Pharmazeutische Zeitung online

Schwache Kapitalmärkte zwingen Lebensversicherer in die Knie

19.08.2002  00:00 Uhr
Analyse

Schwache Kapitalmärkte zwingen Lebensversicherer in die Knie

von Thomas Bellartz, Berlin

Für ohnehin schon schwer gepeinigte Kapitalanleger ziehen nun auch in anderen Bereichen düstere Wolken auf. Nun wanken auch mehrere der über 100 Lebensversicherer.

Seit Mitte der Neunziger hat die Lebensversicherungsbranche ihre Aktienquote an den Kapitalanlagen von 13 auf 27 Prozent verdoppelt und durch den Börsenboom erhebliche Bewertungsreserven aufgebaut. Die Kapitalmarktkrise hat die Reserven allerdings weitgehend aufgezehrt. Die Zinsversprechen gegenüber den Kunden sind in vielen Fällen nicht mehr zu halten. Einige Versicherer befinden sich darüber hinaus in Schieflage.

Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat am vergangenen Donnerstag einen Lösungsvorschlag diskutiert für den Fall, dass einzelne Versicherer in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Das unterstreicht den Ernst der Lage. Nach Ansicht der internationalen Management- und Technologieberatung Booz Allen Hamilton wird die Diskussion, die sich bislang auf die mögliche Zahlungsunfähigkeit einzelner Versicherer fokussiert, den sich abzeichnenden umfassenden strategischen Herausforderungen für die Branche aber nicht gerecht.

Dass die Hälfte der 30 größten Lebensversicherer ihren Kunden zukünftig nur noch eine Verzinsung von unter 5 Prozent versprechen können, wird, so die Studie, zu einer radikalen Neuordnung der gesamten Branche führen. Das Neugeschäft wird massiv einbrechen und Versicherungsvermittler und Versicherer in massive Probleme bringen. Finanzstarke Versicherer werden Marktanteile gewinnen. Die Kostenbelastung des Produktes und das Produktivitätspotenzial werden bald transparenter. Konsequentes Kosten- und Komplexitätsmanagement ist der einzige Ausweg gegen Einbrüche des Neugeschäfts.

Theorie und Praxis

Die real erwirtschafteten Renditen der Lebensversicherer weichen seit Jahren in vielen Fällen erheblich von der versprochenen Verzinsung ab. Bereits im vergangenen Jahr konnte von den dreißig größten Versicherern nur jeder zweite Versicherer noch Renditen über 5 Prozent durch Rückgriff auf stille Reserven und Verzicht auf Abschreibungen darstellen. Jeder fünfte Versicherer konnte die Mindestrendite von 3,25 Prozent real bereits nicht mehr erwirtschaften. Im laufenden Jahr könnten bis zu 70 Prozent der Versicherer unter Zugrundelegung der derzeitigen Kapitalmarktsituation bei der Rendite real unter 5 Prozent liegen.

Nachdem die Bewertungsreserven mehrheitlich aufgebraucht sind, fehlt die Grundlage zur erneuten Renditeverbesserung. „Mit einer Verzinsung von weniger als 5 Prozent könnten die Folgen für das Neugeschäft und die Versicherungsvermittler erheblich sein. Wir stehen daher vor einer radikalen Neuordnung der Lebensversicherungsbranche", so Reiner Hoock, Partner bei Booz Allen Hamilton.

Auf den ersten Blick handelt es sich um ein vorübergehendes Phänomen. Denn die in den letzten Wochen häufig diskutierte Frage von existenzbedrohenden Situationen ist bei den Top 30 größtenteils angesichts der vorhandenen Puffer kein Thema. Für zu erwartende Schieflagen wird es voraussichtlich Branchenlösungen geben. Zur Entwarnung besteht aber kein Anlass. Denn mit der geringen Verzinsung verliert das Lebensversicherungsprodukt drastisch an Attraktivität. Das traditionelle Verkaufsargument hoher Nettoverzinsung über

Jahrzehnte hinweg entfällt. Hinzu kommt eine nicht unerhebliche Kostenbelastung des Produktes sowie die seit Jahren nahezu stagnierende Produktivität (Stückosten pro Vertrag) trotz Automatisierung in der Branche.

Strukturelle Krise

Bleiben die Kapitalmärkte schwach, verstärken sich negative Effekte gegenseitig und lassen eine strukturelle Krise der Branche erwarten. Dann kommt es zu einem Einbruch des Neugeschäfts mangels attraktiver Verzinsung und damit der Einkommensbasis der Vermittler. Leistungsstarke Vermittler werden zu finanzstarken Versicherern mit attraktiven Renditen abwandern. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die eigenen Vertriebsnetze und auf die Kundenbindung. In der Folge erhöht sich die Kostenquote, die Rendite sinkt. Denn Vertragsbestand und Beitragseinnahmen durch Abläufe sinken überproportional im Vergleich zu den Kosten. Überlebensnotwendige Renditeeffekte könnten durch eine drastische Kostensenkung erreicht werden. Doch der typische Versicherer kann bei einer Senkung der Kosten um 25 Prozent seine Rendite lediglich um einige zehntel Prozentpunkte steigern.

Für die Versicherer mit niedriger Rendite sieht Booz Allen Hamilton als Ausweg aus der Krise vier Alternativen: Fusionen, Refokussierung des Vertriebs, Neuausrichtung des Geschäftssystems und konsequentes Kosten- und Komplexitätsmanagementmanagement. Die ersten drei Ansätze seien jedoch nur in Einzelfällen ein gangbarer Weg. Insbesondere das Kosten- und Komplexitätsmanagement spielt eine zentrale Rolle: „Nur wem es gelingt, die eigene Kostenbasis schneller zu reduzieren als den Geschäftseinbruch und nachhaltig jährliche Produktivitätssteigerung auf dem Niveau anderer Branchen zu erzielen, entkommt der Abwärtsspirale und kann mit dem Aufschwung der Kapitalmärkte auf einen Wachstumspfad zurückkehren", erläutert Hoock. Top

© 2002 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa