Wirtschaft & Handel
Was bedeutet eigentlich
Marketing? Man versteht darunter sämtliche Methoden und
Maßnahmen, die den Geschäftserfolg auf Dauer sichern
sollen. Das moderne, wissenschaftliche Marketing will
dies durch die Analyse von Geschäftsdaten, geeignete
Maßnahmen und durch eine an den Zielen orientierte
Erfolgskontrolle erreichen. Dies kann jedoch recht teuer
sein.
Dies führte zum Zielgruppen-Marketing, denn
nicht der gesamte potentielle Markt sollte durch eine
Schrotschußmethode erreicht werden, sondern eine vorher
bereits möglichst intelligent selektierte Teilmenge von
möglichen Kunden, das anvisierte Segment.
Im Grunde handelt jeder kluge Apotheker zumindest
unbewußt nach dem Zielgruppenmodell. Eine Apotheke mit
viel Laufkundschaft wird mit Pharmaceutical Care weniger
erreichen können als eine Apotheke mit ausgeprägter
Stammkundschaft. Ebensowenig Erfolg bringt edelste
Kosmetik bei einem Kundenstamm, dessen Sorge
hauptsächlich der eigenen Existenzsicherung gilt.
Typologien ohne praktischen Wert
Gibt es denn überhaupt Apothekenkunden mit
bestimmten, von außen erkennbaren Merkmalen? Dazu
sollten wir einmal verschiedene veröffentlichte
Kundentypologien betrachten. Zuerst wurden Kundentypen
beschrieben, die für das Verhalten im Verkaufsgespräch
hilfreich sein sollten. Es entstanden Typologien wie der
Stumme, der Grobian, der Überhebliche, der Nervöse, der
Aufgeregte, der Mißtrauische, der Schwätzer oder der
Unentschlossene. Der Autor dieser Typologie aus den
fünfziger Jahren fügt aber sofort hinzu, daß reine
Formen seiner Typen selten sind. Wie wäre es dann mit
einer Einteilung in den Normalkonsumenten, den
Versorgungskonsumenten, den Sparkonsumenten, den
Anspruchskonsumenten et cetera? Oder mit der Typologie
des autoritären Arbeiters, die aus dem Jahr 1986 stammt?
Vom aufgeschlossenen Facharbeiter, dem arrivierten
Konservativen bis zum modernen Angepaßten ist alles
dabei.
Sie haben von ähnlich aufschlußreichen Typologien schon
einmal gehört? Sie denken etwa an die vier Temperamente,
den Sanguiniker, den Choleriker, den Phlegmatiker und den
Melancholiker? Oder an den Athletiker, den Pykniker und
Leptosom? Zugegeben, hier verläßt mich etwas der Ernst,
aber was soll man sich denken angesichts der Beliebigkeit
der immer wieder neuen Ansätze der Typologen.
Nachdem derartige Elaborate ohne praktischen Wert für
den Umgang mit Kunden sind, hat die Marktforschung
mittlerweile einen anderen Weg eingeschlagen. Sie
versucht auf mathematischem Weg zum homogenen Typus zu
kommen. Die unterschiedlichen Merkmale werden einer
Faktorenanalyse unterzogen, worauf statistische
Häufungen zu Konsumententypen verdichtet werden. Eine
hohe Akzeptanz hat die Einteilung in traditionelle,
gehobene und moderne Lebensstile gefunden.
Als Typen tauchen "Erika, die aufgeschlossene
Häusliche", "Erwin, der Bodenständige"
bis hin zu "Eddi, der Coole" auf. Zu jedem
Typen werden die soziale Lage, die Werte, Lebensziele.
Freizeitmotive, Themeninteressen oder die
Konsumorientierung aufgezählt. Daraus sollen Handel und
Industrie Rückschlüsse für ihre Sortiments-,
Standort-, Service-, Preis- oder Werbepolitik ziehen.
Zur Typisierung ein Blick auf das Rezept
Eine Zielgruppenbildung und damit
Kundentypisierung mag für einen Hersteller oder
Vertreiber von Industrieprodukten eine nicht nur
sinnvolle, sondern notwendige Maßnahme sein. Auch für
Sortiments- oder Standortentscheidungen von Apotheken
mögen derartige Überlegungen eine geeignete Basis
darstellen. Aber was bringt die Typisierung für den
persönlichen Umgang mit Kunden? Besteht nicht die
Gefahr, den Kunden nach einem vorgefertigten Schema und
nicht mehr individuell entgegenzutreten? Selbst eine
objektive Einteilung nach Merkmalen wie Alter,
Geschlecht, Bildung oder Einkommen hat heute für den
direkten Umgang keine Bedeutung mehr. Der Kunde kauft
nach dem Motto "Den Schal in der Boutique und den
Kaffee bei Aldi".
Gibt es demnach gar keine Anhaltspunkte, wie verschiedene
Kategorien von Beratungsgesprächen definiert werden
können, wenn eine Typologie von Kunden hierfür
ungeeignet ist? Ich meine, eine Einteilung nach dem
Anlaß des Apothekenbesuchs ist durchaus sinnvoll und
kann die Vorbereitung auf Gesprächssituationen
erleichtern. Dr. Joachim Framm hat im Rahmen der
Ausbildung von Apothekern im letzten Abschnitt
verschiedene Ausgangslagen kategorisiert, um Rollenspiele
zu üben und daraus praxisgerechte Ratschläge für die
Gesprächsführung abzuleiten.
Eine Typisierung durch den Blick auf das Rezept, um das
Therapieziel und Alter des Patienten festzustellen, ist
nicht nur erlaubt, sondern nützlicher als die Diagnose:
"Aha, hier steht ein trendbewußter Mitmacher."
PZ-Artikel von Thomas Wurm, Passau
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