Zwischen Hürden und freier Bahn |
09.12.2002 00:00 Uhr |
von Siegfried Löffler, Erfurt
Mehr als die Hälfte der Bundesbürger hat nach einer aktuellen Umfrage in diesem Jahr weniger Geld für Weihnachtseinkäufe zur Verfügung; bei den 40- bis 49Jährigen befürchten sogar 68 Prozent erhebliche Abstriche auf dem Wunschzettel. Da können nur noch Weihnachtsgratifikationen helfen, die aber nicht mehr so reichlich fließen.
Wer keinen tarifvertraglich abgesicherten oder im Einzelarbeitsvertrag schriftlich fixierten Anspruch hat, muss sich an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt orientieren. Die höchste Instanz hat in zahlreichen Grundsatzentscheidungen vor allem zweierlei klargestellt:
Erstens muss der Arbeitgeber den Vorbehalt einer freiwilligen Zahlung machen, wenn er verhindern will, dass sich ein Arbeitnehmer im Jahr nach der letzten Zahlung auf einen Rechtsanspruch beruft. Zahlt er dreimal hintereinander ohne den Vorbehalt der Freiwilligkeit, wird vom vierten Jahr an die Gratifikation zum Bestandteil des Arbeitsvertrags, erwirbt der Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch.
Zweitens kann die freiwillig gezahlte Gratifikation mit einer Rückzahlungsverpflichtung für den Fall verbunden werden, dass ein Arbeitnehmer vor einem bestimmten Termin des folgenden Kalenderjahres ausscheidet.
Belohnung für treue Dienste
Die Arbeitgeber haben Weihnachtsgratifikationen stets als eine Belohnung für treue Dienste in der Vergangenheit und gleichzeitig als Ansporn für betriebliche Treue in der Zukunft verstanden. Davon geht auch das BAG bei der Entscheidung der Frage aus, wie lange eine Gratifikation einen Arbeitnehmer an den Betrieb binden kann, sofern der Arbeitgeber bei deren Auszahlung ausdrücklich auf eine Rückzahlungsverpflichtung für den Fall einer Kündigung vor einem bestimmten Termin hinwies.
Hier gilt der Grundsatz, dass durch die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation bis zur Höhe von 102,26 Euro (früher 200 DM) keine besondere Betriebsbindung bewirkt werden kann. Zahlt jedoch der Arbeitgeber einen Betrag zwischen 102,27 Euro (200,01 DM) und einem Monatsgehalt, muss der Arbeitnehmer wenigstens bis zum 31.März des folgenden Jahres dem Betrieb die Treue halten. Beträgt die Gratifikation ein Monatsgehalt oder mehr, kann damit auch eine längere Betriebsbindung – etwa bis zum 30. Juni – verbunden sein.
In den vergangenen Jahren ist etwas Bewegung in die Rechtsprechung des BAG zum Anspruch auf Weihnachtsgratifikation gekommen. Glück hatten Arbeitnehmer in Nordrhein-Westfalen, die sich gegen Kürzungen ihrer Ansprüche als Folge der einseitigen Kündigung einer Betriebsvereinbarung durch den Arbeitgeber wandten. Im Urteil 1 AZR 46/93 vom 26. Oktober 1993 entschied das BAG, dass die alte Betriebsvereinbarung nachwirkt, wenn im Anschluss an die Kündigung keine Einigung mit dem Betriebsrat über eine vom Arbeitgeber gewünschte niedrigere Staffelung gelingt.
Auf der anderen Seite hilft im Falle einer nachgewiesenen schlechten Wirtschaftslage des Unternehmens und der damit verbundenen Kürzung beziehungsweise Einstellung des Weihnachtsgeldes der Hinweis der Arbeitnehmer nichts, dass ein Jahrzehnt früher dreimal hintereinander ohne Vorbehalt der Freiwilligkeit Gratifikationen gezahlt wurden (10 AZR 516/95 vom 28. Februar 1996).
