Spekulation taugt nicht zur Altersvorsorge |
20.12.1999 00:00 Uhr |
PZ-INTERVIEW
In letzter Minute hat der Vermittlungsausschuss die Besteuerung von Kapitallebensversicherungen, geplant für Verträge ab dem 1. Januar 2000, gekippt. Im Gespräch mit der PZ erläutert Hans-Christian Duderstädt, Sprecher des Vorstandes der Wüstenrot-Lebensversicherungs-AG, Ludwigsburg, die aktuelle Entwicklung und die Bedeutung der Lebensversicherung als Teil des Drei-Säulen-Modells.
PZ: Der Kelch der Besteuerung der Lebensversicherung ist gerade noch an einmal an den Lebensversicherern vorübergegangen ....
Duderstädt: Nicht an uns, sondern an unseren Kunden und an Millionen von Menschen, die ihre Altersversorgung im Vertrauen auf das Fortbestehen der seit Jahren geltenden Regelungen aufgebaut haben bzw aufbauen wollen.
PZ: Die Diskussion um das Steuerbereinigungsgesetz hat Ihrer Branche im Jahr 1999 ein enormes Neugeschäft gebracht; es gab fast eine Schlussverkaufsstimmung. Gehen die Verträge jetzt alle ins Storno?
Duderstädt: Wieso soll dies der Fall sein? Unser auf drei Säulen basierendes Altersversorgungssystem erste Säule ist die gesetzliche Rentenversicherung, zweite Säule die betriebliche Altersversorgung und die dritte Säule die private Altersvorsorge ist hinsichtlich der erste Säule in Schwierigkeiten geraten. Und das wird sich wegen der unabdingbar feststehenden demographischen Entwicklung noch dramatisch verschärfen: In 30 Jahren wird jeder Aktive einen Rentner zu versorgen haben. Das ist ohne Einbußen an der Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung, einer nicht vertretbaren Beitragssteigerung oder einer Kombination aus beidem nicht zu schaffen. Das weiß der Bürger inzwischen und er beschreitet einen guten Weg, indem er mehr auf private kapitalgedeckte selbst aufgebaute Altersversorgung setzt, um die aus der gesetzlichen Rente künftig zu erwartende Grundversorgung maßgeblich und nachhaltig zu ergänzen.
Und eben dieser Tatbestand ist durch die schon lange andauernde Diskussion um die durch den Generationenvertrag finanzierte gesetzliche Rente, um Demographie und natürlich auch um die von der Regierung Schröder völlig unlogischerweise vorgesehene Besteuerung der gerade von ihr selbst als schützenswert propagierte private Altersversorgung mit Lebensversicherungen noch einmal deutlicher ins Bewusstsein gerückt worden. Das hat dann zu diesem enormen Neugeschäft geführt. Übrigens mit einem nie gekannten Anteil von privaten Rentenversicherungen. Das zeigt nun wirklich, dass die Bürger vorsorgen wollen. Weshalb sollten sie nun, wo steuerlich alles bleibt wie bisher, von ihrer Haltung abweichen?
PZ: Sind Sie dann nicht froh, dass es einen, wie den Herrn Eichel gibt?
Duderstädt: Dass es einen Finanzminister gibt, ist in Ordnung. Seinen Namen müssen wir akzeptieren. Und dass ein Finanzminister die Staatsfinanzen in Ordnung bringen will, ist natürlich richtig.
Wir haben ein auf Langfristigkeit ausgerichtetes Produkt und deshalb nun wirklich kein Interesse, in eine Schlussverkaufsstimmung gebracht zu werden.
PZ: Wie hoch ist das Wachstum bei den Neuzugängen?
Duderstädt: Wir erwarten eine Neugeschäftssteigerung von über 50 Prozent gegenüber dem zugegeben nicht so tollen Vorjahr. Wir werden über der Branche liegen. Wüstenrot ist im Marktvergleich der Versicherer aber schon immer etwas anders zu sehen. Wir entwickeln uns stärker im Einklang mit der Bausparkonjunktur und in diesem Jahr spielt sicherlich auch der positive Effekt, der von der Fusion zur Wüstenrot & Württembergischen aus geht, eine maßgebliche Rolle. Und dieser Effekt wird noch weiter wirken, nach wie vor mit Schwergewicht auf den Rentenversicherungen.
PZ: Erkennen Ihre Kunden die marode erste Säule des Systems und spüren sie, dass die Altersversorgung anderweitig gesichert werden muß?
Duderstädt: So ist es. Es wird erkannt, dass die erste Säule zwar nach wie vor als Grundversorgung notwendig ist und bleibt, dass sie aber dringend ergänzt werden muss. Das ist die eigentliche Botschaft unserer Zeit. Die Steuer überlagert nur die wirklich zu führende Diskussion um die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung.
