Bewegung im Streit um Patente |
18.10.2004 00:00 Uhr |
Die Unternehmen sollen forschungsintensive Präparate in Lizenz direkt an Ort und Stelle fertigen lassen, um die Bedürftigen billiger zu versorgen. Die Patentinhaber sind in ihren Verhandlungen vor allem um Qualitätskontrollen und Sicherung ihrer Produktstandards bemüht, die sie akut gefährdet sehen.
Der anhaltende Druck auf die internationale Pharmaindustrie, den armen Ländern der Dritten Welt Lizenzen zur Herstellung der lebensrettenden, aber teuren Aids-Präparate zu erteilen, zeigt erste konkrete Auswirkungen. So wird nach der aktuellen Informationslage Kenia als zweites Land Schwarzafrikas nach Südafrika in Zukunft über eine eigene Produktion von Anti-Retroviren-Präparaten (ARV) zur Behandlung von HIV/Aids-Patienten verfügen und von hier aus die umliegende Region mit versorgen.
Die lokale Firma Cosmos Pharmaceuticals Ltd., eine der vielen mittelständischen Unternehmen im Besitz der indisch-stämmigen Bevölkerungsschicht, hat im September einen Lizenzvertrag mit dem führenden britischen Hersteller GlaxoSmithKline (GSK) zur Produktion von drei ARV-Präparaten (Epivir®, Retrovir® und Combivir®) unterzeichnet.
Nach Informationen der Zeitschrift “The East African” stand noch im September 2004 die Unterzeichnung eines weiteren Vertrags von Cosmos mit einem führenden deutschen Hersteller für die Produktion eines Nevirapine-Präparats bevor, das in Ostafrika speziell gegen die Virusübertragung auf ungeborene Kinder verabreicht wird.
Wie Brancheninsider wissen, ging diesen Ereignissen, die von lokalen Kommentatoren euphorisch begrüßt werden, ein monatelanger starker Druck von Seiten der kenianischen Regierung auf die betreffenden Hersteller voraus. Denn seit Mitte 2003 haben die Entwicklungsländer das lange gewünschte wirksame Instrument, um ihre Interessen gegenüber der internationalen Pharmaindustrie auch gegen geltende Patentrechte durchzusetzen: Mit einer Vereinbarung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) von August 2003 ist der Verkauf preiswerter Generika - produziert ohne Beachtung internationaler Patentrechte vor allem in Ländern wie Indien und Brasilien – in Ländern der Dritten Welt offiziell legalisiert worden. Damit verbunden ist die Anerkennung eines schon bestehenden Instruments (Artikel 31 (f) des Abkommens über so genannte Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights /TRIPS) auch für die AIDS-Pandemie: nämlich das Recht von Dritte-Welt-Regierungen, die internationalen pharmazeutischen Patentinhaber zur Vergabe so genannte Zwangslizenzen (compulsory licences) bei speziellen Gefährdungslagen im Gesundheitssektor (über 20 aufgelistete Krankheitsarten) verpflichten zu können.
„Menschenrecht” der Versorgung
Die Argumentationskette, die für dieses Instrumentarium auf internationaler Ebene seit geraumer Zeit erfolgreich propagiert wird, hört sich für humanitär engagierte Kreise durchaus plausibel an: Wegen der hohen Kosten von Patentmedizin kann nur ein Bruchteil der bedürftigen Aids-Patienten Afrikas versorgt werden - es geht sozusagen um das „Menschenrecht” der optimalen medizinischen Versorgung, unabhängig von Einkommensklassen. Ermöglicht werden soll dies durch die eigene Herstellung und die Versorgung der Bedürftigen zu Minimalpreisen.
Wie sehr die solcherart vereinfachten Zusammenhänge an der ökonomischen Realität vorbeigehen, betonen Branchenexperten immer wieder. Denn gerade in Afrika weiß jeder, der den Markt kennt: Keine lokale Firma begibt sich aus irgendwelchen philanthropischen Motiven in die Lizenzproduktion von Aids-Präparaten. Dahinter stehen vielmehr sehr handfeste kommerzielle Erwägungen. Der Markt ist riesig, und mit der Ausschaltung der Patentinhaber, die nicht zuletzt für die lebenswichtige Qualitätskontrolle und Produktgarantie sorgen, ist unter Umständen gerade der „ungeordneten” Gewinnmaximierung Tür und Tor geöffnet.
Ob daher die von lokalen Kommentatoren euphorisch erwarteten Preisstürze bei ARV-Präparaten und die damit mögliche Versorgung aller Bedürftigen Realität werden, bleibt abzuwarten. Branchenkenner äußern durchaus berechtigte Zweifel. Darüber hinaus muss sehr aufmerksam beobachtet werden, in welcher Weise der qualitative Produktstandard und damit die Wirksamkeit der Generika für die Patienten in der Praxis gewährleistet werden. Die Patentinhaber bemühen sich aus diesem Grund in ihren Verhandlungen über Lizenzverträge mit Entwicklungsländern intensiv darum, Sicherungen einzubauen, damit der Ruf ihrer hochwertigen Produkte nicht durch Minderleistungen Dritter beschädigt wird.
Ein solches Risiko besteht vor allem, wenn bei „Zwangslizenzen” der Produktname beibehalten werden darf. Dies sei nach der jetzigen Situation ja gerade vorgesehen, heißt es dazu aus informierten Kreisen. Daher sei das Interesse der Patentinhaber in Lizenzverhandlungen an oberster Stelle auf Instrumente von Produktkontrolle und Qualitätssicherung gerichtet.
Was wohltätige Aktionen angeht, so sind es bisher die Pharmakonzerne selbst, die in zahlreichen Drittweltländern mit der kostenlosen Abgabe ihrer Präparate in durchaus signifikanten Mengen begonnen haben. Gewöhnlich werden solche Aktionen von den Empfängern der kostbaren Geschenke, sprich den Gesundheitsministern der jeweiligen Länder, allerdings keineswegs voll gewürdigt - nicht selten wird vom Geber sogar noch verlangt, die Verteilung an die Bedürftigen selbst zu organisieren, statt Haushaltsmittel dafür bereitzustellen.
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