Ausnahme Erziehungsurlaub
Nach der Entscheidung 10 AZR 883/95 vom 5. Juni 1996 kann sich ein Arbeitgeber mit der Formulierung, nach der „Ansprüche für die Zukunft auch aus wiederholten Zahlungen nicht hergeleitet werden können“, die Möglichkeit offen halten, nicht nur für die Zukunft, sondern auch für das laufende Kalenderjahr neu zu bestimmen, ob und unter welchen Voraussetzungen er eine Gratifikation zahlen will. Diese Rechtsansicht wurde in einer der ersten Entscheidungen des BAG am neuem Gerichtssitz Erfurt ( 10 AZR 840/98 vom 12. Januar 2000) ausdrücklich bestätigt. In Übereinstimmung mit dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg (EuGH Rs C-333/97 vom 21. Oktober 1999) hat das BAG in dem Urteil außerdem darauf hingewiesen, dass nach deutschem und Europarecht Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse wegen Erziehungsurlaub ruhen, von der Gewährung der Weihnachtsgratifikation ausgenommen werden dürfen.
Eine Angestellte aus Baden-Württemberg, die vom 13. Februar 1995 bis 31. Dezember 1996 Erziehungsurlaub in Anspruch genommen hatte, erhielt für beide Jahre keine Weihnachtsgratifikation. Das wurde vom BAG gebilligt: „Da die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub zu einer Suspendierung der beiderseitigen Hauptpflichten und damit zu einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses führt, sind Vereinbarungen nicht zu beanstanden, die dazu führen, dass auch zusätzliche Entgeltleistungen für diese Zeiten nicht beansprucht werden können“.
Rückwirkende Geltung
Auch das BAG-Urteil 4 AZR 216/99 vom 17. Mai 2000 war für die Arbeitnehmer ungünstig: Es besagt, dass eine noch im alten Jahr vorgenommene, von der tarifschließenden Gewerkschaft aber erst im neuen Jahr nach einem längeren Schlichtungsverfahren akzeptierte Kürzung des Weihnachtsgeldes auch rückwirkend hingenommen werden muss. Im konkreten Fall hatte ein bundesweit tätiger Berufsverband nach einem Wirtschaftlichkeitsgutachten mit einem Verlust von 29 Millionen DM zu rechnen. Er kürzte deshalb den Anspruch auf Weihnachtsgratifikation von 100 auf 75 Prozent des Gehalts. Ein Angestellter, der wegen der 25 Prozent Unterschied geklagt hatte, verlor den Prozess in allen drei Instanzen. Das BAG sah keinen Grund, die rückwirkende Änderung zu beanstanden. Schließlich hätten die Informationen über die Verhandlungen und das Ergebnis der Schlichtung „das Vertrauen in den Fortbestand der ungeschmälerten Tarifposition auf der Arbeitnehmerseite objektiv erschüttert“. Die Hoffnung auf ein besseres Ergebnis reicht also nicht aus, einen Rechtsanspruch zu begründen.
Mehr Glück hatte dagegen ein Teilzeitbeschäftigter, dem – wie den Vollzeitbeschäftigten – kurz vor Weihnachten die Gratifikation um 1000 DM gekürzt worden war. Das sah der maßgebende Tarifvertrag vor. Der Teilzeitbeschäftigte wollte lediglich eine Kürzung der Gratifikation um etwa 750 DM akzeptieren, weil seine Arbeitszeit nur rund 75 Prozent der eines in der gleichen Vergütungsgruppe mit voller Arbeitszeit beschäftigten Kollegen betrug. Er gewann den Prozess. Im Urteil 10 AZR 629/00 vom 24. Mai 2000 erklärte das BAG die tarifliche Regelung, die eine Kürzung des Weihnachtsgeldes um 1000 DM einheitlich für Voll- und Teilzeitbeschäftigte vorsah, für unwirksam. Das BAG erinnerte in diesem Zusammenhang die Tarifvertragsparteien an den Grundsatz, dass sich der Gratifikationsanspruch von Teilzeitbeschäftigten „nach dem Verhältnis ihrer vertraglichen Arbeitszeit zur tariflichen Arbeitszeit eines entsprechenden Vollzeitbeschäftigten bemisst“.
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