Dabei sind allen beteiligten Politikern, Arbeitgeber- wie Arbeitnehmerorganisationen, Instituten und Hochschulen alle Fakten klar bekannt und es gibt eine wahrlich ausreichende Fülle von verschiedensten Rettungs- beziehungsweise Ergänzungsmodellen. Man hätte schön längst etwas entscheiden müssen. Dass Rot-grün, kaum an der Macht, als erstes die Einbeziehung eines sogenannten demographischen Faktor in die Rentenformel, wie ihn die Regierung Kohl einführte, gekippt hat, ist mir völlig unverständlich, vor allem wegen der Begründung, die Korrektur sei für die Jahre ab etwa 2010 nicht ausreichend. Nach meinem Geschmack wäre dies schon mal ein sehr brauchbarer Ansatz für weitere Maßnahmen gewesen. Vielleicht ergibt der aktuelle Versuch der neuerlichen Gespräche Regierung/Opposition etwas Substantielles und nicht nur opportunistische Anregungen, die nicht wirklich etwas bringen, oft nur etwas kosten.
Der Bürger erkennt in der stark über die Medien geführten Diskussion, aus dem täglichen Hick-Hack klarer denn je, dass er für sich selbst etwas tun muss.
PZ: Welche Rolle spielt in der Lebensversicherung die Demographie?
Duderstädt: Mit dem demographischen Faktor beschreibt man den Umstand, dass aufgrund diverser Einflüsse die klassischerweise als Pyramide gestaltete Alters- und Geschlechterstruktur unserer Bevölkerung mit Blick auf die gesetzliche Sozialversicherung bereits irreversible, sehr gefährliche Ausprägungen und Verformungen angenommen hat. Pillenknick, Geburtenzahl, immer noch währende Einflüsse der Weltkriege und die medizinische Entwicklung haben dazu geführt, dass zu wenigen Einzahlern in der gesetzlichen Rentenversicherung immer älter werdende Rentner gegenüber stehen.
Dieser Umstand führt dazu, dass bald jeder Aktive "seinen Rentner" im Wege des umlagefinanzierten sogenannten Generationenvertrags zu versorgen hat. Und das Problem verschärft sich. Nebenbei, wir merken es inzwischen an einer aktuell durchaus erfreulichen Entwicklung: Die Arbeitslosenquote nimmt ab, und zwar eben nicht mehr nur, weil immer mehr neue Arbeitsplätze geschaffen werden, sondern zunehmend, weil immer mehr Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden.
PZ: Wie können Sie dann gesichert rechnen?
Duderstädt: In der kapitalbildenden Lebensversicherung und in der privaten Rentenversicherung werden Sterblichkeit beziehungsweise Langlebigkeit exakt versicherungsmathematisch kalkuliert und zwar so, dass die bei Abschluss eines Vertrages garantierten Leistungen teilweise über 30, 40 oder 70 und mehr Jahre auch durchgehalten werden. Darüber wachen übrigens das Bundesaufsichtsamt für die Versicherungen und diverse Aktuare. Zugespitzt kann man also sagen: Die Lebensversicherungen werden eben nicht von der ungünstigen Demographie berührt.
PZ: Wie wird die Lebensversicherung in der Öffentlichkeit beurteilt?
Duderstädt: In allen Umfragen wird immer wieder die hohe Akzeptanz hervorgehoben, die die Lebensversicherung als das klassische Instrument der Altersversorgung hat. Wir legen auch großen Wert drauf, dass nur und ausschließlich die Produkte der Lebensversicherungsbranche die sogenannten biometrischen Risiken Tod, Invalidität und vor allem Langlebigkeit absichern können. Das unterscheidet uns gravierend von allen Produkten der Vermögensbildung, die ja auch Finanzdienstleistungen sind.
PZ: Bei den aktuell steigenden Aktienkursen hoffen viele auf kurzfristige Gewinne zur Sicherung ihrer Altersversorgung. Ein guter Gedanke?
Duderstädt: ... der ins Auge gehen kann. Wir müssen wirklich unterscheiden zwischen gesicherter, kalkulierbarer lebenslanger Altersversorgung und Vermögensbildung. Ein Vermögen baue ich unter Kapitalmarktrisiko auf und verwende es für verschiedenste Zwecke. Es verbraucht sich dabei eben; es ist endlich, es sei denn, man kann von den Zinsen leben...
PZ: Passen die Produktstruktur der Württembergischen und von Wüstenrot überhaupt zusammen?
Duderstädt: Aber ja, geradezu ideal. Wir bieten für eine "Rundum-Kundenbeziehung" aus einer Hand alle Produkte der Linien Bausparen, Baufinanzierung, Lebens-, Kranken- und Sachversicherung, Bank-, Fonds- und Immobilienprodukte. Das leisten nur wenige Marktteilnehmer. Damit steht unsere Produktpalette natürlich für sehr unterschiedliche Bedarfssituationen zur Verfügung. Die lebenslange sichere Rente, die jemand zum Beispiel ab Alter 65 erhalten kann, haben wir bereits angesprochen. Das bis zum Rentenbeginn anzufinanzierende Kapital kann durchaus auf ganz andere Weise als über eine Lebensversicherung beigebracht werden. Die Frage ist dann aber, ob Chance und Risiko anderer Anlagen, zum Beispiel auch Spekulation am Aktienmarkt, so gelagert sind, dass auch das erwartete oder erstrebte Ausgangskapital zusammen gebracht werden kann. Chance und Risiko sollte sich nur jemand leisten, der "es sich eben leisten kann!"
