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"Marktbeherrschende Stellung" ist völlig abwegig

01.10.2001  00:00 Uhr
INTERVIEW

"Marktbeherrschende Stellung" ist völlig abwegig

von Erdmuthe Arnold, Eschborn

Das Bundeskartellamt hat mit Schreiben vom 20. September den geplanten Mehrheitserwerb der Anzag AG durch die Sanacorp Pharmahandel AG abgelehnt. Bereits kurz darauf kündigte der Vorstand der Sanacorp in einer ersten Stellungnahme Gegenmaßnahmen an. Die Pharmazeutische Zeitung wollte hierzu Näheres in Erfahrung bringen und sprach mit dem Vorstandsvorsitzenden Dr. Jürgen Brink.

PZ: Herr Dr. Brink, wie sieht Ihre Strategie nach der negativen Entscheidung des Bundeskartellamts aus?

Brink: Wir sind ja nun schon seit langem mit dem Bundeskartellamt im Gespräch. Dass es schwierig werden würde, war uns klar. Und deshalb haben wir natürlich auch unsere Strategie entsprechend aufgebaut. Festzuhalten ist, dass wir die Entscheidung des Bundeskartellamtes nicht nachvollziehen - geschweige denn akzeptieren - können. Unsere juristischen Berater haben nach einer sorgfältigen Prüfung der Entscheidungsgründe des Bundeskartellamts eine Reihe von Rechtsfehlern und eine mechanistische, ich würde sogar sagen eine überholte Sichtweise auf unseren Markt festgestellt. Es kann nur erstaunen, dass trotz zahlreicher Gespräche und umfangreicher Unterlagen zur heutigen Situation im deutschen Pharmagroßhandelsmarkt das Bundeskartellamt stur und unkritisch längst überholten Vorstellungen verhaftet geblieben ist - und dabei die heutige Realität völlig verkennt.

Insbesondere ist auch die uns bei einer Mehrheit an der Anzag in einigen Regionen unterstellte "marktbeherrschende Stellung" völlig abwegig. Gerade im Pharmagroßhandel ist dies auch gar nicht in einer derart mechanistischen Weise möglich, wie vom Bundeskartellamt fälschlicherweise angenommen. Denn selbst wenn ein Großhändler in einer bestimmten Region einen Marktanteil von sagen wir 50 Prozent erreicht, kann er längst nicht nach Belieben agieren. Ganz im Gegenteil: Für den Apotheker ist es ein Leichtes, seinen Umsatz zu einem Wettbewerber umzulenken, und die gibt es in jeder noch so entlegenen Gegend Deutschlands zuhauf. Die Voraussetzung für Wettbewerb und wettbewerbliches Verhalten der Marktteilnehmer ist eben, dass es aus Kundensicht alternative Bezugsquellen gibt und nicht dass sie tatsächlich auch immer in Anspruch genommen werden müssen.

PZ: Wie geht es nun konkret weiter?

Brink: Wir werden gegen die Entscheidung des Kartellamtes Rechtsmittel - konkret eine Beschwerde vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf - einlegen, das in nächster Instanz für die Entscheidungen des Bundeskartellamtes zuständig ist. Dort rechnen wir auf jeden Fall mit einer neutraleren, einer weniger den überholten Vorstellungen verhafteten Beurteilung unseres Antrages. Es drängt sich mir fast der Eindruck auf, dass nach einer Reihe von spektakulären Fusionsgenehmigungen, bei denen es Druck seitens der Politik auf das Bundeskartellamt gab, wie beispielsweise beim Fall Telekom, nun die Sanacorp Leidtragende sein soll, weil bei uns weitaus weniger öffentliches Interesse zu erwarten ist.

PZ: Warum begrüßten die Kleinaktionäre in den vergangenen Hauptversammlungen der Anzag und der Sanacorp die Übernahme? Sind die Größe und das Wachstum eines Unternehmens die einzig gültigen Kriterien, die an der Börse gelten?

