sich nicht autark nur aus Herstellersicht betrachten, man muss auch die Nachfrage berücksichtigen. Wenn die Nachfrage steigt, dann wird die Versorgungslücke wieder größer.
PZ: Bei welchen Hilfs- oder Wirkstoffen gibt es Lieferschwierigkeiten?
Burkhardt: Das lässt sich nicht eindeutig sagen. Es ist weniger das Problem, dass wir beispielsweise einen Stoff gar nicht bekommen, sondern eher, dass es immer wieder zu Verzerrungen in der Lieferkette kommt. Mal erreicht uns ein Stoff eine Woche zu spät oder es wird ein bisschen weniger davon angeliefert. Das hat riesige Auswirkungen auf den späteren Produktionsprozess, der sehr eng getaktet ist. Bei den Fiebersäften liegt es seltener an den Wirkstoffen, sondern eher am Abdecken der Nachfrage. Beim Nasenspray gab es auch immer mal wieder das Problem, dass wir nicht genügend Pumpen für die Produktion bekommen haben. Die Beschaffungsprobleme bei den betroffenen Medikamenten wechseln ständig. Es herrscht insgesamt eine Knappheit, etwa auch bei Glas oder Folie für die Blister. Dabei stehen wir plötzlich mit Unternehmen aus anderen Branchen in Konkurrenz, die höhere Preise bezahlen. So haben sich die Weltmärkte einfach enorm verändert.
PZ: Welche Maßnahmen haben Sie im Unternehmen ergriffen, um die Produktion sicherzustellen?
Burkhardt: Erfreulicherweise konnten wir im vergangenen Jahr um die 150 neue Mitarbeitende einstellen und daher unsere Produktion weiter hochfahren. 2022 haben wir etwa 120 Prozent mehr an Paracetamol-Fiebersaft verkauft als 2021 und es war trotzdem nicht ausreichend, um den Bedarf zu decken. Kein pharmazeutischer Hersteller kann seine Produktion ins Unendliche skalieren.
PZ: Welche Hindernisse gibt es beim Hochfahren der Produktion?
Burkhardt: Wir haben eine Limitierung im Maschinenpark und bei den Arbeitskräften. Wir können nicht im Dreischichtbetrieb sieben Tage die Woche produzieren. Wenn ich unsere Kapazitätsmöglichkeiten sehe, sind wir schon am Limit. Wir arbeiten daran, es noch etwas zu strecken. Aber das wird das Problem nicht umfassend lösen. Wir haben Produktionszeiten vom Einkauf des ersten Produkts bis zur Auslieferung an die Apotheke von teilweise bis zu neun Monaten. Natürlich sind wir zudem im engen Austausch mit den Apotheken und kommunizieren sehr intensiv mit ihnen.
PZ: Seit Februar sind einige Festbeträge unter anderem für Kinder-Fiebersäfte ausgesetzt worden. Nimmt das zumindest ein bisschen den Druck raus?
Burkhardt: Wir begrüßen es, dass die Politik zum ersten Mal nach sehr langer Zeit erkannt hat, dass wir ein massives Problem haben, das durch den festgesetzten Preis sowie andere Mechanismen, die im System herrschen, ausgelöst wird. Wenn wir jetzt die durchschnittliche Inflation von 10 Prozent sehen, hat sich die Situation eher noch verschlechtert. Es ist ein erster guter Schritt, aber das wird das Problem definitiv nicht lösen.
PZ: Was wäre Ihre Lösung?
Burkhardt: Wir bräuchten entweder weitere Anbieter in diesem Markt oder das Segment muss so attraktiv werden, dass wir investieren und unsere Kapazitäten weiter ausbauen können. Aber bei einem defizitären Produkt ist das natürlich sehr schwierig, denn wir sind kein NGO-Unternehmen.
PZ: Können die Kinder-Fiebersäfte trotz Wegfallen des Festbetrages nicht kostendeckend produziert werden?