PZ: Wie stehen Sie zur fondsgebundenen Lebensversicherung?
Duderstädt: Ambivalent. Ich befürchte, dass viele Kunden sich der finanziellen Tragweite dieser Produktlinie nicht bewusst sind. Gleich wie die Gestaltung ist: Das Kapitalmarktrisiko trägt nämlich der Kunde; garantierte Erlebensfallleistungen gibt es meist eben nicht.
PZ: Warum sind Fondspolicen "in" und der Begriff der Lebensversicherung eher konservativ belegt?
Duderstädt: Bei derzeit 10 Prozent Marktanteil der Fondspolicen überwiegt ganz sicher noch die traditionelle Versicherung. Aber es ist richtig: bei einem Dax mit historischem Höchststand boomt das fondsgebundene Produkt. Rückwärts betrachtet haben Aktien auch eine hervorragende Performance erzielt, aber nicht unbedingt bei jedem mit seinem individuellen Einstiegs- und vor allem Ausstiegsdatum. Ferner kann man meines Ermessens nach die Vergangenheit eben nicht, auch nicht auf dem Aktienmarkt automatisch, quasi im Dreisatz, auf die Zukunft fortschreiben.
PZ: Wenn fondsgebundene Lebensversicherungen nicht empfehlenswert sind, warum führen Sie sie dann überhaupt im Programm?
Duderstädt: Nicht empfehlenswert habe ich nicht gesagt. Man muss nur genau wissen, auf welche finanzielle Risiken man sich mit diesem Produkt einlässt. Für mich gibt es aber noch einen anderen, mehr systematischen Aspekt: Die fondsgebundene Lebensversicherung suggeriert, eine Lebensversicherung zu sein, obwohl sie eindeutig mehr vermögensbildende Aspekte aufweist. Mit diesem Outfit gefährdet sie durchaus die durch den Staat mit besonderem steuerlichen Schutz für die Altersversorgung ausgestattete eigentliche Lebensversicherung. Ich sehe also von dieser Seite immer wieder unangenehme Ansätze zur Einführung einer Besteuerung der Lebensversicherung so wie bei der Vermögensbildung.
PZ: Wie sieht der Vertrieb der Zukunft aus? Internet und noch mehr Direktvertrieb?
Duderstädt: Beim Direktvertrieb verkauft ein Lebensversicherer ohne beratenden Außendienst, in der Regel über Mailings. Beim Verkauf über Internet muss der Kunde aktiv werden.
Seit Jahr und Tag wird zu einem sehr konstanten, geringen Prozentsatz für den Direktvertrieb verkauft; heute sind es rund 10 Prozent, Tendenz behauptend. Direkte Abschlüsse von Lebensversicherungen über Internet gibt es noch so gut wie keine. Es wird immer eine Käuferschicht geben, die ohne Beratung abschließen will, die sich sehr gut auskennt oder dies zumindest meint.
PZ: Welche Zielgruppe haben die Direktversicherer?
Duderstädt: Die Berufsgruppen kenne ich nicht so genau und ich will auch keiner zu nahe treten. In jedem Fall sind es Kunden, die auf individuelle Beratung keinen Wert legen. Ob das richtige Produkt erworben wird, ist allerdings bei Abschluss meistens unerkennbar und im Versicherungsfall ist ein Fehlkauf in der Regel nicht mehr zu beheben; mit schlimmen Folgen. Denken Sie nur an jemanden, der übersehen hat, den für ihn speziell sehr wichtigen Berufsunfähigkeitsschutz mitzuversichern, und dann Frührentner wird.
PZ: Also gehts nicht ohne Beratung?
Duderstädt: So ist es. Und ich glaube, dass der beratende Außendienst noch auf Jahre gebraucht wird. Das Produkt Lebensversicherung mag vielleicht noch einfacher werden, aber die Beratung der konkreten Lebensumstände eines Kunden verlangt geschulte und mit allen technischen Hilfsmitteln der sogenannten Beratungssoftware im Laptop ausgestattete Fachkräfte im Außendienst; wir nennen sie Außendienstpartner. Dennoch glaube ich, dass auch das Internet seinen Raum im Vertrieb bekommen wird für einfache, eher ergänzende Lebensversicherungsprodukte und für das Knüpfen von Beziehungen zum Kunden.
PZ: Welchen Weg geht die Wüstenrot Leben in Sachen Internet?
Duderstädt: Wir sind im Internet vertreten. Dort kann man sich unsere Produkte
ansehen, man erhält vielfältige Informationen und der Kunde kann und soll dann mit uns
Kontakt aufnehmen. Das wird angenommen und wir werden die Entwicklung dieses Mediums
aufmerksam verfolgen. Problematisch ist es aber meiner Meinung nach immer noch, eine
qualifizierte Beratung auf diesem Wege aufzubauen und zu betreiben. Persönliche
Kundengespräche auch eine psychologische Größe werden auch durch den Chat
im Internet nicht ersetzt.
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