Brink: Dass Fusionsmeldungen der Börse schmecken, ist bekannt. Warum sollten sich da Kleinaktionäre anders verhalten als Großinvestoren? Das Börseninteresse war aber keineswegs für uns das tragende Motiv, als wir unseren Antrag beim Bundeskartellamt gestellt haben. Der Pharmagroßhandel ist auf Grund der regelmäßig wiederkehrenden Kostensenkungsmaßnahmen der Gesundheitspolitik einem ständigen Kostendruck ausgesetzt. Unsere Wettbewerber setzen auf massive Aufkäufe von Apotheken im europäischen Ausland, um ihre Ertragslage zu sichern. Die apothekerbestimmte Sanacorp, aber auch die Anzag, gehen diesen Weg ganz bewusst nicht. Denn der Schutz der selbstständigen Apotheke in Deutschland und der gleichzeitige Aufbau von Apothekenketten im Ausland sind zwei aus unserer Sicht nicht miteinander zu vereinbarende Ziele. Damit ist aber auch klar, dass nur durch ein Zusammenrücken von Sanacorp und Anzag - nicht eine Fusion, wie die Presse verschiedentlich meldete - hierzu ein Ausgleich geschaffen werden kann. Unser Schritt ist deshalb auch nicht der Griff nach der Marktführerschaft, sondern - ganz im Gegenteil - der Versuch, wieder ausgeglichenere Marktverhältnisse im deutschen Pharmagroßhandel herzustellen, um den Einfluss der Apotheker auf der ihnen vorgelagerten Handelsstufe langfristig abzusichern. Insofern ist unser Vorhaben im Interesse aller Apothekerinnen und Apotheker.

PZ: Mit dem Konzept der "Zwei-Marken-Strategie" wollen Sie beide Firmen erhalten und durchaus auch in Konkurrenz zueinander treten lassen. Inwieweit ist dieses Konzept hilfreich, um gegen die Entscheidung des Bundeskartellamts vorzugehen?

Brink: Für das Kartellamt war diese strategische Absicht völlig belanglos! Ganz im Gegenteil, hätten wir dargelegt, nach einer Fusion in großem Umfang Niederlassungen schließen zu wollen, hätten wir unsere Chancen auf eine schnelle Genehmigung sogar erhöhen können. Aber hier ist ganz klar zu sagen: Das widerspräche unserer Auffassung von Wettbewerb, wenn wir die betroffenen Gebiete und unsere Kunden kampflos den Wettbewerbern überlassen würden!

PZ: Falls die Mehrheitsübernahme auf dem Klageweg nicht zu erreichen ist, wären dann zumindest weitere Kooperationsmöglichkeiten zwischen Sanacorp und Anzag möglich?

Brink: Wir kooperieren bereits heute auf kartellrechtlich möglichen Feldern, wie zum Beispiel im Einkauf, dem Transport oder in der Informationsvermarktung. Natürlich loten wir fortwährend neue Kooperationsmöglichkeiten aus. Unabhängig vom Ausgang der gerichtlichen Prüfung - wir werden gegebenenfalls bis vor den Bundesgerichtshof gehen - steht bereits heute fest, dass die Sanacorp weiterhin für einen starken, apothekerbestimmten Pharmagroßhandel in Deutschland eintritt. Unsere Beteiligung an der Anzag werden wir deshalb auch in Zukunft konsequent für die Interessen der apothekerbestimmten Unternehmen und ihrer Eigentümer zu nutzen wissen.

PZ: Gesetzt den Fall, Sie können die Übernahme auf gerichtlichem Wege durchsetzen und verfügten dann zusammen mit der Anzag über einen Marktanteil von 29 Prozent. Würde sich dies auf den Restmarkt auswirken und könnte es dann zu weiteren Fusionen kommen?

Brink: Ob bei einer Genehmigung ein weiterer Konzentrationsprozess im Pharmagroßhandel eingeleitet würde, kann keiner voraussagen. Es ist aber eher unwahrscheinlich, da durch das Zusammenrücken von Anzag und Sanacorp erst wieder ein gesundes und dauerhaftes Gleichgewicht etabliert würde. Denn der heutige Marktführer hat auch einen Marktanteil von 29 Prozent. Wesentlich für diese Frage ist allerdings auch die Tatsache, dass Unternehmen immer auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren müssen, so wie wir es jetzt auch mit unserem Antrag getan haben. In unserem Markt bestimmen jedoch nicht wir die Rahmenbedingungen, sondern die Gesundheitspolitik.Top

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