Burkhardt: Nach dem Wegfall des Festbetrags könnten wir das Produkt kurzfristig wieder auskömmlich anbieten – das sind natürlich erstmal gute Nachrichten. Klar ist: die Versorgung wird sich dadurch nicht verbessern. Wir produzieren ja schon unter Auslastung aller verfügbaren Kapazitäten. Eine Mehrproduktion ist auch ohne den Festpreis für uns kurzfristig nicht umsetzbar. Es gibt zudem auch noch weitere Kostensparinstrumente, die weiterhin gelten. Diese machen potenziell höhere Preise für die Hersteller direkt wieder wett. Aktuell liegen uns keine Informationen über die neue Festpreisgestaltung ab Mai vor.
PZ: Heben Sie aufgrund der Aussetzung der Festbeträge die Produktpreise an?
Burkhardt: Unser Ziel ist eine langfristige und faire Preisgestaltung, die verträglich für unsere Patientinnen und Patienten ist. Aktuell analysieren wir noch die Lage.
PZ: Wo sollte die Politik bei den Lieferengpässen ansetzen?
Burkhardt: Das Wichtigste ist, sich anzuschauen, für welche Produkte diese sehr harten preisorientierten Maßnahmen noch gelten sollen. So würde ich den Medikamentenkatalog durchscannen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat da schon einen relativ guten Einblick, was auf jeden Fall ein guter Ansatz ist. Bei den Kindermedikamenten wird das jetzt schon diskutiert. Aber es gibt auch viele andere Medikamente, bei denen eine starke Verengung des Markts spürbar ist. Auch dort sollten die Preismechanismen aussetzen – und zwar nicht nur für drei Monate. Unternehmen brauchen einen Planungshorizont von fünf Jahren. Nur dann lohnt sich eine Investition.
PZ: Was muss sich neben dem Preis noch ändern?
Burkhardt: Neben dem Preis müssen ein paar weitere Attribute hinzugefügt werden, wie etwa Umwelt- oder Sozialauflagen. Alle Unternehmen, die an der Versorgung teilnehmen, sollten eben nicht nur die billigsten sein, sondern auch andere Kriterien erfüllen. Dann wird auch die Versorgung wieder breiter. Und wir haben in Europa wieder bessere Chancen, daran teilzunehmen. Der Pharmabereich ist aber ein hochreguliertes Umfeld und deswegen wird es eine Weile dauern, bis die Veränderungen Wirkung zeigen. Eine schnelle Maßnahme wird es nicht geben.
PZ: Ihre Prognose – Wie wird sich die Liefersituation entwickeln?
Burkhardt: Die Liefersituation wird wegen der Lieferketten definitiv noch eine Weile angespannt bleiben. Nach der Coronavirus-Pandemie dauert es meiner Meinung nach noch eine Weile, bis sich dieses System wieder eingependelt hat. Was die Erkältungsmedikamente angeht, wird es uns sicher helfen, dass der Winter irgendwann vorbei ist – und damit die Grippesaison rückläufig. Bei den Medikamenten mit nur einem oder zwei Anbietern im Markt wird es immer wieder zu Problemen kommen, denn die Auswirkungen können schwer von nur einem Unternehmen kompensiert werden. Ich finde, es ist auch ein philosophisches Thema. Was ist eigentlich die Aufgabe des Staates? Und da muss man sich überlegen: Ist es sinnvoll, alles zu ökonomisieren? Die Aufgabe des Staates ist es, für den Schutz der Menschen zu sorgen und sicherzustellen, dass sie wirklich versorgt sind. Und das erfüllt er heute nicht: Stattdessen scheren wir alle Medikamente über den selben Kamm. Wir haben uns ein Konstrukt geschaffen, das schwer steuerbar ist. Mittlerweile ist der Aufschrei so groß, dass die Politik verstanden hat: Das funktioniert so nicht mehr.